Adrian Baschung ist Historiker und Leiter des Museums Altes Zeughaus in Solothurn.
Reliquien des Apostels Petrus und der Heiligen Jungfrau Maria soll es enthalten haben, «Durendal», das Schwert des Helden Roland und erster Ritter im Dienste Karls des Grossen. Damit unter den besonderen Schutz der Heiligen und Gottes gestellt, vollbrachte er legendäre Taten. Zahlreich sind die Gegner, die Roland mit der Waffe niederstreckte. Mühelos zerschlug er damit einen mächtigen Felsen. Schlussendlich, in seinem letzten Gefecht gegen die «Heiden» in den Pyrenäen stehend, schleuderte Roland mit letzter Kraft sein Schwert in Richtung des Frankenreichs und rettete Durendal so vor feindlichen Händen. Mit der Hilfe des Erzengels Michael flog das Schwert mehrere hundert Kilometer weit, bis es in einem Felsen im französischen Rocamandour stecken blieb, wo es auch heute noch zu bewundern ist. So jedenfalls klingt eine der vielen Legenden, welche sich um Roland und sein Schwert ranken.Der Held aus dem Rolandslied, welches wohl im 11. Jahrhundert verfasst wurde, galt als episches Vorbild für die Ritterklasse des Hochmittelalters. In ihm sind sämtliche Tugenden eines christlichen Ritters zusammengefasst. Den christlichen Glauben mit dem Schwert zu verteidigen, war ebenfalls eine ritterliche Pflicht. Somit verwundert es nicht, dass das Erflehen göttlichen Beistands für den Kampf direkt auf der typischen Kampfwaffe eines freien Kriegers oder Ritters eingearbeitet wurde. Im Falle des legendären Rolands waren es Reliquien, im Hochmittelalter reichten hierzu Schwertinschriften, welche Gott um Beistand bitten.
Die systematische Untersuchung von Zeichen und Inschriften auf Schwertklingen geht auf den Schweizer Historiker und Direktor des Bernischen Historischen Museums Rudolf Wegeli (1877 – 1956) zurück. Wegeli versuchte anhand zahlreicher Beispiele vom Frühmittelalter bis in die frühe Neuzeit eine Systematik und Entschlüsselung zu erarbeiten. Lange wurde dieser Aspekt der Forschung eher stiefmütterlich behandelt. Seit den 2010er-Jahren erlebt die wissenschaftliche Erforschung von Schwertinschriften jedoch ein Revival.
Eine kurze Einführung
Neben ausgeschriebenen kurzen Texten bedienten sich Inschriften des Früh-, Hoch und Spätmittelalters oft auch einer abgekürzten Schreibweise, wobei einzelne Buchstaben für ganze Worte oder Sätze Verwendung fanden, sogenannte Akronyme. Daher ist es möglich, dass bei langen Buchstabenreihen, welche auf den ersten Blick unzusammenhängend erscheinen, beispielsweise ganze Bibel-Psalme, ein Motto oder eine Anrufung Gottes in die Klinge eingearbeitet wurde.
Ein bekanntes Akronym ist INRI, was für «Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum» (Jesus von Nazareth, König der Juden) steht. Die Entschlüsselung und Datierung von Inschriften ist ein Spezialgebiet der Epigraphik, also der Inschriftenkunde, worauf sich auch Waffenhistoriker stützen. Somit ist die Erforschung von Schwertinschriften eine wertvolle interdisziplinäre Arbeit. Im Fokus steht dabei jedoch nicht nur die Dekodierung der Inschrift, sondern auch das Schriftbild, welches für die Forschung der Paläografie (Lehre der alten Schriften), für die Datierung und die mögliche Herstellungsregion der Waffe wichtig sein können. Drei Beispiele sollen dieses hochspannende Feld der historischen Waffen- und Inschriftenkunde beleuchten.
Im Namen des Herrn
Das erste Schwert bietet einen einfachen Einstieg ins Thema. Die Waffe lässt sich zwischen 1100 - 1150 bis 1225 datieren und stellt einen typischen Vertreter eines Schwertes dar, welches mit einer Hand geführt wurde. Die Gesamtlänge beträgt 90 Zentimeter. In der Klinge ist beidseitig ein Hohlschliff zu erkennen, worin Inschriften eingearbeitet wurden. Die Buchstaben wurden zuerst mit einem Stichel ausgehoben und anschliessend mit Eisen eingelegt. Diese Technik wird auch als Tauschierung bezeichnet. Die Buchstabenfolge auf den Klingenflächen ist jedoch noch gut leserlich. Wir befassen uns nur mit einer Seite, da die Inschriften annähernd gleich aufgebaut sind. Sie liest sich folgendermassen: + I N I O M I I N D I I +Es handelt sich hier um ein Akronym aus Grossbuchstaben der lateinischen Invokation IN NOMINE DOMINI (Im Namen des Herrn). Die Inschrift wird von zwei Kruckenkreuzen begleitet, welche am Anfang und Schluss stehen. Diese Kreuze können, wie in christlichen Manuskripten und auf Grabinschriften nachgewiesen werden kann, als «Invokationskreuze» gedeutet werden.
Welchen Zweck die Häufung wie auch die Stellung des Buchstaben «I» erfüllen, entzieht sich unserer Kenntnis. Es könnte sich um eine unbewusste Verballhornung der Beschwörungsformel handeln. Die eher grob geschriebenen Buchstaben lehnen sich an die Grossbuchstaben römischen beziehungsweise romanischen Vorbilds an. Die Tauschierungen mit Eisen tauchen zwischen 1050 und 1150 auf, welches auch mit dem verwendeten Schriftbild zusammenpasst. Jedoch stellt der Knauf eine Form dar, welche im frühen 13. Jahrhundert Mode wurde. Somit kann man annehmen, dass es sich womöglich um eine ältere Klinge handelt, welche später einen neuen Knauf erhielt.
Im Namen des Erretters?
Das zweite Beispiel einer Invokation Gottes stellt, gerade wegen seiner starken Kürzung des Textes, eine kleine Herausforderung dar. Es handelt sich ebenfalls um ein «Einhandschwert», welches der Form nach ins späte 13. oder frühe 14. Jahrhundert datiert werden kann. Die Waffe verfügt über einen kugeligen Scheibenknauf, eine flächige, gebogene Parierstange und eine lange Klinge, welche beidseitig gekehlt ist. Die Gesamtlänge misst 84.1 Zentimeter. Beide Hohlkehlen der Klinge sind mit gleichlautenden Buchstabenfolgen und Kreuzen versehen, welche womöglich mit Silberdrähten tauschiert sind. Die Lesung ergibt auf beiden Seiten folgendes: + N N S D +Die Inschrift wird von zwei Invokationskreuzen eingefasst, wobei es sich bei diesem Beispiel um sogenannte «Tatzenkreuze» handelt. Die Grossbuchstaben besitzen bei den ersten Vertikalstrichen (Stamm oder Grundstrich) einen kleinen Querstrich. Diese sind als Kürzungsstriche zu interpretieren, um anzuzeigen, dass hier weitere Buchstaben des Wortes weggelassen wurden. Interessant sind auch die Formen der beiden Buchstaben «N». Während ersteres linear eingeschrieben wurde (Kapitale), erscheint das zweite «N» in einer runden, geschwungenen Form (Unziale). Die Mischung dieser Schriftzüge taucht im 13. Jahrhundert auf. Das «S» kann in der Folge als SANCTUS (heilig) oder SALVATOR (Erlöser/Retter) ausgelegt werden, welches wie das Wort BENEDICTUS (gesegnet) auch auf weiteren Schwertinschriften der Zeit gefunden werden kann. Die mögliche Entschlüsselung der Buchstabenfolge folgt demselben Schema, wie beim ersten Schwert. Davon ausgehend, dass es sich wiederum um eine religiöse Beschwörung handelt, könnte die Interpretation folgendes ergeben:
Mit SANCTUS als Adjektiv:
IN NOMINE SANCTI DOMINI (Im Namen des heiligen Herrn)
oder
IN NOMINE SANCTI DEI (Im Namen des heiligen Gottes)
Mit SALVATOR:
IN NOMINE SALVATORIS DOMINI (Im Namen des Retters und Herrn)
oder
NOMINE SALVATORIS DOMINI
Bei allen Interpretationen der Beschwörungsformel handelt es sich wohl um abgeänderte Formen diverser Invokationen, die in der katholischen Liturgie und in Gebeten Verwendung fanden. Die Buchstaben NN (S) D widerspiegeln jedoch mit grösster Wahrscheinlichkeit im Grunde die Formel IN NOMINE DOMINI. Die Anrufung des Erretters weist hingegen auf eine Anrufung von Jesus Christus hin. Gemäss dem Schriftbild der Buchstaben darf man ebenfalls auf eine Arbeit aus dem Ende des 13. beziehungsweise dem Anfang des 14. Jahrhunderts schliessen.
In der Gnade Gottes
Beim letzten Beispiel handelt es ich nicht um ein Akronym, sondern um ein ausgeschriebenes Wort, welches wiederum mit dem biblischen Gott in Verbindung gebracht wird. Das Schwert, welches vermutlich auf Ende des 12. Jahrhunderts datiert werden kann, besitzt eine Klingeninschrift, welche eine vertiefte Kenntnis des christlichen Glaubens voraussetzt, um deren Gehalt zu verstehen. Das Schwert besitzt einen schön gearbeiteten pilzartigen Knauf aus Bronze mit tauschierten Linien. Die Parierstange besitzt einen runden Querschnitt und die lange Klinge beidseitig eine Hohlkehle. Während eine Klingenseite nur noch Reste der Verzierung besitzt, zeigt die andere Hohlkehle folgende Inschrift: AINANIADer Wortlaut AINANIA ist in wiederum in Romanischen Majuskeln eingeschrieben und weist Reste einer Eisentauschierung auf. Interessant sind zwei Merkmale der Inschrift. Erstens handelt es sich um ein Palindrom, welches vorwärts wie auch rückwärts gleich gelesen werden kann. Zweitens steht der mittlere Grossbuchstabe «A» auf dem Kopf. Das Wort AINANIA stellt hier, wohl zwecks des Palindroms, eine Verballhornung des hebräischen Verbalsatzes «Gott ist gnädig» dar. Dieser fand als männlicher Personennamen «Hananja» oder «Anania» in der Bibel Verwendung. Er besteht aus dem Verb ḥnn«gnädig sein/sich gnädig erweisen» (3. Person Singular Perfekt) und aus der Kurzform des Gottesnamens JHWH im Subjekt an zweiter Stelle, also «Jah(we) ist gnädig (gewesen)». Somit lässt sich auch die Schreibweise als Palindrom und mit dem auf dem Kopf stehenden «A» erklären. Egal wie man das Schwert auch wendet oder dreht, die Aussage um die Gnade Gottes bleibt stets dieselbe.
Die verwendeten Buchstaben sind streng geometrisch und linear aufgebaut und zeigen noch keine «Schwellungen» der Striche auf, wie es beim Übergang zur gotischen Schrift der Fall sein wird. Die Schriftform und die Eisentauschierung verweisen die Klinge wahrscheinlich ins letzte Viertel des 12. Jahrhunderts.
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