Impressionen des Fête des Vignerons 1905. confreriedesvignerons.ch

Der Klang der Romandie

Wie der Komponist Gustave Doret (1866–1943) ein musikalisches Wahrzeichen der Schweiz schaffte.

Jean-Jacques Langendorf

Jean-Jacques Langendorf

Studienleiter des Institut de stratégie comparée in Paris.

Gustave Doret kommt in Aigle (VD) in einem schönen, von Weinbergen umgebenen Landhaus zur Welt. Sein Vater, ein wohlhabender Bourgeois, ist ein begeisterter Musikliebhaber. So kommt es, dass Gustave sein Studium der Naturwissenschaften schon bald abbricht, um sich der Musik zu widmen. In Berlin ist er Schüler von Joseph Joachim, einem der grössten Violinisten seiner Zeit. In Paris studiert er beim Komponisten Jules Massenet und lässt sich von Musikern wie Camille Saint-Saëns und César Franck beeinflussen.
Porträt von Gustave Doret im Programm der Aufführung «La Nuit des Quatre-Temps», Théâtre du Jorat, 1912.
Porträt von Gustave Doret im Programm der Aufführung «La Nuit des Quatre-Temps», Théâtre du Jorat, 1912. Bibliothèque de Genève
Porträt von Gustave Doret, von Ernest Biéler um 1910.
Porträt von Gustave Doret, von Ernest Biéler um 1910. Wikimedia
Gustave Dorets Schaffen ist sehr vielseitig. Zunächst arbeitet er als Dirigent: Ab 1893 ist er als zweiter Dirigent der angesehenen Concerts d’Harcourt, anschliessend auch als Dirigent der Pariser Société Nationale de Musique tätig. Ab 1907 übernimmt er die musikalische Leitung der Opéra-Comique in Paris. Im Dezember 1894 wird unter seiner Leitung die sinfonische Dichtung «Prélude à l’après-midi d’un faune» des Komponisten Debussy uraufgeführt, dem er mit kritischer Bewunderung gegenübersteht. Einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter erklimmt Doret 1906 mit der Aufführung seiner dramatischen Komposition in zwei Akten «Les Armaillis» an der Pariser Opéra-Comique. Einige Jahre danach vertont er die Werke «Aliénor» (1910), «La Nuit des Quatre-Temps» und «La Tisseuse d’orties» seines Freundes René Morax. Im Jahr 1914 entsteht dann sein Drama «Tell». Mit der Musik zu den Fêtes des Vignerons von 1905 und 1927 feiert Gustave Doret, zumindest in der Schweiz, seine grössten Erfolge. Bei der Betrachtung seines Gesamtwerks, das ganze 379 Stücke umfasst, fällt auf, dass Gesang und Chormusik einen zentralen Platz einnehmen. Denn Doret hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Seele seines Landes im Gesang widerzuspiegeln. Seine Musik mit ihrem volkstümlichen und einfachen Charakter wird auch heute noch gesungen.
Plakat zur Aufführung von Aliénor in Mézières, 1910.
Plakat zur Aufführung von Aliénor in Mézières, 1910. Galerie 123
Seit den 1930er-Jahren gilt Dorets Werk als musikalisches Wahrzeichen der Schweiz. Seine Ideen zu verschiedensten Themenbereichen, darunter die Neuorganisation der Militärkapellen, sind richtungsweisend. Er erarbeitet den musikalischen und gesanglichen Lehrplan der waadtländischen Schulen. Gleichzeitig ist Doret Botschafter der Schweizer Musik in Europa. So vertritt er sein Land unter anderem in Wien anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Todestag Ludwig van Beethovens. Auch in Frankreich bleibt er unvergessen: Dort verleiht man ihm den Orden der Ehrenlegion und er wird Mitglied des Pariser Institut national de Musique – eine seltene Ehre für einen Nicht-Franzosen.
Stimme von Gustave Doret, anschliessend das «Chanson du Chevrier» für das Fête des Vignerons 1927. YouTube
Gustave Doret tut sich auch als Autor hervor und schreibt nicht selten mit spitzer Feder. Zwischen 1917 und 1942 veröffentlicht er fünf Werke, als letztes seine Memoiren. Seine Artikel und Chroniken in den Zeitungen Gazette de Lausanne und Journal de Genève setzen sich für die musikalische Unabhängigkeit der Westschweiz ein. Er prangert die schwache Kulturpolitik seines Landes, die Mittelmässigkeit der musikalischen Schulbildung, aber auch das Schweizer Geschäft mit dem Tourismus an. In seinen Texten wie auch in seinen Briefwechseln wird er nicht müde, sich kritisch zu äussern. So bezeichnet er die «Geschichte vom Soldaten» von Igor Stravinsky und Charles-Ferdinand Ramuz als «lächerlich», Jaques-Dalcroze als «mittelmässig», Abbé Joseph Bovet als «fürchterlichen Amateur» und Richard Strauss' «Elektra» als «entsetzlich». Auch Bartók, Martinù und Hindemith überzeugen ihn nicht. Politisch sieht er den Völkerbund als beispielhaft für «schadenbringenden Parasitismus». Die Juden betrachtet er als Verbündete der Bolschewiken, die seiner Ansicht nach das gesellschaftliche Leben und die Musik verderben. «Diese Leute der Ballets Russes, Diaghilev und sein Fürsprecher Ernest Ansermet, haben uns die Fête des Narcisses vergällt. Und bald sind dann auch die Fêtes des Vignerons an der Reihe!»
Impressionen und Musik des Fête des Vignerons 1905. confreriedesvignerons.ch
Am Ende seines Lebens fühlt sich der Komponist – ein eiserner Junggeselle – zunehmend isoliert. Er versteht seine Zeit und ihre Musik nicht mehr. Drei Jahre vor seinem Tod schreibt er: «Die Welt ist in einer Schieflage. Gerechtigkeit ist zu einem leeren Wort verkommen, dessen Sinn niemand mehr kennt.» Radiosendung des SRF zu Gustave Doret

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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