
Amüsantes Reisetagebuch zeigt die Schweiz um 1837
Mit humorvollen Texten und comicartigen Bildern hielt der deutsche Theologe Carl August Wildenhahn seine Reise durch die Schweiz des 19. Jahrhunderts fest.



Wir hatten frische Kräfte und erreichten von der Staffel aus in einer halben Stunde den Kulm, wo wir in dem reinlichen Wirthshause eine freundliche Aufnahme fanden. Von Aussicht war noch wenig Rede – uns blieb zurzeit nur die Einsicht im Hause übrig.»

Ein Kapuziner, ein großer starker Mann mit brauner lederderber Kutte, einen weißen Strick um seine Hüften, in der Kapuze das blaue Schnupftuch, und in der Ärmeltasche die Dose, aus der er fleißig schnupft, aber Niemandem davon anbietet. Er ist der Pater Superior im Klösterle, – trägt sein Brevier bei sich und lässt sich Kaffee, Wein, Brot und Käse, der ihm um Gottes Willen gereicht wird, trefflich schmecken. Ich conversire mit ihm lateinisch, das ihm etwas schwer wird, doch geht’s noch. Ich biete ihm eine Cigarre – die er nicht annimmt: es rauche auch keiner im Kloster – obgleich es nicht verboten sei.
Er erzählte uns, dass im Winter nur zwei Fratres im Kloster bleiben, im Sommer aber deren sechs oder acht da sind. Der Wirth hier heißt Bürgi, ein stiller, fast plumper Mann, dagegen seine Frau Lisette ein hübsches junges Weib in Schwyzer Landestracht. Sie hat früher eine Zeit lang in Dresden gelebt – sich von einem treulosen Mann lange Zeit betrügen lassen, und lebt jetzt auf dem Rigi-Kulm zufrieden doch wie es scheint, glücklicher wachend als zunacht. Ihre Gesellschafterin hier, ein junges hübsches Mädchen wurde von mir anfangs für die Wirthinn gehalten; sie sagte aber erröthend: ‹Verzeihens, Herr – i bi nit d’Madam.› – Jetzt zeigte sich auch ein Engländer mit seiner Frau, der seit drei Tagen schon hier auf liegt und auf gutes Wetter wartet; ein ächt inglisch Beefsteak-Gesicht mit Speciesthalerknöpfen auf dem Mac Intosh Rock und den Guide de Voyageurs in der Hand.»

Mir lief Todesangst durch die Seele – Was tut Mylady? Sie lächelt und geht mit dem Führer ins Wirthshaus zurück. Endlich nach einer halben Stunde kommt Mylord wieder heraufgekrochen. Hei, die Freude des Wiedersehens muss ich sehen. Ich gehe mit ihm ins Haus. Mylady sitzt auf dem Sopha und liest. Mylord tritt ein, kein Grüssen, keine Fragen. Keiner sieht den Andern an. Der Führer schüttelt den Kopf. Originales Volk die Engländer!
Auch hier gibt’s schlechten Kaffee, wie in der ganzen Schweiz, desto bessere Milch, welche auch in größerem Maße, als der Kaffee gegeben wird. Die Kulm-Bibliothek umfasst die meisten und besten französischen und deutschen Classiker der belletristischen Literatur.»
Warum die Jungfrau Madame Meyer genannt wird
Neben uns steht der Engländer, die breiten Ohren seiner Pelzmütze heruntergeklappt, die Bergkarte in der Hand, und neben ihm der Führer, der ihn auf allen Tritten und Schritten begleiten muss, um sogleich Alles zu erklären, wobei er mit seinem Regenschirme in die Luft hinaus figurirt. Mylady steht dabei und zittert vor Frost. Sie hält sich mit beiden Händen den Strohhut, läuft auf und nieder, denn es weht ein arger, kalter Sturm, und trägt den Bergstock unterm Arme.»

Schon um 3 Uhr trieb mich der Eifer, den Sonnenaufgang zu sehen, aus dem Bette. Bald erscheinen Mylord und Mylady, die, wie wir am Abend erfuhren, amerikanische Engländer sind, mit ihrem Führer, und spazieren der Kälte wegen, munter auf und nieder. Ich kanns nicht beschreiben genug. Die Sonne kam bald in ihrer ganzen Herrlichkeit und völlig unbedeckt strahlte sie auf die silberweißen Alpen des Berner Hochlandes. Die grandiose Jungfrau mit ihren gigantischen Nachbarn blickte ruhig in der Sonne Antlitz hinein, bis sich vor Scham ihre schneeigen Wangen röteten. Glückliche Menschen, die wir sind – glücklicher als der Mylord, der trotz des Führers Explicationen die Jungfrau nicht herausfinden kann.»