
Als der Papst nach Liechtenstein entführt werden sollte
Liechtenstein spielte im 20. Jahrhundert zweimal eine Rolle bei Konflikten mit dem Vatikan. Einmal wollte man dem Papst das Fürstentum schenken. Das andere Mal sollte er dorthin entführt werden.
Nachdem Italien 1870 den Kirchenstaat erobert und den Vatikan in den Nationalstaat Italien integriert hatte, wurde nach einer Lösung gesucht. Der Papst brauche ein souveränes Staatsgebiet, lautete eine Forderung, denn nur ein wirklicher territorialer Besitz könne dem Heiligen Vater diejenige Freiheit gewährleisten, die er zur Ausübung seines Amtes benötige. Der Papst müsse ein wirklicher Souverän sein und nicht einfach nur das Oberhaupt der Kirche, dem die Staaten lediglich souveräne Ehrenrechte zubilligten.
Im Frühjahr 1916 drängte der Vatikan, Erzberger solle Verhandlungen mit dem Haus Liechtenstein aufnehmen. Als Realpolitiker ging Erzberger nicht davon aus, gleich zu einem Ergebnis zu kommen. Deshalb hatte er mehrere Möglichkeiten ausgedacht: Dem Fürsten von Liechtenstein könnte der österreichische Kaiser in seinem Reich einen Realersatz für das Fürstentum anbieten, Liechtenstein könnte in einen Staat für den Papst und für den Fürsten aufgeteilt werden oder das Fürstentum könnte vergrössert werden – entweder durch die Angliederung eines zusätzlichen Gebietes an die bestehende Landesfläche oder gar durch eine Insel.


Hitler will den Papst entführen
Im Fürstentum war man offensichtlich nicht auf dem neuesten Kenntnisstand, wie sich später herausstellte. Der Deutsche Karl Wolff, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, war am 8. September 1943 von Reichskanzler Adolf Hitler zum «höchsten SS- und Polizeiführer in Italien» ernannt worden. Wie Wolff in späteren Interviews ausführte, wollte Hitler den Vatikan mit deutschen Truppen besetzen und den Papst «nach Norden bringen», also entführen. Entweder nach Deutschland oder besser nach Liechtenstein. Hitlers Grund dafür war die Angst, dass Papst Pius XII. in alliierte Hände fallen oder unter den Einfluss der Alliierten geraten könnte.
Die Deutschen hatten auch einen Plan, wie das Papst-Kidnapping gegenüber der Welt gerechtfertigt werden sollte, wie Karl Wolff später in einem Interview sagte: Wie schon in anderen Fällen hätte man irgendein Dokument entdeckt, dass der Papst zum Sturz von Mussolini beigetragen habe, anschliessend hätte Reichspropaganda-Minister Goebbels eine flammende Rede gehalten und in Rom hätten die Deutschen die «Operation» zu Ende geführt.


Der irre Plan Hitlers, den Heiligen Vater in das neutrale Liechtenstein zu entführen, gelangte letztlich nicht zur Ausführung. Im Umkreis des Führers hatte sich offenbar die Meinung durchgesetzt, ein Sturm auf den Vatikan mit der Entführung des Papstes werde von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung nicht unterstützt. Zudem gab der Vatikan-Botschafter Ernst Freiherr von Weizsäcker entgegen den Plänen Adolf Hitlers die feste Zusicherung ab, das Deutsche Reich werde die Souveränität des Vatikans respektieren.


