Die Militärschule auf der Thuner Allmend. Foto aus den 1860er-Jahren.
Louis-Napoleon, der spätere Kaiser Frankreichs, verdiente sich seine militärischen Sporen in der Thuner Militärschule ab. Sammlung Schloss Thun

Als Napoleon III. in Thun zur Schule ging

Thun lockte im 19. Jahrhundert viele Touristen an. Der spätere Kaiser Napoleon III. kam jedoch nicht zur Entspannung ins Berner Oberland, sondern zur Ausbildung.

Medea Vögeli

Medea Vögeli

Medea Vögeli studiert Geschichte an der Universität Bern und arbeitet im Schloss Thun.

Charles Louis Napoleon Bonaparte, der spätere Napoleon III., wurde am 20. April 1808 in Paris geboren. Seine Eltern waren Louis Bonaparte, der Bruder von Napoleon I. und dessen Stieftochter Hortense de Beauharnais. Als Napoleons Herrschaft nach der Schlacht bei Waterloo 1815 endete, war die Familie gezwungen, ins Exil zu gehen. Hortense de Beauharnais zog in den Thurgau, wo sie zwei Jahre später das Schloss Arenenberg kaufen konnte. Neben Aufenthalten in Konstanz und Augsburg verbrachte Charles Louis Napoleon, auch Louis-Napoleon genannt, einen Grossteil seiner Kindheit auf Arenenberg und sprach wie ein waschechter Thurgauer. Mit 22 Jahren begann er die Ausbildung an der Eidgenössischen Central-Militärschule in Thun.
Das Schloss Arenenberg auf einer Lithografie aus dem 19. Jahrhundert.
Louis-Napoleon zog es vom noblen Schloss Arenenberg... Wikimedia / Schweizerische Nationalbibliothek
Postkarte der Kaserne Thun, um 1900.
... in die Thuner Militärkaserne. Zumindest für die Ausbildung. Genächtigt hat er standesgemäss im Hotel. Schweizerisches Nationalmuseum
Nach der Schlacht bei Waterloo war am Wiener Kongress beschlossen worden, die Schweizerische Eidgenossenschaft als unabhängiges, neutrales Land zu erhalten. Dadurch sollte eine Pufferzone zwischen den Grossmächten Frankreich und Österreich entstehen, um den fragilen Frieden in Europa zu stabilisieren. Falls nötig sollte diese Pufferzone auch militärisch verteidigt werden können. Dafür musste die Eidgenossenschaft allerdings ein gemeinsames Heer aufstellen. In der Folge wurde 1817 das Allgemeine Militär-Reglement für die Schweizerische Eidgenossenschaft verabschiedet. Die Ausbildung der Soldaten blieb jedoch Sache der Kantone. Immerhin wurden einige sogenannte interkantonale Übungslager durchgeführt. Mit der Organisation der militärischen Ausbildung stiessen die Kantone schnell an ihre Grenzen. Vor allem bei der Schulung von Offizieren fehlte es an allen Ecken und Enden. Deshalb wurde 1818 die Eidgenössische Central-Militärschule in Thun ins Leben gerufen. Im Berner Oberland sollte das militärische Kader der Eidgenossenschaft den letzten Schliff erhalten. Bereits 1819 wurden auf der Allmend die ersten Kurse durchgeführt. Unter anderem von Guillaume Henri Dufour, einem der Gründungsmitglieder der Schule.
Porträt des jungen Guillaume Henri Dufour, um 1830.
Porträt des jungen Guillaume Henri Dufour, um 1830. Wikimedia
Da Louis-Napoleon grosses Interesse am Militärischen hatte und an der Eidgenössischen Central-Militärschule auch Ausländer zugelassen waren, stellte er 1828 erstmals ein Aufnahmegesuch. Dufour, bis 1831 Oberinstruktor an der Schule, lehnte dieses zunächst ab. Ein Jahr später unternahm der Franzose einen weiteren Versuch, worauf er eine Zusage erhielt. Mitte Juli 1830 zog Louis-Napoleon mit weiteren Offizieren in das Hotel Freienhof in Thun ein und begann seine militärische Ausbildung auf der Allmend. Der Schulalltag begeisterte ihn derart, dass er bereits wenige Wochen später eine Fortsetzung des Unterrichts im nächsten Jahr beantragte. Auch im Osten des Landes waren man begeistert. Nicht von der Militärschule in Thun, sondern von ihrem Schüler Louis-Napoleon. Der Kanton Thurgau ernannte den Franzosen 1832 zum Ehrenbürger. Durch diesen Akt erhielt der «Thurgauer» auch die Schweizer Staatsbürgerschaft. Aus diesem Grund konnte der spätere französische Kaiser im Juli 1834 zum Berner Artillerie-Hauptmann ernannt werden und auch an den eidgenössischen Übungslagern teilnehmen.
Ein Berner Artillerie-Hauptmann namens Charles Louis Napoleon Bonaparte. Lithografie, um 1836.
Ein Berner Artillerie-Hauptmann namens Charles Louis Napoleon Bonaparte. Lithografie, um 1836. Sammlung Schloss Thun
Louis-Napoleons Ausbildung ging bis 1836 weiter. Im selben Jahr initiierte er einen Putschversuch gegen König Louis Philippe in Strassburg. Als dieser misslang, wurde er nach Amerika verbannt. Doch bereits nach einem Jahr kehrte der französisch-schweizerische Doppelbürger in den Thurgau zurück – ans Sterbebett seiner Mutter Hortense de Beauharnais. Dies führte schnell zu politischen Verstimmungen und Frankreich verlangte von der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Ausweisung von Louis-Napoleon. Für die Eidgenossen war es jedoch undenkbar, einen Staatsbürger zu vertreiben. Nur die freiwillige Ausreise des «Thurgauers» verhinderte schliesslich eine militärische Eskalation zwischen den beiden Ländern. 1848 wurde Louis-Napoleon zum Präsident von Frankreich gewählt und rund vier Jahre später liess er sich – wie sein Onkel Napoleon I. fast 50 Jahre zuvor – zum Kaiser von Frankreich krönen. Seine Herrschaft ging nach einer entscheidenden Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg zu Ende. Napoleon III. wurde 1870 in Sedan gefangengenommen und in der Folge ins Exil nach Grossbritannien geschickt, wo er drei Jahre später starb.
Napoleon III., Kaiser von Frankreich, auf einem Bild von 1869.
Napoleon III., Kaiser von Frankreich, auf einem Bild von 1869. Library of Congress
Sein Interesse an Waffen und militärischen Themen mündeten in einer Publikation, welche 1833 unter dem Titel «Manuel d’artillerie à l’usage des officiers d’artillerie de la République Helvétique» veröffentlicht wurde. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der eidgenössischen Armee, die einige Ideen aus dieser Schrift umsetzte. Beispielsweise die Einführung der französischen 8-Pfünder-Gebirgshaubitze in der Artillerie.
Napoleons Werk über das schweizerische Militär, 1830er-Jahre.
Napoleons Werk über das schweizerische Militär, 1830er-Jahre. e-rara
Diese Faszination am Militärischen verband Louis-Napoleon und Guillaume Henri Dufour und der Genfer wurde bald zum väterlichen Freund des Franzosen, was Auswirkungen auf dessen Handeln hatte. Als Mitbegründer des Schweizerischen Roten Kreuzes und der Genfer Konvention vertrat Guillaume Henri Dufour humanitäre Grundsätze, welche für den Schweizer insbesondere im Krieg zentral waren. Diese Grundsätze schienen auch auf Napoleon III. abgefärbt zu haben. Der französische Kaiser war im Gegensatz zu seinem Onkel eher kriegsscheu und versuchte, bewaffnete Konflikte möglichst zu verhindern. Falls dies nicht möglich war, vertrat er einen ähnlichen humanitären Ansatz wie Dufour. Das zeigte sich exemplarisch 1870 in der Schlacht von Sedan: Die französische Armee war umzingelt und Napoleon III. kapitulierte mit dem Ziel, so das Leben seiner Offiziere und Soldaten zu retten. Als Folge wurde Napoleon III. gefangen genommen und ins Exil geschickt.
Napoleon III. kapituliert 1870 in Sedan. Gemälde von Richard Knötel, 1914.
Napoleon III. kapituliert 1870 in Sedan. Gemälde von Richard Knötel, 1914. Wikimedia
Die Beziehung von Napoleon III. zur Schweiz könnte man wohl am besten mit einem Zitat des französischen Herrschers zusammenfassen. Es stammt aus einem Brief an seine Mutter: «Jeder Mensch trägt in sich eine Welt, die sich aus allem zusammensetzt, was er gesehen und geliebt hat, und in die er immer wieder zurückkehrt, selbst wenn er eine fremde Welt durchstreift.»

Schloss Thun

Die Dauerausstellung präsentiert auf sieben Stockwerken die über 800-jährige Geschichte des Schlosses, der Stadt Thun und der Region entdeckt werden. In der Sonderausstellung «Bewahrte Schätze – Einblicke in die Keramiksammlung der Stiftung Schloss Thun» wird der Fokus auf das Sammeln und Erforschen von regionalen Objekten und deren Produktion gelegt. Sie läuft bis zum 17. März 2025.

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