Johann Heinrich Furrer vergiftete seine Eltern mit Arsen. Illustration von Marco Heer

Eine Wurst, Arsen und die Todesstra­fe: Der Fall Furrer

Der Fall des Mörders Johann Heinrich Furrer entfachte in den 1860er-Jahren eine hitzige Diskussion um die Abschaffung der Todesstrafe.

Patrik Süess

Patrik Süess

Patrik Süess ist freischaffender Historiker.

Johann Heinrich Furrer, ein junger, noch nicht ganz 20-jähriger Metzgermeister mit eigenem Geschäft im zürcherischen Dürnten, bereitete sich auf seine Hochzeit vor. Im Mai 1864 hatte er mit Barbara Hotz auf dem Bachtel Ringe getauscht, dann kauften die beiden Hausrat ein. Am 18. Juli wollten sie ihre Verlobung öffentlich machen. Vier Tage davor besuchte Furrer seine Eltern, wohlhabende Bauersleute, und seine elfjährige Schwester Luise in Pfäffikon (ZH). Er hatte eine frische Wurst mitgebracht, die von den dreien kalt angemacht mit Gartensalat verspeist wurde. Nach einer halben Stunde ging er bereits wieder. Die Mutter begleitete ihn ein Stück des Weges und nahm dann weinend Abschied: «Sie weinte jedesmal beim Abschied», sagte Furrer später, «denn sie hatte mich lieb und ich sie auch». Furrer selbst war an diesem Tag ebenfalls aufgewühlt. Er ging den ganzen Weg zu Fuss heim, er wollte nicht auf die Eisenbahn, weil er immer weinen würde.
Ausschnitt aus einem Panorama vom Landsberg bei Pfäffikon, 1897.
Ausschnitt aus einem Panorama vom Landsberg bei Pfäffikon ZH, 1897. e-rara
Der Grund für seinen inneren Aufruhr: Er hatte soeben einen Mordanschlag auf seine Familie verübt. Im Verlaufe der darauffolgenden Nacht starben nach stundenlangen Qualen zuerst seine Mutter und dann sein Vater. In der mitgebrachten Wurst hatte sich nämlich Arsen befunden, und zwar in einer Menge, die zur Tötung von zehn Menschen ausgereicht hätte. Nur seine Schwester überlebte, da sie vor dem Schlafengehen nur ein «Rügelchen» der Wurst gegessen hatte. Obwohl Furrer nach seiner Verhaftung behauptete, dass ihn die Tat schon auf dem Heimweg nach Dürnten «reute», war er bei der Vorbereitung berechnend und kühl vorgegangen: «Ich nahm eine vergiftete Brätkugel, knetete sie mit der Hand mit dem übrigen Brät, damit die ganze Wurst vergiftet werde und legte sie beiseite. Dann ging ich in die Sonne und trank einen Schoppen.»
Der Fall Johann Heinrich Furrer, der Elternmörder, wurde 1867 im Neuen Pitaval – einer Sammlug von «interessanten Kriminalgeschichten» – publiziert.
Der Fall Johann Heinrich Furrer, der Elternmörder, wurde 1867 im Neuen Pitaval – einer Sammlug von «interessanten Kriminalgeschichten» – publiziert. Bayerische Staatsbibliothek

Das Motiv

Nach seinen Motiven befragt, gab Furrer an, dass seine Eltern sich gegen seine Hochzeit mit Barbara Hotz gewandt hätten. Sie hätten sich eine wohlhabendere Frau für ihn gewünscht und sein Vater habe verlauten lassen, «wenn ich die Barbara nähme, so gebe er mir kein Geld mehr, sei nicht mehr Bürge für mich und dürfe ich nicht mehr heimkommen».  

Ich schlief mit den Aeltern in Einer Kammer. Sie waren immer gut mit mir und ich hatte sie gern. Geld jedoch, um mir etwas zu kaufen, gaben sie mir nie, auch an Festtagen nicht. Wir feierten auch Weihnach­ten nicht. Zu essen hatte ich genug.

Ein Auszug aus dem Neuen Pitaval, wie Furrer seine Kindheit beschreibt.
Furrer ging noch weiter: Er klagte seine Verlobte der Mittäterschaft an. Barbara habe ihm den Gedanken in den Kopf gesetzt, wie schön es wäre, wenn seine Eltern nicht mehr lebten und ihn dann gefragt, ob das Arsen, das er zur Bekämpfung der Rattenplage in der Metzgerei ausgelegt hatte, wohl auch bei Menschen wirken würde. Den Mord hätten sie darauf gemeinsam geplant. Kurz: «Meine Bekanntschaft mit Barbara war mein Unglück.» Barbara Hotz dagegen, die ebenfalls verhaftet wurde, widersprach dieser Version vehement: «Gott ist mein Zeuge», rief sie aus, «dass ich von der vergifteten Wurst nichts gewusst habe.» Obwohl sich der Verdacht gegen sie nie ganz ausräumen liess, wurde mangels weiterer Belastungsmomente schliesslich auf eine Anklage gegen sie verzichtet. Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich stattdessen auf finanzielle Beweggründe, die Furrer zum Mord an seinen wohlhabenden, aber auch extrem sparsamen (manche meinten: geizigen) Eltern getrieben haben könnten: «In Dürnten wird er nachlässig, besorgt nicht gehörig sein Geschäft, ist der selbstständigen Betreibung desselben nicht gewachsen.» Bereits die erste Mietzins-Rate für sein Geschäft, die im Mai 1864 fällig wurde, hatte Furrer nicht bezahlen können.

Ein klarer Fall für die Todesstrafe?

Dem Schwurgericht in Pfäffikon blieb Ende September 1864 keine andere Wahl, als Furrer zum Tod zu verurteilen. Das Zürcher Strafgesetzbuch von 1836 sah die Todesstrafe bei vollendetem Mord und besonders schweren Fällen von Raub und Brandstiftung vor. Hinrichtungen fanden noch immer öffentlich statt, seit den 1840er-Jahren durch Enthauptung mit der Guillotine.
Die Guillotine von Luzern.
Die Guillotine von Luzern. © MUSEUM LUZERN / Foto: Theres Bütler
Allerdings war der Zürcher Grosse Rat befugt, Begnadigungen auszusprechen. Und tatsächlich empfahl die Kommission, die zur Prüfung des entsprechenden Gesuches eingesetzt wurde, in diesem Fall das Todesurteil in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umzuwandeln. Zur Begründung gab sie zunächst das Alter des Verurteilten an. Zur Tatzeit war Furrer noch 19 Jahre alt, und wäre er nur 48 Wochen jünger gewesen, so wäre ein Todesurteil ohnehin nicht in Frage gekommen. Weiter ging die Grossratskommission auf Furrers Charakter ein, der ihr ein «psychologisches Räthsel» war: Sie konstatierte «Gefühlsarmuth», «kalt und ruhig» sei er beim Geständnis gewesen, und auch als das Todesurteil über ihn gesprochen wurde, habe es «kein äusseres Zeichen von Rührung bei dem Delinquenten» gegeben. Dass er für seine Tat bestraft werden könnte, sei ihm «unglücklicherweise nicht in den Sinn gekommen. Der Gedanke an Strafe», so Furrer, «würde ihn von dem Verbrechen zurückgeschreckt haben». Dafür bemitleidete er sich und seine Situation: «Ich komme um Credit und Alles, und habe dazu meine Eltern verloren!»

Entweder ist er stumpf wie ein Thier oder, wenn das nicht, ein furchtbar verwor­re­ner und beschränk­ter Kopf, dessen dunkle Gedanken­gän­ge in trüber Stunde nach dem Haltepunkt suchten und einen brutalen, naturwid­ri­gen Mord fanden. Ein solch krankhaft organi­sirter Mensch bedarf der Strafe, aber nicht Tod; Züchti­gung, aber zur Besserung. Vor allem bedarf er des Lebens.

Auszug aus dem Neuen Pitaval, der 1867 veröffentlicht wurde.

Ein Prozess, viele Diskussionen

Furrers Prozess fiel mitten in die Diskussion um die Zukunft der Todesstrafe. Liberale Kräfte hielten sie nicht mehr für zeitgemäss, sie passe nicht in eine zivilisierte Gesellschaft. Habe der Hauptzweck der Strafe einst in der Abschreckung gelegen, so sei das neue Ziel die Besserung des Täters. Ausserdem würden gerade die öffentlich vollzogenen Hinrichtungen das Publikum nicht zu besserem Verhalten erziehen, sondern es vielmehr verrohen lassen. «Mehrere Staaten», so die Grossratskommission «haben die Todesstrafe abgeschafft, andere bereiten sich auf die Abschaffung vor. Auch im Canton Zürich mehren sich die Gegner der Todesstrafe, insbesondere im Grossen Rath. Zürich befindet sich wie andere Staaten in der Übergangsperiode.» Es sei nun die Aufgabe des Grossen Rates, durch Begnadigungen «diese Übergangsperiode abzukürzen, damit in nicht allzu ferner Zeit die Guillotine zu den Antiquitäten gehöre.»
Die Meinungen über die Abschaffug der Todesstrafe waren im grossen Rat gespalten. Ein Bericht aus dem Intelligenzblatt für die Stadt Bern vom 14. Januar 1864.
Die Meinungen über die Abschaffug der Todesstrafe waren im grossen Rat gespalten. Ein Bericht aus dem Intelligenzblatt für die Stadt Bern vom 14. Januar 1864.   e-newspaperarchives
Auch andere Progressive waren dieser Meinung. Salomon Bleuler-Hausheer, Redaktor des Winterthurer Landboten, drückte in einer eigens veröffentlichten Kurzschrift die Hoffnung aus, dass der Fall Furrer das Schicksal der Todesstrafe für den Kanton Zürich endgültig besiegeln werde. Dieser Elternmord, gerade weil er so schrecklich sei, werde «zum Eckstein (werden), an dem hoffentlich das Blutgerüst zerschellt.» Und die Zeitung Der Bund meinte: «Wer in diesem Falle begnadigen kann, muss grundsätzlich gegen die Todesstrafe sein und es scheint wirklich in Anknüpfung an diesen Spezialfall die Abschaffung derselben angebahnt werden zu wollen.»
Die Kurzschrift von Salomon Bleuler-Hausheer bezüglich der Todesstrafe und dem Fall Johann Heinrich Furrer, 1864. Google Books

Die Entschei­dung: Begnadi­gung oder Todesstrafe?

Am 10. Oktober 1864 fand die Abstimmung über die Begnadigung statt. Die Grossräte mussten entweder eine weisse (für Begnadigung) oder eine schwarze Kugel (dagegen) in eine Urne legen. Am Ende waren es 161 weisse zu 55 schwarzen Kugeln. Die prinzipielle Gegnerschaft zur Todesstrafe dürfte für die meisten Befürworter einer Begnadigung das Hauptmotiv für ihre Entscheidung gebildet haben. Die Versicherung der Kommission, dass sich nicht nur im Grossen Rat, sondern auch in der breiten Bevölkerung die Stimmung gegen die Todesstrafe gewendet habe, war hingegen etwas voreilig. Viele Menschen zeigten keinerlei Verständnis für diesen Gnadenakt, und eine Flut von Protest-Leserbriefen erreichte die Zeitungen. Ihr Tenor: Solange solch abscheuliche Verbrechen wie Elternmord begangen würden, müsse es auch die Todesstrafe geben. Ein angetrunkener Bürger wurde kurzzeitig in Haft genommen, weil er öffentlich ausgerufen hatte: «Man hätte eine Guillotine vor das Grossrathshaus führen, und Jeden, der eine weisse Kugel eingelegt, sofort köpfen sollen!»
Der grosse Rat entschied mit 161 weissen zu 55 schwarzen Kugeln.
Der grosse Rat entschied mit 161 weissen zu 55 schwarzen Kugeln. Staatsarchiv Zürich
Doch war die Begnadigung Furrers nicht das Signal zur vollständigen Aussetzung von Hinrichtungen. Nur sieben Monate später, im Mai 1865, wurde der Kindermörder Heinrich Götti in Zürich enthauptet. Dies allerdings sollte die letzte Exekution im Kanton Zürich gewesen sein. Mit der neuen Kantonsverfassung von 1869 wurde die Todesstrafe dann wirklich und endgültig abgeschafft. Das galt jedoch nicht für die gesamte Schweiz. Zwar sah die totalrevidierte Bundesverfassung von 1874 die Todessstrafe nicht mehr vor, doch nur fünf Jahre später wurde, nach einer Volksabstimmung, den Kantonen die Kompetenz zurückgegeben, sie wieder einzuführen – was elf Kantone dann auch taten. Erst das Strafgesetzbuch von 1942 verbot die Todesstrafe im Zivilstrafrecht wieder schweizweit. Damit war die Eidgenossenschaft im europäischen Vergleich eher früh dran: Grossbritannien zum Beispiel schaffte die Todesstrafe erst in den 1970er-Jahren ab, Frankreich in den 1980ern. Jedoch kannte das Schweizer Militärstrafrecht die Todesstrafe in Kriegszeiten noch bis 1992.

Der Todesstra­fe entkommen, aber zu welchem Preis?

Der gängige Brauch, lebenslänglich Verurteilte nach 20 Jahren zu begnadigen, wurde an Furrer nicht geübt. 1885 wurde vermeldet, dass er sich noch im Gefängnis befinde und dort mit dem Spalten von Brennholz beschäftigt sei. 1892 folgte seine Überstellung von der kantonalen Strafanstalt in die «Irrenanstalt» Rheinau. Die Zeitungen schrieben, er sei «körperlich und geistig vollständig gebrochen». Im Frühjahr 1893 starb Johann Heinrich Furrer 48-jährig in Rheinau. Sein Vermögen von immerhin 40'000 Franken fiel an seine Schwester Luise.

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