
Kriegsverbrechen vor den Toren der Schweiz
An der Südgrenze der Schweiz, in der Region Ossola, eskalierte die Gewalt zwischen 1943 und 1945. Was folgte waren zahlreiche Kriegsverbrechen und hunderte von Toten. Rückblick in eine dunkle Zeit.

Die Absetzung Mussolinis und der Faschisten im Sommer 1943 in der Grenzregion zur Schweiz verlief in aller Stille. Es gab keine gewalttätigen Zwischenfälle und keine Abrechnung mit den Faschisten. Das änderte sich allerdings am 8. September 1943 mit der Ankündigung eines Waffenstillstands durch die Militärregierung von General Pietro Badoglio. Dieser schlecht geplante Waffenstillstand führte zu einem totalen Chaos. Über 600’000 Soldaten der italienischen Armee wurden in wenigen Wochen gefangen genommen und von den Deutschen, die dies als Hochverrat betrachteten, umgehend ins Reich deportiert.

Einige Offiziere des Bataillons, darunter auch Sepp Dietrich, ein früher Begleiter von Adolf Hitler, erkannten schnell, dass die Juden am Lago Maggiore grosse Summen bei sich hatten und traten sofort in Aktion, wobei sie innerhalb weniger Wochen mindestens 57 Juden töteten. Die Leichen wurden in Schulhöfen (Intra) verbrannt oder in den Lago Maggiore geworfen. Doch das Verhalten dieser Einheit wurde bald bekannt und weil sich die Lage an der Ostfront zunehmend verschlechterte, wurden das Bataillon zurück in den Osten verlegt.

Die Deutschen besetzen die Region zunächst mit der alten Zollgrenzschutztruppe. Sie erkannten jedoch schnell, dass eine besser ausgerüstete Truppe für den Kampf gegen die Partisanen notwendig ist. So kam es, dass die SS-Polizei im Januar 1944 zum ersten Mal zum Einsatz kam. Die Mitglieder dieser Truppe hatten an der Ostfront bereits Erfahrungen mit der Vernichtung von Zivilisten, Juden und in geringerem Masse auch von sowjetischen Partisanen, gesammelt.
Die SS-Polizei führte am 11. Februar 1944 in Megolo (Val Toce) eine erste grosse Razzia gegen den Partisanen-Capitano Filippo Beltrami durch. Während des gesamten Frühjahrs 1944 gab es mehrere Operationen gegen Partisanen, welche immer nach dem gleichen Muster verliefen: Partisanen zu töten, die wehrlose Bevölkerung zusammenzutreiben und die hauptsächlich männlichen Zivilisten ins Reich zu deportieren. Auch junge Zivilisten ab 15 Jahren wurden in die Arbeitslager nach Deutschland deportiert.

Die deutschen Verbrechen gingen auch im August weiter. Dörfer wurden niedergebrannt, Menschen als Vergeltungsmassnahme hingerichtet und selbst alte Menschen wurden in die Reichsarbeitslager nach Deutschland deportiert.
Die Republik Ossola
Doch die Republik währt nur kurz. Am 10. Oktober 1944 begann die deutsche Rückeroberung der Zona Libera Ossola. Die Partisanen wurden an zwei Seiten angegriffen und verloren innerhalb weniger Tage 200 Männer, die getötet und etwa 400, die nach Deutschland deportiert wurden. Die Deutschen, unterstützt von italienischen Faschisten, schlugen mit aller Härte zu und machten auch vor der Schweizer Grenze nicht Halt. Es kam zu heiklen Situationen. Beispielweise in Bagni di Craveggia, an der Grenze zum Onsernonetal, wo zwei Partisanen, die sich bereits auf Schweizer Boden befanden, von Faschisten tödlich verletzt wurden.

Anders war das Verhalten der Deutschen. Sie hatten das bevorstehende Ende längst erkannt und sich in den letzten Kriegsmonaten mehrheitlich in ihren Garnisonen eingeschlossen.

Die Bilanz des rund 20 Monate dauernden Konflikts in der Region Ossola-Lago Maggiore ist tragisch: 1200 tote Partisanen, 300 ermordete Zivilisten und mindestens 400 deportierte Menschen. 300 von ihnen kehrten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. Meist in einem sehr schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Auf auf der Seite der Faschisten gab es rund 400 Todesopfer. Die meisten von ihnen starben gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Abrechnungsaktionen. Die Zahl der im Ossola getöteten Deutschen ist laut verschiedenen Archivdokumenten sehr gering und belief sich auf höchstens 100 Soldaten.
Eine finanzielle Entschädigung von deutscher Seite gab es nie. Es gab zwei Prozesse gegen die Leibstandarte in Deutschland und Österreich, die aber mit einem Freispruch für die Angeklagten Offiziere und Soldaten endeten.