
Kriegsverbrechen vor den Toren der Schweiz
An der Südgrenze der Schweiz, in der Region Ossola, eskalierte die Gewalt zwischen 1943 und 1945. Was folgte waren zahlreiche Kriegsverbrechen und hunderte von Toten. Rückblick in eine dunkle Zeit.




Die Republik Ossola


3 Kommentare
Nach Einblick in die detaillierten Berichte der beiden beteiligten Tessiner Kompaniekommandanten ergänze und korrigiere ich meinen untenstehenden Kommentar zu den Bagni di Craveggia. In Spruga waren keine Füsilierkompanie, sondern Teile der durch einen Infanteriekanonenzug verstärkten Motorisierten Mitrailleurkompanie 9 von Hauptmann Tullio Bernasconi im Einsatz. Nicht aufgeführt in den Berichten ist der in einer früheren Publikation erwähnte Leutnant Nello Celio, der spätere Bundesrat. Klar ist dagegen die Präsenz des Leutnant des Infanteriekanonenzugs Enrico Franzoni, später Sindaco von Muralto, Nationalratspräsident und 1973 Bundesratskandidat. – Angesichts der Drohung der Faschisten der Decima MAS, einer berüchtigten Mörderbande, die bereits in der Schweiz internierten und entwaffneten Partisanen mit Gewalt zu holen, wurde in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober die Grenadierkompanie 30 unter dem Kommando von Oberleutnant (noch nicht Hauptmann) Bruno Regli von Monte Carasso nach Spruga verschoben. In dieser Kompanie war Leutnant Carlo Speziali ein Zugführer, später Sindaco von Locarno und Nationalrat. Die Grenadiere machten sämtliche verfügbaren Waffen bis zum Flammenwerfer zwischen der Landesgrenze bei den Bagni di Craveggia und Spruga zum Einsatz bereit. Die auch nach der Meinung deutscher Verbindungsoffiziere, mit denen die schweizerischen Kommandanten sprachen, völlig untauglichen Faschisten verzichteten angesichts der schweizerischen Feuerbereitschaft dann auf ihre angedrohte Aktion und zogen ab. Aus dem Bericht Regli ist die Enttäuschung der Tessiner Grenadiere darüber, dass sie nicht zum scharfen Schuss kamen, deutlich zu spüren. So oder so ist aber die Episode ein Ruhmesblatt in der Geschichte der schweizerischen Neutralität und der Tessiner Truppen.
Von noch grösserer Bedeutung, jedenfalls zahlenmässig, ist der Übertritt von über tausend Partisanen und Zivilisten vom 16. bis zum 22. Oktober 1944 aus der Repubblica di Val d’Ossola am schon verschneiten Giacomo-Pass in die sichere Schweiz. Am 22. Oktober kam dort dann auch die Regierung der kurzlebigen Republik über die Grenze. die Der damalige Tessiner Leutnant Bernardo Rovelli hat vom Grenzübertritt der Flüchtlinge eindrückliche Fotografien erstellt, auf meine Bitte 2010 mit 94 Jahren noch einen ausführlichen Bericht redigiert und alles im Staatsarchiv Bellinzona deponiert. Im Bedretto-Tal erinnert seit einigen Jahren eine Gedenktafel and diese humanitäre Aktion der Schweizer Armee.
Der erwähnte Vorfall vom 18./19. Oktober 1944 bei den Bagni di Craveggia zuhinterst im Onsernonetal, bei dem zwei Partisanen bereits auf Schweizer Boden von der faschistischen Miliz erschossen wurden, ist auch noch aus anderen Gründen bemerkenswert. In Spruga leistete eine Tessiner Füsilierkompanie Grenzschutzdienst und reagierte auf den Übergriff der Faschisten, indem sie ihrerseits das Feuer eröffnete. In dieser Kompanie war als Leutnant der spätere Bundesrat Nello Celio im Einsatz. Zur Verstärkung der Tessiner Füsiliere schickte man eine ebenfalls Tessiner Grenadierkompanie unter dem Kommando von Hauptmann Bruno Regli. In ihr leistete der spätere Nationalrat und Sindaco von Locarno Carlo Speziali Dienst.