John Zubly verschmolz Religion mit Politik und verglich Teile der Schweizer Geschichte mit dem amerikanischen Widerstand gegen Grossbritannien. Illustration von Marco Heer
John Zubly verschmolz Religion mit Politik und verglich Teile der Schweizer Geschichte mit dem amerikanischen Widerstand gegen Grossbritannien. Illustration von Marco Heer.

Die eidgenös­si­sche Seite der Amerika­ni­schen Revolution

Der Ostschweizer Hans Joachim Züblin hat im Amerika des 18. Jahrhunderts für Furore gesorgt. Als Prediger John Zubly verglich er die Eidgenossen mit den Rebellen, welche gegen Grossbritannien kämpften. Später wechselte er die Seiten, die Argumente blieben allerdings die gleichen.

Maximilian Spitz

Maximilian Spitz

Maximilian Spitz studiert Geschichte am Institute of Intellectual History in St Andrews, Schottland.

Hans Joachim Züblin, geboren 1724 in St. Gallen, wanderte in den 1740er-Jahren über England in die amerikanischen Kolonien aus. Dabei folgte er seinen Eltern, welche gut ein Jahrzehnt vorher die risikobehaftete Migration gewagt hatten. Unter dem anglisierten Namen John Joachim Zubly lebte der gebürtige Eidgenosse fortan in den Kolonien South Carolina und Georgia, wo er schon kurz nach seiner Ankunft voller Eifer als Pfarrer zu predigen begann. Eine offizielle Lizenz hatte der Ostschweizer dafür allerdings nicht. 1758 wurde der beim Volk beliebte Redner schliesslich als presbyterianischer Minister der Kirchgemeinde Savannah (Georgia) eingesetzt. Bis dahin führte Zubly noch ein relativ durchschnittliches Migrantenleben. In den 1760er-Jahren begann sich seine Lebenssituation jedoch zu verändern. Zunehmende Spannungen zwischen den amerikanischen Kolonien und der Regierung des Mutterlandes Grossbritannien veranlassten Zubly, sich in Pamphleten politisch zu äussern. In Disputationen und Predigten, welche abgedruckt und verteilt wurden, kritisierte Zubly die Behandlung der amerikanischen Bevölkerung durch die britische Regierung. Mit seiner Predigt The Stamp-Act Repealed äusserte sich der Pfarrer 1766 gegen die Stempelsteuer, welche die britische Regierung im Jahr zuvor den amerikanischen Kolonistinnen und Kolonisten auferlegt hatte. 1769 ging Zubly noch weiter, indem er die ganze Beziehung zum Mutterland in seinem A Humble Enquiry Into The Nature of the Dependency of the American Colonies upon the Parliament of Great-Britain hinterfragte.

Mitten­drin im Unabhängigkeitskrieg

Der Konflikt in den Kolonien brodelte indessen weiter. 1770 begingen die britischen Truppen das Boston Massacre, wobei fünf amerikanische Kolonisten durch die Redcoats, die Rotröcke, wie die britischen Soldaten genannt wurden, ihr Leben verloren. Bald einmal kam der rebellische Akt der Boston Tea Party, welche Unmengen an Tee von einem britischen Warenschiff in den Hafen warfen und dadurch zerstörten. Wiederum folgte Repression durch die Kolonialmacht. Und schliesslich kam es im April 1775 zum Spontangefecht britischer Soldaten mit den rebellischen Paramilitärs bei Lexington und Concord. Der Krieg war ausgebrochen.
Darstellung der Boston Tea Party von 1773.
Darstellung der Boston Tea Party von 1773. Wikimedia
Noch im selben Jahr schuf Zubly sein viel beachtetes Werk, die Predigt The Law of Liberty. Der schweizerisch-amerikanische Pfarrer war im Juli aufgrund seiner publizistischen Tätigkeiten am zweiten Provinzialkongress von Georgia eingeladen, wo er bei der Eröffnung jene Predigt vortrug. Der Text legt diverse Bibelstellen aus, wobei sich der vermittelte Inhalt auf eine gottgegebene und jedem zustehende Freiheit bezieht. Später, als Zubly zum Zweiten Kontinentalkongress eingeladen war, wurde die Predigt gedruckt und veröffentlicht, mitsamt Vorwort und – besonders interessant – einem Anhang, welcher die Geschichte des eidgenössischen Freiheitskampfes beschrieb.
Zublys «Law of Liberty» wurde 1775 gedruckt.
Zublys Law of Liberty wurde 1775 gedruckt. Internet Archive
«A Short and Concise ACCOUNT of the STRUGGLES of SWISSERLAND for LIBERTY» lautet die Überschrift des Anhangs, welcher 16 Seiten umfasst und knapp 200 Jahre Schweizergeschichte abdecken sollte. Nach einer Erklärung, dass die Eidgenossenschaft einer der wenigen wirklich freien Orte der Welt sei, folgt die klassisch ereignisgeschichtliche Erzählung der Schweizer Entstehungsgeschichte. Einst von Julius Cäsar erobert, danach von verschiedenen Herrschern regiert, schliesslich vom tyrannischen Habsburger Albert von Österreich terrorisiert. Nebst den Geschichten eines Arnold von Melchtal oder Walter Fürst spielt auch Willhelm Tells Apfelschuss in Zublys Ausführungen eine prominente Rolle. Alles mündet im Befreiungskrieg der Eidgenossen, welche nach Gesslers Tod und mit dem Burgenbruch die «fremden Vögte» aus dem Land jagten. Auch die Geschichte mit dem gescheiterten Vergeltungsschlag der Habsburger, welche beim Morgarten vernichtend besiegt wurden, fehlt in Zublys Schweizergeschichte nicht. Seine Botschaft war klar: Die Eidgenossen – fromme und einfache Menschen aus den Bergen – wurden von einer Übermacht angegriffen, welche sie jedoch immer wegen ihres Mutes und mitsamt Gottes Hilfe besiegen konnten.
Der wehrhafte Wilhelm Tell diente Zubly als Beispiel für mutigen Kampf gegen einen mächtigen Gegner. Druckgrafik, 19. Jahrhundert.
Der wehrhafte Wilhelm Tell diente Zubly als Beispiel für mutigen Kampf gegen einen mächtigen Gegner. Druckgrafik, 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
John Zublys Darstellung der eidgenössischen Befreiungskriege muss einen starken Eindruck bei den amerikanischen Rebellen hinterlassen haben. Viele Darstellungen entsprachen sowohl der Eidgenossenschaft wie auch den amerikanischen Kolonien: Beide waren arme Völker, wurden von «fremden Vögten» unterdrückt und kämpften gegen eine militärische Übermacht. Zublys Unterstützung für die amerikanische Unabhängigkeit schien daher offensichtlich. John Adams, Gründervater und später zweiter Präsident der USA, beschrieb den Schweizer als warmen und eifrigen Geist. Wenig später war alles anders: Zwischen 1775 und 1777 wurde Zubly heftig kritisiert, zweimal verhaftet und schliesslich aus seinem Wohnort Savannah verbannt – alles veranlasst durch die amerikanischen Rebellen. Was war geschehen, dass der «Freiheitskämpfer» von den eigenen Leuten dermassen abgestraft wurde?
Illustration von John Zubly in der Zeitung The Middletown News-Signal vom 29. Juli 1912.
Illustration von John Zubly in der Zeitung The Middletown News-Signal vom 29. Juli 1912. Quelle: Google Books / Middletown News-Signal

Vom Propheten zum Sünder

Kurz nach Ausrufung des Zweiten Kontinentalkongresses verliess Zubly diesen, da er mit dem Ziel einer vollständigen Loslösung der Kolonien von Grossbritannien nicht einverstanden war. Er habe es sich zur Aufgabe gemacht, immer von einem Bruch mit Grossbritannien abzuraten, rechtfertigte er sich in seinem Tagebuch. Zurück in Savannah, welches inzwischen vollumfänglich durch die Rebellen verwaltet wurde, weigerte sich der Pfarrer, auf den Kontinentalkongress zu schwören. Folglich wurde Zubly inhaftiert, jedoch kurz darauf wieder freigelassen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt galt er nicht mehr als Rebell, sondern als Loyalist. Nach einer weiteren Verhaftung 1777 wollten die Rebellen an John Zubly ein Exempel statuieren, damit die ihm ähnlichen «lauwarmen Patrioten» abgeschreckt würden. Der Eidgenosse wurde aus Savannah verbannt, sein Besitz beschlagnahmt und seine ganze Bibliothek in den Fluss geworfen. Zwar ist der genaue Umfang dieser Bibliothek unbekannt, doch von Zeitgenossen wurde sie als äusserst gross und kostbar beschrieben.
Der Angriff auf Savannah, dargestellt von Arthur Ignatius Keller.
Der Angriff auf Savannah, dargestellt von Arthur Ignatius Keller. Wikimedia / National Archives at College Park
Als die Briten Savannah 1779 zurückeroberten, kehrte Zubly zurück, jedoch mit einer neuen Gesinnung: Er hatte sich zum Hardliner der Loyalisten entwickelt. Seine Wut und Verachtung gegenüber den amerikanischen Rebellen äusserte der Eidgenosse in einer Vielzahl von Essays, welche er in der loyalistischen Zeitung The Royal Georgia Gazette unter dem Pseudonym Helvetius veröffentlichte. Die insgesamt neun Essays, welche mit Bibelzitaten und Verweisen auf grosse Philosophen der Zeit glänzten und gleichzeitig mit Hass gegen die Revolution strotzen, erschienen über zwei Jahre hinweg bis zum Tode von John Zubly.
Als Helvetius liess sich John Zubly in der Royal Georgia Gazette über die Rebellen aus. Hier ein Artikel von 1780.
Als Helvetius liess sich John Zubly in der Royal Georgia Gazette über die Rebellen aus. Hier ein Artikel von 1780. Georgia Historic Newspapers
Es bleibt zu klären, warum sich Zubly derart gewandelt hatte. Dabei hilft ein Blick in seine politische Gedankenwelt. Zwar bediente sich der gebildete Prediger exzessiv gewisser Naturrechtsphilosophien; vor allem jener der Westschweizer Schule nach Emer de Vattel. Doch er war auch zutiefst calvinistisch geprägt, hauptsächlich bezüglich des Determinismus. Für Zubly war das Schicksal der Menschen durch Gott festgelegt; dagegen zu rebellieren war für ihn illegitim. Seine religiösen Überzeugungen führten dazu, dass er gewaltsamen Widerstand gegen einen rechtmässigen Herrscher zurückwies. Ein Volk müsse seinen gottgewählten Herrscher akzeptieren. Folglich lässt sich seine Treue gegenüber dem britischen König erklären.

Gleich und doch nicht gleich

Wer nun meint, dies stehe in Konflikt mit Zublys heldenhaften Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft, irrt. Der Anhang der Predigt Law of Liberty mag als durch und durch rebellisch und antimonarchisch gelesen werden, was Zubly in seinen Helvetius-Essays zu korrigieren versuchte. Trotz aller Gemeinsamkeiten des amerikanischen Volkes mit der Eidgenossenschaft würden sie sich in manchen Punkten stark unterscheiden. So hätten die Eidgenossen nie gegen ihren legitimen Herrscher, den Kaiser, rebelliert. Nur gegen die Habsburger, welche illegitime Usurpatoren gewesen seien, hätten sie sich gewehrt. Gnadenvoll hätten sie die besiegten Feinde nach den Schlachten verschont, sogar immer wieder den Frieden gesucht. Das auserwählte Volk der Eidgenossen habe immer den Beistand Gottes gehabt. Dies stehe im Kontrast zu den Amerikanern, beispielsweise zu einem Benjamin Franklin oder John Adams, welche eine hartnäckige Unnachgiebigkeit an den Tag gelegt hätten. Entgegen den Eidgenossen hätten die amerikanischen Rebellen auch keine Versöhnung mit dem Gegner gesucht.
die Schlacht am Morgarten auf einer Postkarte von 1915.
Das «auserwählte Volk der Eidgenossen» war für John Zubly immer im Recht. Auch hier in der Schlacht am Morgarten. Schweizerisches Nationalmuseum
Zublys Schweizergeschichte sollte als pädagogische Lektion für die britische Regierung und nicht als Motivation für die Rebellen dienen. Schliesslich war der Druck der Predigt Law of Liberty mitsamt Anhang dem Staatssekretär der Kolonien gewidmet. Zubly wollte Kritik an der britischen Regierung äussern, und nicht den König delegitimieren. Die Komplexität von Zublys Gedankenwelt wurde jedoch nicht ausreichend erkannt, weshalb der Pfarrer weder von den Rebellen noch von den Loyalisten vollständig aufgenommen wurde. Für die einen war er zu rebellisch, für die anderen zu loyalistisch. Er fiel zwischen Stuhl und Bank. Als er 1781 starb war er einsam und gebrochen in Körper und Geist. Das Ende der schliesslich erfolgreichen Revolution, welche Zubly als zum Scheitern verurteilt sah, erlebte er nicht mehr.

Weitere Beiträge