Entwurf für einen Anhänger im Renaissance-Stil mit einer Figur der Nächstenliebe, Atelier Bossard, 1868-1901.
Entwurf für einen Anhänger im Renaissance-Stil mit einer Figur der Nächstenliebe, Atelier Bossard, 1868-1901. Schweizerisches Nationalmuseum

Atelier Bossard: Am Puls der Schmuckmode

Bei der Herstellung von Schmuck folgte das Luzerner Goldschmiedatelier Bossard im späten 19. Jahrhundert während zwei Generationen den Wünschen der Kundschaft. Zwischen 1868 und 1934 wurden Schmuckstücke verkauft vom Historismus bis zum Art Deco.

Beatriz Chadour-Sampson

Beatriz Chadour-Sampson

International anerkannte Schmuckhistorikerin aus England. Ihre Publikationen reichen von der Antike bis in die Gegenwart, wie beispielsweise 2000 Fingerringe der Alice und Louis Koch Sammlung, Schweiz (1994), für die sie als Beraterin des Schweizerischen Nationalmuseums tätig ist.

Das Atelier Bossard, eine 1775 gegründete Schweizer Goldschmiede und Juwelierfirma, war unter der Leitung von Vater und Sohn Johann Karl (1846-1914) und Karl Thomas (1876-1934) Bossard ein sehr erfolgreiches Unternehmen in Luzern. Das Schweizerische Nationalmuseum besitzt eine bedeutende Sammlung von Bossard-Objekten und das Firmenarchiv aus dieser Zeit mit zahlreichen Modellen, Zeichnungen, Auftrags- und Verkaufsbüchern. Die Kunden von Bossard kamen aus ganz Europa und den Vereinigten Staaten; die Gästebücher lesen sich wie ein Who's Who der zeitgenössischen Berühmtheiten, aristokratischen Familien, Industriellen, Sammler und Museumskuratoren.
Johann Karl Bossard ist auf seinem Porträt, gemalt 1909 von Jean Syndon Faurie, als stolzer Mann dargestellt.
Johann Karl Bossard ist auf seinem Porträt, gemalt 1909 von Jean Syndon Faurie, als stolzer Mann dargestellt. Schweizerisches Nationalmuseum
Über 40 Jahre lang sammelte Johann Karl Bossard Silbergegenstände, Goldschmiedearbeiten und Schmuck aus früheren Epochen, sowohl als Mustersammlung zum Studium der Goldschmiedetechniken als auch zum Verkauf in seinem Antiquitätengeschäft. 1889 schrieb er an den berühmten Pariser Juwelier Lucien Falize: «Gemäss den Wünschen meiner Kunden arbeite ich in allen Stilen bis hin zum Empire, hauptsächlich nach meinen eigenen Entwürfen, aber auch nach meinen Modellen und Zeichnungen von alten Meistern. Ich habe den Ehrgeiz, meine Werke im Geiste der jeweiligen Epoche herzustellen». Der Historismus – die bewusste Wiederbelebung oder Nachahmung früherer Designstile – war in Europa in Mode, als Bossard in den 1870er bis 1890er-Jahren seinen grössten Erfolg hatte. Nach dem Tod von Johann Karl im Jahr 1914 verwendete Karl Thomas weiterhin die Zeichnungen seines Vaters und erhielt noch in den 1920er-Jahren von Schweizer Kunden Aufträge für Schmuckstücke im Stil der Renaissance, während er gleichzeitig den neueren Stilen des Jugendstils und des Art déco folgte. Die Werkstatt Bossard war vor allem für Tafelsilber, Kirchensilber und Waffen und Rüstungen in historischen Stilen bekannt, weniger jedoch für ihre Schmuckentwürfe. Da Schmuck eher persönlich ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird, bleibt er oft in Privatbesitz, so dass nur wenige Beispiele von Bossard-Schmuck in der Öffentlichkeit bekannt sind. Die erhaltenen Entwurfszeichnungen und Modelle aus Blei oder Gips aus der Bossard-Werkstatt befinden sich heute im Schweizerischen Nationalmuseum und sind für die Erforschung des Bossard-Schmucks von enormer Bedeutung. Im späten 18. und im 19. Jahrhundert war die Faszination für die Kultur und die Kunst des antiken Griechenlands und Roms gross, vor allem aufgrund der viel publizierten archäologischen Funde. Die Popularität von Schmuck im klassischen Stil wurde durch die Juweliere Castellani in Rom Mitte des 19. Jahrhunderts ausgelöst. Ab 1882 reiste Johann Karl häufig nach Italien und es ist anzunehmen, dass er Castellani besuchte. Bossards Entwurf für einen Ring mit Heraklesknoten ist einer von vielen, die von der Firma produziert wurden und die die Mode für Schmuck im archäologischen Stil widerspiegeln. Augusto Castellani, der die Filiale in Rom leitete, erscheint 1892/93 sogar im Gästebuch von Bossard. Wie Bossard besass Castellani eine grosse Privatsammlung von antikem Schmuck und betrieb neben der Werkstatt ein Antiquitätengeschäft.
Entwurf für einen Heraklesknotenring im neoklassischen Stil, Atelier Bossard, 1868-1914.
Entwurf für einen Heraklesknotenring im neoklassischen Stil, Atelier Bossard, 1868-1914. Schweizerisches Nationalmuseum
1869 löste die Eröffnung des Suezkanals, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verband, eine Faszination für ägyptische Kunst und Antiquitäten aus, die von den Zeitgenossen passend als «Ägyptomanie» bezeichnet wurde. Pyramiden, Mumien, Sphinxen und Skarabäen beflügelten die Fantasie der Juweliere, darunter auch Bossard. Eine von vielen Zeichnungen aus dem Archiv in diesem Stil zeigt ein goldenes Armband mit den Köpfen eines männlichen und eines weiblichen Pharaos, die sich gegenüberstehen, inspiriert von einem Paar ägyptisch-griechischer Armbänder im Residenzmuseum in München.
Entwurf für ein Armband im ägyptischen Stil mit männlichen und weiblichen Pharaonen, Atelier Bossard, 1868-1914.
Entwurf für ein Armband im ägyptischen Stil mit männlichen und weiblichen Pharaonen, Atelier Bossard, 1868-1914. Schweizerisches Nationalmuseum
Die Leidenschaft für die Kunst des Mittelalters entstand in den 1830er- und 1840er-Jahren, als die Romantik die ritterlichen Mythen und Legenden des Mittelalters aufgriff. In den folgenden Jahrzehnten wurde Schmuck im Stil des Gothic Revival immer beliebter, vor allem in Frankreich und England. Viele der erhaltenen Zeichnungen von Johann Karl Bossard zeigen seine Faszination für diese Epoche. Verschiedene Zeichnungen und ein Bleimodell für einen Ring im Stil des 14. Jahrhunderts mit den Initialen «B» und «H» könnten für einen Auftrag angefertigt worden sein. Mittelalterliche Exemplare dieses Ringtyps befinden sich in Museumssammlungen. Unklar ist, ob es sich bei den Bossard-Zeichnungen um Vorlagen für die Herstellung von Revival-Schmuck oder einfach um Studien mittelalterlicher Exemplare aus dem Antiquitätengeschäft des Unternehmens handelt. Eine weitere Frage ist, ob die Pendants in den Museen wirklich mittelalterlich sind oder ob es sich gar um Wiederbelebungen aus dem 19. Jahrhundert handeln könnte.
Entwurf für einen Ring im mittelalterlichen Stil, Atelier Bossard, 1868-1901.
Entwurf für einen Ring im mittelalterlichen Stil, Atelier Bossard, 1868-1901. Schweizerisches Nationalmuseum
Ring aus Gold und Email, mit Aufschrift «ICH HOFFE/GE NADA VROWE», 1330-1350.
Ring aus Gold und Emaille, mit Aufschrift «ICH HOFFE/GE NADA VROWE», 1330-1350. Sammlung Alice und Louis Koch
Bossard wurde häufig von Geistlichen mit der Herstellung von Kirchensilber und gelegentlich auch von persönlichem Schmuck beauftragt. Eine erstaunliche Entdeckung, die bei den jüngsten Forschungen gemacht wurde, ist ein Ring aus einer Privatsammlung, der mit einer Zeichnung aus dem Archiv übereinstimmt. Dieser Amethystring zeigt die Figuren des heiligen Gallus mit seinem Attribut, dem Bären, und des heiligen Augustinus von Hippo mit aufgeschlagenem Buch, Federkiel und Herz. Er wurde nachweislich von Dr. Augustinus Egger, von 1882 bis 1906 Bischof von St. Gallen, in Auftrag gegeben und steht in der mittelalterlichen Tradition eines feierlichen Bischofsrings.
Entwurf eines Rings für Dr. Augustinus Egger, Bischof von St. Gallen, Atelier Bossard, 1882.
Entwurf eines Rings für Dr. Augustinus Egger, Bischof von St. Gallen, Atelier Bossard, 1882. Schweizerisches Nationalmuseum
Gold- und Amethystring vom Bischof von St. Gallen mit eingravierten lateinischen Inschriften
Gold- und Amethystring vom Bischof von St. Gallen mit eingravierten lateinischen Inschriften
Gold- und Amethystring vom Bischof von St. Gallen mit eingravierten lateinischen Inschriften «HAEC REQUIES MEA» (Psalm 131, 14) und «INQUIETUM COR NOSTRUM» (Bekenntnisse des Augustinus), Atelier Bossard, 1882. Privatsammlung
Als Johann Karl Bossard 1868 das Geschäft übernahm, war der Stil der Renaissance oder Neorenaissance sehr beliebt. Europäische Juweliere, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, liessen sich von Renaissance-Künstlern wie Hans Holbein dem Jüngeren und Albrecht Dürer inspirieren. Neuere Veröffentlichungen berühmter Schatzkammern, wie die des Grünen Gewölbes in Dresden, der Schatzkammer in München und der Medici-Sammlung in Florenz, waren ebenso Inspirationsquellen für Entwürfe wie nachgedruckte Bände mit Ornamentdrucken von Künstlern der Renaissance. Die zweischwänzige Sirene oder Meerjungfrau (in der Schweiz als «Melusine» bekannt) ist ein häufig anzutreffendes Motiv in Stücken aus dem Atelier Bossard und erscheint in Zeichnungen und einem Bleimodell. Der Entwurf scheint auf einem Druck von Virgil Solis aus dem 16. Jahrhundert und einem viel illustrierten Sirenenanhänger aus dem Grünen Gewölbe in Dresden (um 1600) zu basieren. Karl Thomas verwendete die Komposition seines Vaters in mehreren Variationen weiter, zum Beispiel als mandolinenspielende Sirene. Die Melusine bildet das Wappen der Familie Vischer in Basel, und Variationen des Anhängers wurden in den 1920er-Jahren von Fritz und Amélie Vischer-Bachofen zu verschiedenen Familienanlässen bei Bossard in Auftrag gegeben.
Ornamentaler Druck mit Meerjungfrau, Wassermann und Sirene von Virgil Solis, Nürnberg, 1530-1562.
Ornamentaler Druck mit Meerjungfrau, Wassermann und Sirene von Virgil Solis, Nürnberg, 1530-1562. Victoria and Albert Museum
Zeichnung für eine Kette mit Anhänger, die eine Mandoline spielende Sirene zeigt, Atelier Bossard, 1868-1934.
Zeichnung für eine Kette mit Anhänger, die eine Mandoline spielende Sirene zeigt, Atelier Bossard, 1868-1934. Schweizerisches Nationalmuseum
Die Unklarheit über die Herkunft von Renaissance- und Neorenaissance-Schmuckstücken wurde für Zeitgenossen und spätere Sammler ebenso zu einem Problem wie die Datierung mittelalterlicher Stücke. 1885 schrieb Arthur Pabst, der erste Direktor des MAKK in Köln, in einem Zeitschriftenartikel über die Internationale Ausstellung für Metallarbeiten in Nürnberg: «Bossards täuschend gut imitierter Renaissance-Schmuck ist der Schrecken aller Sammler». Ein Ring mit Karyatidenfiguren und gefalteten Händen aus der Sammlung Alice und Louis Koch wurde 1994 mit berechtigten Zweifeln an seiner wahren Datierung veröffentlicht. Erst vor kurzem wurde die Zeichnung zu diesem Ring im Bossard-Archiv entdeckt, was die Schwierigkeiten bei der Datierung von Schmuckstücken im Stil der Renaissance unterstreicht. Eine Zeichnung für einen Renaissance-Anhänger mit der Figur der Nächstenliebe, basierend auf einem Entwurf von Daniel Mignot aus den Jahren 1596-1616, zeigt, wie Bossard Motive umgestaltet und angepasst hat. Das florale Ornament und die Farbwahl sind stilistisch dem späten 19. Jahrhundert zuzuordnen und die Figur erinnert an den Japonisme, einen von der japanischen Kunst und dem japanischen Design inspirierten Stil, der zu dieser Zeit sehr einflussreich war.
Ring aus Gold und Email mit Karyatidenfiguren und verschränkten rechten Händen, Atelier Bossard, 1868-1901.
Ring aus Gold und Emaille mit Karyatidenfiguren und verschränkten rechten Händen, Atelier Bossard, 1868-1901. Sammlung Alice und Louis Koch
Entwurf für einen Ring im Renaissance-Stil, Atelier Bossard, 1868-1901.
Entwurf für einen Ring im Renaissance-Stil, Atelier Bossard, 1868-1901. Schweizerisches Nationalmuseum
Als Johann Karl 1901 das Geschäft an seinen Sohn Karl Thomas übergab, hatte sich der Geschmack in Sachen Schmuck radikal verändert. Für einige konservative Kunden verwendete Karl Thomas weiterhin die historisierenden Schmuckentwürfe seines Vaters, doch ab etwa 1900 verkaufte Bossard hauptsächlich Schmuckstücke im zeitgenössischen Jugendstil, der sich durch geschwungene Formen und von der Natur inspirierte Designs auszeichnete. Ab den 1920er-Jahren bot die Firma auch Schmuck im eher geometrischen und futuristischen Art-Déco-Stil an. Es ist anzunehmen, dass Karl Thomas die berühmten Pariser Weltausstellungen von 1900 und 1925 besuchte, um sich von der aktuellen Schmuckmode inspirieren zu lassen, denn seine Entwürfe folgten den Pariser Modetrends. Ein Jugendstil-Anhänger von Bossard mit Gingko-Blättern und wahrscheinlich mit Plique-à-jour-Email spiegelt die Faszination für die japanische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts wider. Die Entwürfe aus den 1920er-Jahren zeigen auch den Einfluss zeitgenössischer Kunstströmungen wie des Kubismus, etwa in der monochromen Schwarz-Weiss-Farbpalette eines Art-Déco-Anhängers. Mit seinem Schmuck musste sich das Atelier Bossard an die sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse und Geschmäcker anpassen. Im Gegensatz dazu wurden die Silberwaren von Bossard, die das Hauptaugenmerk des Unternehmens bildeten, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in historisierenden Stilen hergestellt.
Design für Jugendstil-Anhänger mit Gingko-Blättern, Atelier Bossard, 1901-1914.
Design für Jugendstil-Anhänger mit Gingko-Blättern, Atelier Bossard, 1901-1914. Schweizerisches Nationalmuseum
Entwurf für einen Art-Déco-Anhänger, Atelier Bossard, 1920-1934.
Entwurf für einen Art-Déco-Anhänger, Atelier Bossard, 1920-1934. Schweizerisches Nationalmuseum

Glänzen­des Kunsthand­werk. Bossard Goldschmie­de Luzern

19.07.2024 06.04.2025 / Landesmuseum Zürich
Das in Luzern beheimatete Atelier Bossard war im 19. Jahrhundert eines der renommiertesten Goldschmiedeateliers der Schweiz. Unter dem Firmengründer Johann Karl Bossard (1846-1914) wurden prächtige Pokale, Tafelsilber und Schmuck hergestellt und in die ganze Welt verkauft. Die Ausstellung in der Ruhmeshalle des Landesmuseums zeigt die schönsten Objekte aus Bossards Atelier und lässt den vergangenen Glanz wieder aufleben.

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