Der Schweizer «Magier des Eisens»
Der Ingenieur Maurice Koechlin hat Ikonen der Ingenieurskunst geschaffen. Er konstruierte die Freiheitsstatue, den Eiffelturm und zahlreiche Brücken. Doch den Ruhm ernteten andere.
Karl Culmanns Musterschüler in Graphischer Statik
Einer seiner wichtigsten Professoren und Förderer war Karl Culmann, der Erfinder der Graphischen Statik. Dieses neue, zeichnerische Verfahren dient dazu, die Statik in Balken- und Fachwerkkonstruktionen zu berechnen. Das Verfahren erlebte einen Aufschwung, besonders beim Bau von Eisenbahnbrücken. Koechlin war Culmanns talentiertester Schüler und beendete sein Studium 1877 als Jahrgangsbester.
Gustave Eiffel holt das Supertalent
Im November 1879 begann der erst 23-Jährige als Chefingenieur des Büros Eiffel. Der Patron und er waren sehr unterschiedliche Charaktere, aber komplementär: Der ehrgeizige, extrovertierte Eiffel bewegte sich virtuos auf dem gesellschaftlichen Parkett, hatte politische Verbindungen, einen ausgeprägten Geschäftssinn und holte spektakuläre Projekte herein. Der zurückhaltende, öffentlichkeitsscheue Koechlin arbeitete im Hintergrund und löste die Aufgaben mit innovativen Ideen und technischer Raffinesse.
In Innern der Freiheitsstatue
Die Auftraggeber wandten sich darauf an Eiffel, der wiederum Koechlin mit der Aufgabe betraute. Wie für eine Brücke konzipierte der Ingenieur ein Tragwerk aus vier verstrebten Pfeilern und einer doppelläufigen Wendeltreppe sowie eine auskragende Fachwerkkonstruktion für den rechten Arm. Koechlin konzipierte keine starre Tragstruktur, sondern ein elastisches Gitterskelett. Diese Flexibilität war die entscheidende Idee, denn so konnte die darauf montierte Kupferhaut Temperaturschwankungen und wechselnden Windbelastungen widerstehen.


«Lady Liberty» wurde ab 1881 auf dem Gelände der Giesserei in Paris probehalber errichtet und überragte während gut zweieinhalb Jahren die Gebäude der Umgebung. Mit ihren 93 Metern blieb sie bis 1959 die höchste Statue der Welt. Wikimedia
Er skizziert den Turm am Stubentisch
Eiffel zögert und schlägt dann zu
«Eine widerwärtige Säule»
Doch es regt sich Widerstand gegen den Bau des «unnützen und missgestalteten Eiffelturms mitten im Herzen der Hauptstadt». Er sei «eine widerwärtige Säule aus verschraubtem Blech», der Paris wie ein riesiger und schwarzer Fabrikschornstein überrage und mit seiner barbarischen Masse alle Monumente demütige.
Eiffel zieht das Vorhaben durch –und Koechlin berechnet mit rund zwei Dutzend Technikern gut 700 Gesamtpläne und 4000 Detailskizzen. Bei der Eröffnung im Mai 1889 ist die Begeisterung gross. «La tour Eiffel» steht nun für eine grandiose Leistung Gustave Eiffels.
«Die Idee und die Berechnungen stammen von mir»
Gustave Eiffel wurde dank des Eiffelturms als «Magier des Eisens» weltberühmt. An Maurice Koechlin erinnern ein Wachsfiguren-Kabinett im Eiffelturm, ein kleines Denkmal und eine Primarschule in Buhl sowie drei Strassen in französischen Dörfern. In der Schweiz hingegen gibt es kein Denkmal für den Schweizer «Magier des Eisens», das Genie in Eiffels Schatten.


