Johann Karl Bossard (Mitte links) und Gustav Gull (Mitte rechts) pflegten ein ausgeprägtes Netzwerk in Zürich und Luzern. Darunter der Maler Rudolf Koller (oben links), der Kunsthistoriker Josef Zemp (Mitte oben), Landesmuseumsdirektor Heinrich Angst (oben rechts), der Kunsthistoriker Johann Rudolf Rahn (unten links) oder der Architekt Julius Stadler (unten rechts).
Johann Karl Bossard (Mitte links) und Gustav Gull (Mitte rechts) pflegten ein ausgeprägtes Netzwerk in Zürich und Luzern. Darunter der Maler Rudolf Koller (oben links), der Kunsthistoriker Josef Zemp (Mitte oben), Landesmuseumsdirektor Heinrich Angst (oben rechts), der Kunsthistoriker Johann Rudolf Rahn (unten links) oder der Architekt Julius Stadler (unten rechts). Schweizerisches Nationalmuseum /gta Archiv / ETH Zürich, Nachlass Gustav Gull

Netzwerke zwischen Luzern und Zürich: Johann Karl Bossard und Gustav Gull

1898 gestaltete der Architekt Gustav Gull zwei Pokale, die er mit dem Luzerner Goldschmiedeatelier von Johann Karl Bossard verwirklichte. Im selben Jahr wurde das von Gull entworfene und erbaute Schweizerische Landesmuseum in Zürich eröffnet. Die weitreichenden Netzwerke um Gull und Bossard finden bei der Museumsprojektierung zusammen.

Cristina Gutbrod

Cristina Gutbrod

Cristina Gutbrod ist freischaffende Architekturhistorikerin und Kulturvermittlerin am Landesmuseum Zürich.

Als Architekt des Späthistorismus verfügte Gustav Gull (1858-1942) über weitreichende Kenntnisse von historischen Formen, die auch das Kunsthandwerk umfassten. Schon als Student und junger Architekt hatte er Zeichnungen von Goldschmiedearbeiten nach Vorbildern des 16. und 17. Jahrhunderts angefertigt. Die 1898 entworfenen Pokale waren für Jubilare zum 70. Geburtstag bestimmt: für den Maler Rudolf Koller und für den Architekten Julius Stadler. Für Koller gestaltete Gull einen Buckelpokal aus getriebenem Silber, dessen Kuppa inwendig vergoldet und mit dem Wappen Kollers am Boden versehen ist. Der Fuss wird von einer gravierten Widmung umzogen. Dessen Unterseite zeigt die Namen der Stifter.
Pokal zum siebzigsten Geburtstag von Rudolf Koller (1828–1905), entworfen von Gustav Gull (Handzeichnung links), ausgeführt vom Atelier Bossard, Luzern.
Pokal zum 70. Geburtstag von Rudolf Koller (1828–1905), entworfen von Gustav Gull (Handzeichnung links), ausgeführt vom Atelier Bossard, Luzern. Schweizerisches Nationalmuseum
Der Pokal für Stadler zeigt einen Schaft mit laubverziertem Nodus und Buckeln beim Fuss und Ansatz zur Kuppa. Über den Buckeln ist die Kuppa durch ein ziseliertes Band mit floralem Rankenmuster geschmückt, der Lippenrand weist die gravierte Widmung auf. Auch diesen Pokal ziert am Boden der Kuppa ein Wappen, dasjenige Stadlers, vorgeführt von einem Engel.
Pokal zum siebzigsten Geburtstag von Julius Stadler (1828–1904), entworfen von Gustav Gull, ausgeführt vom Atelier Bossard, Luzern.
Pokal zum 70. Geburtstag von Julius Stadler (1828–1904), entworfen von Gustav Gull, ausgeführt vom Atelier Bossard, Luzern. gta Archiv / ETH Zürich, Nachlass Gustav Gull
Julius Stadler und Rudolf Koller pflegten seit ihrer Schulzeit eine enge Freundschaft. Der um eine Generation jüngere Gustav Gull war beiden Künstlerpersönlichkeiten verbunden. Während des Studiums an der Bauschule des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich fand Gull in Gottfried Sempers einstigem Assistenten Stadler einen Lehrer, Mentor und Freund. Stadler war bis zum Rücktritt 1893 als Professor für Kompositionsübungen, Stillehre und Ornamentik sowie für Landschaftszeichnen tätig. Auf dessen Anraten besuchte Gull nach dem Architekturstudium während einiger Monate die damalige Kunstgewerbeschule in Genf, die Ecole des Arts industriels. Stadler hatte sich bereits in den 1860er-Jahren für die Schaffung eines Gewerbemuseums und einer damit verbundenen Kunstgewerbeschule in Zürich eingesetzt; das Museum konnte 1875, die Schule 1878 in Zürich Selnau eröffnet werden. In Zürichs Bewerbung um den Museumsitz wurden die Institutionen dem Schweizerischen Landesmuseum angeschlossen und 1895 konnte die Kunstgewerbeschule den Unterricht im Annex des noch in Ausführung begriffenen Landesmuseums aufnehmen.
Aquarellzeichnung des Prachtofens im Seidenhofzimmer von Julius Stadler.
Aquarellzeichnung des Prachtofens im Seidenhofzimmer von Julius Stadler. Das berühmte Renaissancezimmer aus Zürich ist im Landesmuseum eingebaut. gta Archiv / ETH Zürich, Nachlass Gustav Gull
Stadler förderte nicht nur das Kunstgewerbe, sondern spielte auch eine wichtige Rolle in der Künstlergesellschaft in Zürich, deren Präsidium er in den 1880er-Jahren innehatte. In dieser Zeit entwickelte sich auch die Freundschaft zwischen Koller und Gull. Gull gehörte der sogenannten Dienstagsgesellschaft an, die sich um den Maler gruppierte, und in welcher der Architekt mit Schlüsselfiguren aus Zürcher Künstlerkreisen zusammentraf. Später zählten Koller und Gull zu den Hauptinitianten des Vereins «Künstlerhaus», der sich 1895 von der Künstlergesellschaft abspaltete, um sich ein Jahr später mit dieser zur Kunstgesellschaft Zürich zusammenzuschliessen. Als Mitglied der Ausstellungskommission organisierte Gull 1898 die Jubiläumsausstellung für Koller, die in den Sälen des damaligen Ausstellungsgebäudes «Künstlerhaus» an der Talstrasse, im benachbarten Saal des ersten Börsengebäudes und im Atelier des Künstlers am Zürichhorn zu sehen war. Der 1898 von Gustav Gull für das Koller-Jubiläum entworfene Pokal versammelt in der Gravur auf der Fussunterseite die Namen der Stifter des kostbaren Geschenks und weist damit auf zürcherische Künstlernetzwerke: Arnold Böcklin, Julius Stadler, August Waldner (Redaktor und Herausgeber der Schweizerischen Bauzeitung), Friedrich Bluntschli (Architekt und Professor am Eidgenössischen Polytechnikum), Albert Müller (ehemaliger Direktor des Gewerbemuseums und der Kunstgewerbeschule), Richard Kissling (Bildhauer), Gustav Gull und Wilhelm Ludwig Lehmann (Maler).
Arnold Böcklin, gemalt von Rudolf Koller, 1846/1847.
Arnold Böcklin, gemalt von Rudolf Koller, 1846/1847. Kunsthaus Zürich
Rudolf Koller in seinem von Julius Stadler erbauten Atelier im Haus zur Hornau am Zürichhorn, 1894.
Rudolf Koller in seinem von Julius Stadler erbauten Atelier im Haus zur Hornau am Zürichhorn, 1894. Schweizerisches Nationalmuseum
Mit dem Entwurf des Landesmuseum 1890 legte Gull den Grundstein seiner herausragenden Architektenkarriere – zwischen 1890 und 1910 war er der einflussreichste Architekt der Stadt Zürich. Sein erster grossen Bau aber steht in Luzern: das 1888 fertiggestellte Eidgenössische Postgebäude. Der Auftrag war aus einem Wettbewerb hervorgegangen, den Gull 1885 mit seinem kurzzeitigen Büropartner Conrad von Muralt gewonnen hatte. Gull verwirklichte den Bau unter seinem alleinigen Namen. Zur Bauausführung verschoben er und seine Frau Lydia, Tochter des Badener Goldschmieds Johann Jakob Leinbacher, ihren Lebensmittelpunkt 1886 von Zürich nach Luzern. Hier kamen die ersten beiden Kinder des Paars zur Welt, Lilly – später renommierte Gold- und Silberschmiedin – und Karl. Zweifellos besuchten Gustav und Lydia Gull in ihrer Luzerner Zeit das Goldschmiedegeschäft und die Antiquitätenhandlung von Johann Karl Bossard (1846-1914) im Zanetti-Haus an der Weggisgasse. Bossard hatte das Renaissancegebäude 1880 erworben, die Werkstatt vom Elternhaus an der Rössligasse dorthin verlagert und bis 1886 auch die beiden Geschäftszweige am neuen Hauptsitz zusammengefasst.
Postkarte mit dem Zanetti-Haus an der Weggisgasse in Luzern nach dem Verkauf um 1912/1913.
Postkarte mit dem Zanetti-Haus an der Weggisgasse in Luzern nach dem Verkauf um 1912/1913. Schweizerisches Nationalmuseum
Eidgenössisches Postgebäude in Luzern, Wettbewerbsentwurf von Gustav Gull im gemeinsamen Architekturbüro mit Conrad von Muralt, 1885.
Eidgenössisches Postgebäude in Luzern, Wettbewerbsentwurf von Gustav Gull im gemeinsamen Architekturbüro mit Conrad von Muralt, 1885. ETH-Bibliothek Zürich
Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen Johann Karl Bossard und Gustav Gull spielte Johann Rudolf Rahn. Der Kunsthistoriker hatte mit seiner Auffassung, wonach sich eine eigentlich nationale Kunst in der Schweiz im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert im Bereich des Kunsthandwerks herausgebildet habe, die Sammlungspolitik des Landesmuseum in der Gründungsphase und die Gestaltung des Museumsgebäudes entscheidend geprägt. Wie auch Julius Stadler gehörte Rahn, seit 1870 Professor für Kunst- und Kulturgeschichte an der Zürcher Universität und seit 1883 auch am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, zum Kreis der Professoren im Bauschülerverein Architectura. In diesem Rahmen konnte Gull seit Beginn der 1880er-Jahre den Kontakt zu Rahn aufbauen. Johann Karl Bossard und Rahn korrespondierten seit Ende der 1870er-Jahre, wobei nicht nur Bossards Rolle als Leiter des Goldschmiedeateliers, sondern auch seine Expertise als Antiquitätenhändler für Rahn von zentraler Bedeutung waren. Ebenso stand Bossard im Austausch mit Heinrich Angst, Textilkaufmann, Sammler, englischer Vizekonsul und ab 1892 erster Direktor des Schweizerischen Landesmuseums. Im Schwerpunkt persönlicher und beruflicher Netzwerke zwischen Zürich und Luzern befand sich der junge Kunsthistoriker Josef Zemp, der 1893 bei Rahn promoviert hatte. Auf der Baustelle des Landesmuseums war er ab 1896 als Assistent der Direktion für den Einbau der Historischen Zimmer und originalen Architekturelemente zuständig. In diesem Zeitraum beriet Zemp zudem August Edward Jessup und dessen Frau Lady Mildred Marion Bowes-Lyon bei der Restaurierung von Schloss Lenzburg. Bossard, der dem Amerikaner wohl den Schlosskauf vermittelt hatte, gestaltete die Innenräume und stattete sie mit originalen, kopierten und stilechten Architekturelementen aus. 1899 heiratete Zemp Bossards Tochter Maria Karolina, 1904 wurde er Vizedirektor des Landesmuseums.
Siebenteiliges Kaffee- und Teeservice. Hochzeitsgeschenk an Maria Karolina Bossard und Josef Zemp, geschaffen von Johann Karl, 1899.
Siebenteiliges Kaffee- und Teeservice. Hochzeitsgeschenk an Maria Karolina Bossard und Josef Zemp, geschaffen von Johann Karl, 1899. Schweizerisches Nationalmuseum
Orientierte sich Gustav Gull im Entwurf des Eidgenössischen Postgebäudes in Luzern noch am Stil italienischer Renaissancearchitektur, bezog er sich beim Bau des Landesmuseums auf Architekturformen zwischen Spätgotik und Renaissance in der Schweiz. Er stimmte den Museumsentwurf auf die Historischen Zimmern aus dem 15. und dem 18. Jahrhundert ab, den Kernelementen der Sammlung, in denen sich kunsthandwerkliche Artefakte zu einem räumlichen Ganzen verbinden. Im Zanetti-Haus hatte Bossard Ausstellungsräume nach chronologischen und stilistischen Kriterien mit Antiquitäten und antiken Objekten in Original und Kopie eingerichtet. Ob Gull und die Museumsleute Rahn, Angst und Zemp sich davon inspirieren liessen, bleibt offen. Auf Luzerner Verbindungen weist jedenfalls die Tätigkeit des Malers, Dekorationsmalers und Restaurators Albert Benz, der die Fassaden des Zanetti-Hauses zusammen mit dem Maler, Friedrich Stirnimann für Bossard bemalt hatte, bei der Restaurierung von Schloss Lenzburg tätig war und auch beim Bau des Landesmuseums als Dekorationsmaler mitwirkte. Benz wiederum stand in Kontakt mit Seraphin Weingartner, Direktor der Kunstgewerbeschule Luzern und Bruder des talentierten Louis Weingartner, Lehrling im Atelier Bossard und später dessen Leiter. Bei der Ausführung des Postgebäudes von Gull war die Kunstgewerbeschule Luzern mit Arbeiten zur Ausstattung und Ausschmückung beteiligt.
«Untere Kapelle» im Landesmuseum Zürich mit Dekorationsmalereien, kurz nach der Fertigstellung.
«Untere Kapelle» im Landesmuseum Zürich mit Dekorationsmalereien, kurz nach der Fertigstellung. Schweizerisches Nationalmuseum
Die hier skizzierten personellen, beruflichen und künstlerischen Beziehungsnetze zwischen Gull und Bossard sind vielfältig. Die gemeinsam verwirklichten Pokale von 1898 dokumentieren die Zusammenarbeit, zeugen von der künstlerischen Auseinandersetzung mit historischem Kunsthandwerk, den damit verbundenen Bestrebungen zu dessen Erhaltung und widerspiegeln zugleich die damalige Ausrichtung des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich auf kunsthandwerkliche Objekte vom 15. bis zum 17. Jahrhundert.

Glänzen­des Kunsthand­werk. Bossard Goldschmie­de Luzern

19.07.2024 06.04.2025 / Landesmuseum Zürich
Das in Luzern beheimatete Atelier Bossard war im 19. Jahrhundert eines der renommiertesten Goldschmiedeateliers der Schweiz. Unter dem Firmengründer Johann Karl Bossard (1846-1914) wurden prächtige Pokale, Tafelsilber und Schmuck hergestellt und in die ganze Welt verkauft. Die Ausstellung in der Ruhmeshalle des Landesmuseums zeigt die schönsten Objekte aus Bossards Atelier und lässt den vergangenen Glanz wieder aufleben.

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