Max Weber (1897-1974). Ahnengalerie des Kantons Zürich. Zürcher Mitglieder des Bundesrats. Gemälde von Jakob Ritzmann (Ausschnitt).
Max Weber (1897-1974). Ahnengalerie des Kantons Zürich. Zürcher Mitglieder des Bundesrats. Gemälde von Jakob Ritzmann (Ausschnitt). Kanton Zürich

Max Weber. Bewegte Zeiten. Bewegtes Leben

Soziale Gerechtigkeit. Dafür kämpft Max Weber sein Leben lang, als Gewerkschafter, Politiker, Wirtschaftswissenschafter. In einer Epoche der Extreme geht er mit der Zeit, auf seine Art. Viele seiner Standpunkte sind übertragbar auf die Gegenwart.

Kurt Messmer

Kurt Messmer

Kurt Messmer (1946-2025) war Historiker mit Schwerpunkt Geschichte im öffentlichen Raum.

Leider ist dieser Blogbeitrag der letzte von Kurt Messmer. Unser langjähriger und geschätzter Autor Kurt Messmer ist am 7. März 2025 unerwartet verstorben. Als Historiker war er nicht nur ein profunder Kenner der Schweizer Geschichte, sondern auch ein begnadeter Geschichtsvermittler. Auf dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums hat er seit 2017 über 50 Artikel publiziert. Diesen Beitrag zu Bundesrat Max Weber hat Kurt Messmer erst wenige Wochen vor seinem Tod fertiggestellt. Passend geht es darin um eine Persönlichkeit, für die Vermittlung und Bildung der Schlüssel zum friedlichen Zusammenleben war und die an «die Bildungsfähigkeit des Menschen» geglaubt hat. Wir sind überzeugt, dass Kurt Messmer sich in diesen Gedanken wiedergefunden hat. Wir werden Kurt Messmer in bester Erinnerung behalten.
Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen. Das geflügelte Wort lässt viele Deutungen zu, wird zum Denkimpuls: Sind es die Zeiten, die uns ändern – oder sind vielmehr wir es, welche die Zeiten ändern? Einer reinen Lehre ist auch bei dieser Frage nicht über den Weg zu trauen. Das weiss kaum jemand besser als Max Weber. Er hält von Dogmen wenig, von Analysen viel.

Woher einer kommt

Max Weber wächst um 1900 in Zürich-Aussersihl auf, einem Labor der Industriegesellschaft: rasanter Bevölkerungsanstieg, Spekulation, Mietskasernen, soziale Probleme, Industriebauten, Radikalisierung. Seit der Jahrhundertwende ist die Lage besonders angespannt. Im März 1912 streiken in Zürich 800 Maler, kurz danach 400 Schlosser. Sie fordern eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde pro Tag. Das wird zum Auslöser für den ersten Zürcher Generalstreik am 12. Juli 1912. Eine Kampfansage der Arbeiterbewegung in der Hochburg Zürich. Die Antwort lässt nicht auf sich warten. In Absprache mit dem Bundesrat bietet der Zürcher Regierungsrat die Armee auf, 3000 Mann. Vor dem Ersten Weltkrieg werden gegen Streiks und Demonstrationen der Arbeiterschaft in der Schweiz 39-mal Ordnungstruppen eingesetzt.
Zürich, 12. Juli 1912. Erster Zürcher Generalstreik. Massenversammlung vor dem Zürcher Volkshaus.
Zürich, 12. Juli 1912. Erster Zürcher Generalstreik. Massenversammlung vor dem Zürcher Volkshaus. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich
Aufruf der Arbeiterunion Zürich 1912.
Aufruf der Arbeiterunion Zürich 1912. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich
Max Weber ist 15 Jahre alt, als sich 1912 in seinem Stadtkreis rund 20‘000 Arbeiterinnen und Arbeiter zum solidarischen Protest versammeln. Der disziplinierte Grossaufmarsch ist für den Jugendlichen vermutlich ein prägendes Erlebnis, obwohl oder gerade weil das Ziel der Arbeitszeitverkürzung nicht erreicht wird.

Ein Pazifist kauft ein Gewehr

Sieben Wochen später. Mehr als hunderttausend Menschen bereiten dem deutschen Kaiser Wilhelm II. im Toggenburg einen begeisterten Empfang. Auf dem «Kaiserhügel» bei Kirchberg (SG) wird das «Kaisermanöver» durchgeführt. Es geht dem deutschen Gast um die Frage, ob die Schweizer Armee einem französischen Angriff auf Deutschland über schweizerisches Territorium standhalten könnte: eine kaiserliche Inspektion.
Zwei Ereignisse des Jahres 1912, dazwischen wenige Monate: Kaisermanöver in Kirchberg SG, 4. September 1912, der deutsche Kaiser Wilhelm II. mit Pickelhaube und Feldstecher, daneben Bundespräsident Forrer mit Hut / Internationaler Sozialistenkongress in Basel, 24.-26. November 1912, Seidenbändel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Zwei Ereignisse des Jahres 1912, dazwischen wenige Monate: Kaisermanöver in Kirchberg (SG), 4. September 1912, der deutsche Kaiser Wilhelm II. (links, leicht abgewandt, mit heller Uniform), Generalstabschef von Moltke (mit Pickelhaube und Feldstecher), daneben Bundespräsident Forrer (mit Hut) / Internationaler Sozialistenkongress in Basel, 24.-26. November 1912, Seidenbändel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Kulturmuseum St. Gallen / Wikimedia / Schweizerisches Sozialarchiv Zürich
«Arbeiter schiessen nicht auf Arbeiter!» Der Appell von 500 Delegierten am Friedenskongress 1912 in Basel ist der letzte Versuch, den Irrsinn eines Krieges zu stoppen. Ein monströser Nationalismus macht die internationale Solidarität zunichte. «In ganz Europa gehen die Lichter aus.» Am Ende des Ersten Weltkriegs ist Max Weber 21 Jahre alt. Zehn Millionen Soldaten aus Europa und Übersee sind im Krieg umgekommen, zudem sieben Millionen Zivilisten. Millionen sind verwundet, traumatisiert. Bereits als Student befasst sich Weber mit den Ideen des religiösen Sozialismus und Pazifismus, wendet sich gegen politische und militärische Gewalt. Als er auf den ehemaligen Schlachtfeldern in Frankreich das Ausmass von Tod und Zerstörung mit eigenen Augen sieht, verstärkt sich seine pazifistische Überzeugung. 1930 verweigert er den Militärdienst. Er wird aus der Armee ausgeschlossen und mit acht Tagen Gefängnis bestraft. Max Weber, der Landesverräter.
Käthe Kollwitz gibt dem Aufruf zu Gewaltlosigkeit 1924 zeitlosen Ausdruck.
Käthe Kollwitz gibt dem Aufruf zu Gewaltlosigkeit 1924 zeitlosen Ausdruck. Käthe Kollwitz Museum Köln / Wikimedia
1933, drei Jahre nach Webers Dienstverweigerung, reissen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht an sich. Von Beginn weg werden Aktivisten der Arbeiterbewegung in die Folterkeller abgeführt, die Juden systematisch verfolgt. Max Weber revidiert seine Haltung, setzt sich mit Erfolg dafür ein, dass die SP vom pazifistischen Antimilitarismus abrückt und sich 1935 zur Landesverteidigung bekennt.

Ich war und bin auch heute noch überzeug­ter Anhänger des Pazifis­mus. Allein, es hiesse die Augen verschlies­sen, wollte man leugnen, dass die Verhält­nis­se heute wesent­lich anders sind.

Max Weber, Gewerkschaftskongress 1936, Protokoll
Webers Begründung mutet an, als sei sie geschrieben für die Gegenwart: «Der Pazifismus hat ein Recht und er hat Erfolgsmöglichkeiten unter der Voraussetzung, dass in allen Ländern eine pazifistische Bewegung möglich ist und die Freiheit hat, in ihrem Sinne aufklärend zu wirken gegen den Krieg. Diese Möglichkeit besteht heute in wichtigen und entscheidenden Ländern nicht mehr, deshalb ist es unmöglich, an einem Glauben und an einem Ideal einfach festzuhalten, dessen reale Grundlagen überhaupt nicht mehr vorhanden sind.» 22. Juni 1940. Frankreich ist besiegt, die deutsche Wehrmacht zieht in Paris ein. «Die Ereignisse marschieren schnell. Man muss sich ihrem Rhythmus anpassen», so der Bundesrat. Anpassen? Zwei Wochen später wird der Bestand der Armee im Aktivdienst von 450‘000 auf 150‘000 gesenkt. Eine Demutsgeste? In dieser Zeit höchster Gefahr schreibt Max Weber ein Gesuch um Wiederaufnahme in die Armee. General Guisan weist ihn schroff ab. Weber kauft einen Karabiner, meldet sich bei der Ortswehr und leistet dort bis Kriegsende Dienst.

Die Freiheit, die ich meine

1926 wird Max Weber Sekretär und volkswirtschaftlicher Mitarbeiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Bald darauf verkünden Schweizer Hitler-Anhänger: «Heute erleben wir den Sieg des Nationalsozialismus. Morgen wird die Nationale Front den Sieg erringen.»
Luzern, Seebrücke, 1937, Aufmarsch der Nationalen Front. Umzüge und Fahnen gehören auch in der Schweiz zum öffentlichen Auftritt der Faschisten, nicht aber Parteiuniformen, die vom Bundesrat 1933 verboten werden.
Luzern, Seebrücke, 1937, Aufmarsch der Nationalen Front. Umzüge und Fahnen gehören auch in der Schweiz zum öffentlichen Auftritt der Faschisten, nicht aber Parteiuniformen, die vom Bundesrat 1933 verboten werden. Ausstellungskatalog «Dreissiger Jahre Schweiz. Ein Jahrzehnt im Widerspruch», Kunsthaus Zürich, 1981
Wie schon bei der Landesverteidigung wird Max Weber in einer weiteren Grundsatzfrage zum Vordenker: «Erinnern wir uns, dass Demokratie auch bedeutet Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Redefreiheit und, was für die Schweizer nicht das Unwichtigste ist: Schimpffreiheit. Ich glaube, gerade davon können wir heute in der Schweiz noch immer recht ausgiebigen Gebrauch machen, auch in der Arbeiterbewegung.» Schimpffreiheit. Kategorie: Helvetische Worte.

Unbeirr­bar sachlich

Nicht ohne Wissenschaft. Max Weber wird beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund zum Begründer einer Wirtschaftspolitik auf wissenschaftlicher Grundlage und in den 1930er-Jahren zum führenden Kopf der «Kriseninitiative» der Gewerkschaften. Gefordert werden umfassende Massnahmen des Bundes gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Die bürgerlichen Parteien wittern den Auftakt einer sozialistischen Diktatur, sehen Eigentum und Wirtschaftsfreiheit gefährdet, mobilisieren alles. Die Volksinitiative wird abgelehnt, erreicht aber immerhin 43 Prozent Zustimmung.
Hirtenkutte und Arbeiterhemd, Armbrust und Spaten, Schweizerkreuz und grimmiger Blick. Die Kriseninitiative der Gewerkschaften gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise wird 1935 auf dem Plakat der «Nationalen Kampfgemeinschaft» gleichgesetzt mit Stalins Fünfjahresplan.
Hirtenkutte und Arbeiterhemd, Armbrust und Spaten, Schweizerkreuz und grimmiger Blick. Die Kriseninitiative der Gewerkschaften gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise wird 1935 auf dem Plakat der «Nationalen Kampfgemeinschaft» gleichgesetzt mit Stalins Fünfjahresplan. Wikimedia
Max Weber bekämpft Krisen, Ausbeutung und Klassenunterschiede konsequent. Dabei bewahrt er stets den Sinn für das Machbare. Doktrinäres Denken ist ihm fremd. Was Weber anstrebt, ist das jeweilige Optimum aus einem Fächer sachdienlicher Theorien und Praktiken.

So wenig jemals der wirtschaft­li­che Libera­lis­mus vollstän­dig rein bestanden hat, so wenig wird die organi­sier­te Wirtschaft [der Marxismus] als ein absolutes Prinzip eine Zukunft haben.

Max Weber, Gewerkschaftliche Rundschau, 1934
In der Theorie, so Weber, lasse sich zwar eine völlig liberale Wirtschaft vertreten, ebenso ein marxistisches Modell, eine bis ins Kleinste gelenkte Wirtschaft. Die gelebte Praxis werde jedoch immer zwischen diesen beiden extremen Polen einen Kompromiss schliessen. Ein langjähriger Gefährte bezeichnet die eigenständig pragmatische Haltung Max Webers witzig als «Maxismus» – es lebe der kleine Unterschied. Als Folge der Weltwirtschaftskrise ist die Lage in der Schweiz 1936 am bedrohlichsten, die Zahl der Arbeitslosen auf einem Höchststand, die Exportwirtschaft unter Druck. Wie in anderen Ländern steht eine Abwertung der Währung zur Diskussion. Nationalbank und Bundesrat lehnen diesen Eingriff vorerst ab. Auch die Mehrheit der SP wendet sich dagegen. Für Max Weber jedoch steht fest, dass mit einer Abwertung des Schweizer Frankens die Konjunktur angekurbelt wird. «Auch das Schweizer Volk kann nicht mehr wählen, ob es mit Hilfe des Staates kollektiv eingreifen solle oder nicht. Zur Wahl steht nur die Frage, ob das Eingreifen auf demokratischem oder autoritärem Wege erfolgen soll.»
Klarsicht und Zielstrebigkeit bereits auf dem Titelblatt. Mit dieser Schrift kommentiert Weber 1938 die zwei Jahre vorher beschlossene Abwertung des Schweizer Frankens.
Klarsicht und Zielstrebigkeit bereits auf dem Titelblatt. Mit dieser Schrift kommentiert Weber 1938 die zwei Jahre vorher beschlossene Abwertung des Schweizer Frankens. Kurt Messmer
Als Regierung und Parlament einen Grossteil der Bundesgesetze und -beschlüsse mit Dringlichkeitserklärungen dem Volksreferendum entziehen, warnt Weber vor dem Abgleiten in ein autoritäres Regime und strebt im Rahmen der Richtlinienbewegung ein Zusammengehen von Arbeitnehmern und Bauern an. Die zentralen Forderungen: Stopp dem Lohnabbau und dem Preisabbau landwirtschaftlicher Produkte; staatliche Programme zur Arbeitsbeschaffung sowie Förderung der Exportindustrie. Angestrebt wird ein Mitte-links-Bündnis, das die Sozialdemokraten in das politische System einbezieht und eine alternative Mehrheit gegen den Bürgerblock bildet. Die Vision bleibt Vision. Das Friedensabkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern von 1937, das Streiks und Aussperrungen verbietet, ist für Max Weber eine bedingungslose Kampfaufgabe der Gewerkschaften, die sich gegen Lohndruck nicht mehr wehren können. Mit seiner Kritik am Arbeitsfrieden unterliegt Weber. Es kommt zum Konflikt. Nach 16 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gibt Weber seine Funktion beim Dachverband auf, wird 1941 für vier Jahre Zentralsekretär und Präsident der Gewerkschaft Bau und Holz. Von 1944 bis 1951 leitet er als vollamtlicher Präsident den Verband Schweizerischer Konsumvereine.

Der Aufgabe verpflich­tet, nicht dem Amt

In jungen Jahren vertritt Weber die SP als Grossrat in St. Gallen, ab 1939 zwölf Jahre als Nationalrat in Bern. Ende 1951 empfiehlt ihn die SP zur Wahl in den Bundesrat. Das freut nicht alle. Viele sehen in ihm noch immer den Landesverräter. Doch Max Weber erreicht bereits im ersten Wahlgang das absolute Mehr.
Bundesrat Max Weber in seiner Privatbibliothek, 1953.
Bundesrat Max Weber in seiner Privatbibliothek, 1953. Keystone
Weber übernimmt das Finanz- und Zolldepartement. Seine grundlegende Reform der Bundesfinanzen zielt auf einen sozial verträglichen Ausgleich zwischen direkten Steuern, abgestuft nach Einkommen, und indirekten Steuern, gleich hoch für alle, etwa beim Kauf von Waren. Die bürgerlichen Parteien bekämpfen die Vorlage scharf und setzen sich am 6. Dezember 1953 durch. Weber wird bei der Sanierung der Bundesfinanzen ausgebremst – und zieht die Konsequenzen. Zwei Tage nach der Volksabstimmung tritt er als Bundesrat zurück, für alle überraschend, nach nur zwei Amtsjahren.
Das Bild zeigt von rechts nach links Max Weber im Austausch mit seinen beiden SP-Nachfolgern im Bundesrat, dem Zürcher Willy Spühler und dem Basler Hans-Peter Tschudi.
Nach dem Rücktritt Max Webers verzichten die Sozialdemokraten auf eine Kandidatur und sind fünf Jahre lang in der Landesregierung nicht vertreten. Diese Übergangszeit wird 1959 beendet durch die sogenannte Zauberformel. Das Bild zeigt von rechts nach links Max Weber im Austausch mit seinen beiden SP-Nachfolgern im Bundesrat, dem Zürcher Willy Spühler und dem Basler Hans-Peter Tschudi. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich
Wie er das höchste Amt angetreten hat, gibt er es ab: ohne Aufhebens. Als alt Bundesrat vertritt Weber seine Partei erneut zwölf Jahre im Nationalrat, von 1959 bis 1971. Er setzt sich für den Beitritt der Schweiz zum Europarat ein und ist in den 1960er-Jahren Mitglied der beratenden Versammlung dieses Rats. Als in der Hochkonjunktur immer mehr ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz geholt werden, warnt er vor dem Druck auf die Löhne, wie schon beim Friedensabkommen. Für die Jugendunruhen um 1968 hat er wenig Verständnis. Weber macht Politik auf seine Art.

Bildung. Der rote Faden

Grossvater Lehrer, Vater Lehrer, Mutter Arbeitslehrerin. Nach der Matura erwirbt Max Weber ebenfalls das Primarlehrpatent. Lehrer wird er erst rund 30 Jahre später, Vermittler ist er sein Leben lang, mit zahlreichen Vorträgen und Schriften. 1946 gründet er die Stiftung Schweizer Arbeiterschule. Für Gewerkschafter wird ein siebenwöchiger Lehrgang geschaffen. Den finanziellen Start erleichtert Max Weber mit 40‘000 Franken aus der eigenen Tasche.

Durch sein Leben zieht sich wie ein roter Faden der Glaube an die notwen­di­ge Verbes­se­rung der Gesell­schaft und an die Bildungs­fä­hig­keit des Menschen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund 1967 in der Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Weber
Weber ist ein Wirtschaftswissenschafter von Format. Einige seiner kritischen Interventionen, Kommentare, Vorschläge zur Wirtschaftspolitik des Bundes machen ihn landesweit zu einer massgebenden Stimme. 1943 wird er in den Bankrat der Nationalbank gewählt. 1948 ernennt ihn die Universität Bern zum ausserordentlichen Professor. Der Kreis zum Elternhaus schliesst sich als Hochschullehrer.
«Wir wollen, dass die Wirtschaft dem Menschen diene und nicht der Mensch der Wirtschaft. Der Wirtschaftsertrag soll gerecht verteilt werden.» Max Weber mit Kursteilnehmern der Schweizer Arbeiterschule 1957.
«Wir wollen, dass die Wirtschaft dem Menschen diene und nicht der Mensch der Wirtschaft. Der Wirtschaftsertrag soll gerecht verteilt werden.» Max Weber mit Kursteilnehmern der Schweizer Arbeiterschule 1957. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich
Nach seiner Zeit in der Landesregierung setzt Weber seine Lehrtätigkeit in Bern fort und lehrt zusätzlich an der Universität Basel: Sozialpolitik, Genossenschaftswesen, Finanzpolitik, Volkswirtschaft. Fast 20 Jahre lang schreibt er als Wirtschaftsredaktor im Nebenamt für die sozialdemokratische Berner Tagwacht. Er arbeitet bis an sein Lebensende.

Was ändert. Was bleibt

Die Frage, ob die Zeiten uns ändern oder wir sie, verliert an Trennschärfe, je länger wir über Max Weber und seine Epoche nachdenken: Weber wird von den jeweiligen Verhältnissen geprägt; gleichzeitig gestaltet er sie mit. Die bedeutendste Veränderung, für die er sich erfolgreich einsetzt, ist der Wandel vom dogmatisch klassenkämpferischen Sozialismus der Zwischenkriegszeit zur pragmatisch kooperativen Sozialpartnerschaft der Nachkriegszeit. Unabhängig von seinem frühen Rücktritt als Bundesrat leistet Max Weber einen wichtigen Beitrag zur Integration der Sozialdemokratie in das System proportional geteilter Macht in der Landesregierung. 1959 wird das schweizerische Konkordanzmodell ausgebaut, der Proporz im Bundesrat ungeschriebenes Gesetz. Soziale Gerechtigkeit, Bildung und Kultur, Gewaltlosigkeit und Frieden. Max Weber ist bereit, für seine Überzeugungen einen hohen Preis zu zahlen: Er nimmt eine Gefängnisstrafe auf sich, tritt als oberster Gewerkschafter des Landes zurück, gibt sein Amt als Bundesrat ab. Wenn er keinen Handlungsspielraum mehr sieht, weil militärische Gewalt eines Unrechtsregimes droht, ist er als überzeugter Pazifist sogar bereit, über seinen eigenen Schatten zu springen, sich und andere mit Waffen zu verteidigen, sein Ideal zurückzustellen – doch nur so lange, bis es die Verhältnisse erlauben, dem Ideal wieder den Platz zu geben, der ihm gebührt. Die Biografie Max Webers konfrontiert uns als Individuen mit grundlegenden Fragen des Lebens. Schlaglichter auf die historische Entwicklung seiner Lebensspanne 1897 bis 1974 deuten an, woher wir als Gesellschaft kommen.

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