Alfred Bertrand und Emilio Balli bei den Niagara-Fällen, 1879.
Alfred Bertrand und Emilio Balli bei den Niagara-Fällen, 1879. Wikimedia

Abenteuer und Bildung zum Pauschalpreis

Alfred Bertrand (1856-1924) und Emilio Balli (1855-1934) brachen am 1. August 1878 in Marseille zu ihrer Weltreise auf. Damit gehören sie zu den ersten fünf Schweizer Touristen, die eine Weltreise unternommen haben.

Lionel Gauthier

Lionel Gauthier

Lionel Gauthier ist Kurator des Musée du Léman in Nyon.

Dreieinhalb Jahrhunderte liegen zwischen der ersten Weltumsegelung der Geschichte durch die Mannschaft von Magellan im Jahr 1522 und den ersten touristischen Reisen um die Welt. Dreieinhalb Jahrhunderte lang war es unmöglich, den Globus zu umrunden, ohne an einer gefährlichen Expedition teilzunehmen, die enorme finanzielle Mittel erforderte. Das änderte sich 1869 mit der Eröffnung des Suezkanals und der Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Küsten der Vereinigten Staaten. Der französische Geograf Vivien de Saint-Martin schrieb damals: «Eine direkte und ununterbrochene Linie, die durch das schnelle Mittel des Dampfes bedient wird, umschliesst jetzt den gesamten Globus». Die Welt privat und zu seinem Vergnügen zu umrunden, war nun möglich. Diese neue Perspektive inspirierte Jules Verne zu seinem 1872 veröffentlichten Roman «Reise um die Erde in 80 Tagen», der Weltreisen noch populärer machte. 1869 starteten die ersten Touristen zu einer Weltreise. Drei Jahre später nahmen acht Touristen an einer Pauschal-Weltreise teil, angeboten durch Thomas Cook. Ab 1873 bis zu seinem Tod im Jahr 1892 organisierte er jedes Jahr eine solche Pauschalreise um die Welt.

Thomas Cook, Erfinder der Pauschalreise

Der Engländer Thomas Cook organisierte am 5. Juli 1841 für rund 500 Personen eine Eisenbahnreise von Leicester in die Nachbarstadt Loughborough zu einem Abstinenzlertreffen. Als überzeugter Alkoholgegner wollte er der Arbeiterklasse mit dieser Reise eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung bieten. Im Angebotspreis waren nebst dem Transport und der Organisation auch ein Schinkenbrot und eine Tasse Tee enthalten – die Idee der Pauschalreise war geboren.

Eine innova­ti­ve Kombination

Cooks Erfolge, Vernes Roman und die Erzählungen der ersten Weltreisenden beflügelten die Fantasie vieler. Nebst den Unerschrockenen, die sich auf eigene Faust auf den Weg machen, begannen Unternehmer mit der Organisation von Pauschalreisen um die Welt. In Frankreich wurde 1876 die «Société des Voyages d'Etudes Autour du Monde» (SVEAM) gegründet. Diese sollte jährlich eine Bildungsreise um die Welt organisieren, um den «jungen Leuten aus gutem Hause, die ihre klassische Schulbildung abgeschlossen haben, eine Ergänzung zur höheren Bildung zu bieten, die ihre Kenntnisse in einer praktischen Richtung erweitert und ihnen genaue Vorstellungen über die allgemeine Lage der wichtigsten Länder der Welt vermittelt». Die Kombination einer Pauschal-Weltreise mit einer Bildungsreise, wie sie seit mindestens dem 16. Jahrhundert von den Anhängern der Grand Tour praktiziert wurde, war eine Innovation. Ursprünglich für 1877 geplant, wurde die Reise um ein Jahr verschoben – wahrscheinlich gab es nicht genügend Anmeldungen. Die Preise der Reise waren denn auch hoch: 15’000 Francs für die Reise in einer Dreierkabine und 25’000 Francs für eine eigene Kabine. Zum Vergleich: 1878 verdiente ein Arbeiter ohne Verpflegung in der Kleinindustrie in Paris durchschnittlich 5,18 Francs pro Tag.
Der Werbekatalog der SVEAM für die geplante Weltreise.
Der Werbekatalog der SVEAM für die geplante Weltreise. Sudoc
Der Aufschub um ein Jahr ermöglichte es der SVEAM, unter anderem durch Zeitungsanzeigen, 20 Männer – denn Frauen waren nicht zugelassen – von der angeblich 320 Tage dauernden Reise zu überzeugen. Die Reisewilligen kamen aus Frankreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Polen, Russland und der Schweiz. Der 1856 in Genf geborene Alfred Bertrand war der jüngste Teilnehmer der Expedition. Er freundete sich schnell mit dem ein Jahr älteren Emilio Balli aus dem Tessin an. Ein weiterer Genfer, Alfred Audéoud, war nur beim ersten Teil der Reise dabei.

Die Reise der SVEAM

Am 1. August 1878 startete die Reise in Marseille. 75 Personen gingen an Bord des Dampfschiffs La Junon: Nebst den 20 Teilnehmern waren das 9 Offiziere, 1 Arzt, 1 Seelsorger, 1 Journalist, 41 Besatzungsmitglieder und 2 Lehrer – schliesslich handelte es sich um eine Bildungsreise. Nach Zwischenstopps in Gibraltar und Madeira erreichte die Reisegruppe São Vicente als Ersatz für Dakar, wo gerade eine Gelbfieberepidemie ausgebrochen war. Nach 15 Tagen Überfahrt lief das Schiff am 3. September in die Bucht von Rio de Janeiro ein. La Junon fuhr weiter nach Montevideo und Buenos Aires. Sie überquerte die Magellanstrasse und erreichte Valparaiso am 13. Oktober, Callao am 30. Oktober und Panama am 14. November.
Der ursprüngliche Reiseplan der SVEAM sah eine komplette Weltumrundung vor.
Der ursprüngliche Reiseplan der SVEAM sah eine komplette Weltumrundung vor. Sudoc
Auf jeder Etappe standen viele Aktivitäten auf dem Programm: Besichtigung von Denkmälern, Kennenlernen lokaler Besonderheiten, Treffen mit Persönlichkeiten (Gelehrte, Botschafter und Konsuln, Notabeln und sogar mit dem Kaiser von Brasilien), Jagdausflüge, Wanderungen und Sammeln von Souvenirs. Letzteres war besonders wichtig. Die SVEAM-Regeln erlaubten es den Teilnehmern, bis zu zwei Tonnen Waren auf das Schiff zu bringen. So wurden haufenweise Gegenstände, Dokumente und Fotografien gekauft, aber auch Proben von Exkursionen mitgenommen. Alfred Bertrand brachte zum Beispiel eine Kette aus Fischwirbeln mit, die er von einer Fuegianerin für ein Päckchen Tabak erhalten hatte; ein «Bündel Gras aus dem Wilden Westen Amerikas»; eine Samurai-Rüstung und einen Ziegelstein der Chinesischen Mauer. In Panama wurde die SVEAM-Reise aufgrund einer finanziellen Unstimmigkeit zwischen dem Unternehmen und dem Schiffseigner abgebrochen. Die Besatzung fuhr mit dem Schiff zurück nach Marseille. Die Rückreise verlief unter dramatischen Bedingungen, da an Bord eine Gelbfieberepidemie ausbrach. Sieben Besatzungsmitglieder starben während der Überfahrt von Rio de Janeiro nach Marseille. Die SVEAM überlebte den Misserfolg ihrer Reise nicht und wurde kurz darauf aufgelöst. Die meisten Reiseteilnehmer kehrten via New York über die Agentur von Thomas Cook nach Europa zurück. Eine Handvoll Reisende beschloss, ihre Weltumrundung fortzusetzen.
Eine der vielen Fotografien von Alfred Bertrand und Emilio Balli während ihrer Weltreise.
Eine der vielen Fotografien von Alfred Bertrand und Emilio Balli während ihrer Weltreise. Archiv Familie Balli

Die zweite Hälfte der Weltumrundung

Zu denjenigen, die sich nicht mit einer halben Weltreise begnügen wollten, gehörten Alfred Bertrand und Emilio Balli. Die beiden Freunde durchquerten zunächst die USA und besuchten die Niagarafälle, Chicago, Salt Lake City und schliesslich San Francisco, wo sie sich nach Yokohama einschifften. Nach zwei Monaten in Japan und drei Wochen in China entdeckten sie Hongkong, Singapur, Batavia, Indien, das sie mit dem Zug durchquerten und Ägypten, bevor sie nach Marseille zurückkehrten, wo sie am 28. September 1879 nach 472 Reisetagen ankamen – 152 Tage später als geplant. Für die beiden jungen Männer war es eine echte Initiationsreise. Alfred Bertrands Witwe bestätigte dies 1925: «Diese Expedition weckte nicht nur seine Vorliebe für ferne Kreuzfahrten, seine Beobachtungsgabe, seine Liebe zur Unabhängigkeit und seine unermüdliche Ausdauer bei der Überwindung von Hindernissen, sondern härtete auch seinen moralischen Charakter stark ab. Er kehrte, wie er selbst sagte, gereift zurück.»
Buchcover
Der Journalist und Mitreisende Gaston Lemay hat seinen Reisebericht als Buch herausgegeben. zVg

Eine gut dokumen­tier­te Reise

Die Reise der SVEAM lässt sich anhand der Berichte des Journalisten Gaston Lemay, des Expeditionsgeistlichen Abbé Mac-Erin, des Naturkundelehrers Louis Collot und von Alfred Bertrand genau nachvollziehen. Das Präsentationsheft und der Bericht für die Mitglieder der Gesellschaft nach der Reise liefern weitere wertvolle Einblicke, ebenso wie die zahlreichen Artikel, die in der Presse erschienen waren. Nicht zu vergessen sind schliesslich die Erinnerungen von Emilio Balli, die bis zum Erscheinen seines Buches «In 472 Tagen um die Welt» im Jahr 2024 unveröffentlicht waren, sowie die zahlreichen von Bertrand und Balli mitgebrachten Souvenirs. Ein Grossteil dieser Souvenirs existiert noch heute. Bertrands Souvenirs werden im «Musée d'ethnographie» und im «Muséum d'histoire naturelle» in Genf aufbewahrt, während Ballis Souvenirs unter seinen Erben und dem «Museo cantonale di storia naturale» in Lugano aufgeteilt sind.

Weltrei­sen. Von Jules Verne bis zu den ersten Globetrottern 

06.04.2025 26.10.2025 / Château de Prangins
In den 1870er-Jahren entstand ein neuer Reisetypus: der Globetrotter nach dem Vorbild von Phileas Fogg. Die Wechselausstellung begibt sich auf die Spuren von Tausenden von Touristen, die zwischen 1869 und 1914 die Welt umrundeten, vorwiegend aus dem Westen und wohlhabend. Unter ihnen waren auch mehrere Schweizerinnen und Schweizer, die Berichte, Erinnerungen und Sammlungen von Gegenständen mitbrachten.

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