Stereobetrachtungsgerät aus Holz, Ende 19. Jahrhundert.
Stereobetrachtungsgerät aus Holz, Ende 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum

3D im 19. Jahrhundert

Die Stereoskopie, die räumliche Wiedergabe von zweidimensionalen Bildern, begeisterte die Welt bereits im 19. Jahrhundert. Und sie half mit, die touristische Schweiz als Reiseland bekannt zu machen.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

In den 1960er- und 70er-Jahren war er fast in jedem Kinderzimmer zu finden: der Viewmaster. Mit diesem «Plastikfeldstecher» konnte man tief in die Welt von Mogli, Globi oder Winnetou eintauchen. Man steckte einfach die Kartonscheibe mit den Bildchen in den Viewmaster und klickte sich durch die Geschichte. Aber es waren nicht einfach farbige Bilder, die man durch den Feldstecher sah, sondern der Dschungel oder der Wilden Westen – und das in 3D!
Viewmaster, Model G.
Solche Viewmaster und Disks waren in den 1960er- und 70er-Jahren weit verbreitet. Wikimedia
Der Viewmaster wurde ab 1939 produziert, doch die Stereoskopie ist viel älter. Bereits 1838 hatte der britische Physiker Charles Wheatstone seine Forschungen zur Stereoskopie vorgestellt. In der Folge war es möglich, Bilder mit einem räumlichen Eindruck von Tiefe wiederzugeben. Zur 3D-Wahrnehmung ist ein Betrachtungsgerät notwendig, durch den das linke und das rechte Auge getrennt auf zwei leicht unterschiedliche, zweidimensionale Bilder schauen. Daraus konstruiert das Sehzentrum des Gehirns ein räumliches Bild.
Porträt von Charles Wheatstone.
Porträt von Charles Wheatstone. Wellcome Collection

Globales Massen­me­di­um

Schon bald nach ihrer Erfindung mauserte sich die Stereoskopie Hand in Hand mit der nur ein Jahr später vorgestellten Fotografie zu einem globalen Massenmedium. Dazu trugen vor allem britische und amerikanische Verlage bei, welche die Produkte zu erschwinglichen Preisen anboten und weltweit vertrieben. Auch der aufkommende Tourismus und die damit verbundene Reiselust begünstigten dieses Phänomen. Da sich lange nicht alle Ferien leisten konnten, wurde das imaginäre Reisen mit Bildkarten zu einem beliebten Hobby des Bürgertums. Das Eintauchen in Bildwelten ferner Länder stillte das Fernweh und sorgte für Gesprächsstoff in den Salons und Wohnzimmern. Dort grassierte bald die «Stereomanie», ein Sammelfieber, das durch den Seriencharakter der Stereokarten begünstigt wurde.
Eine Frau bewundert einen Walliser Gletscher, um 1865.
Eine Frau bewundert einen Walliser Gletscher, um 1865. Schweizerisches Nationalmuseum
Zu den beliebtesten Bildmotiven gehörte die Bergwelt. Damit rückte die Schweiz automatisch ins Zentrum des Interesses. Landschafts- und Städteansichten wurden rund um den Globus konsumiert. Es gab aber auch immer wieder Bilder des alltäglichen Lebens oder der rasant wachsenden Infrastruktur zu bewundern. Anfang des 20. Jahrhunderts begann der aufkommende Film die «dreidimensionalen» Fotografien als Massenmedium abzulösen. Der Niedergang der Stereoskopie war eingeleitet, bis der Viewmaster diese Technik noch einmal auf die grosse Bühne und vor allem in Millionen von Kinderzimmern brachte.
Zug im Lauterbrunnental, um 1910.
Zug im Lauterbrunnental, um 1910. Schweizerisches Nationalmuseum
Interessanterweise steht die Stereoskopie erneut vor einem fulminanten Comeback. Spielzeughersteller und Unternehmen aus dem digitalen Bereich nutzen sie, um ihre Kundinnen und Kunden in computergenerierte 3D-Welten zu entführen. Doch nun geht es nicht mehr nur um ein Eintauchen in andere Welten, sondern darum, sich in diesen Welten zu bewegen. Dank Interaktionsmöglichkeiten ist das Potential zum globalen Kassenschlager auch hier wieder vorhanden.

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