
Ein Kiosk auf der Höhe seiner Zeit
Der Kiosk von Locarno war weit mehr als nur ein kleiner Verkaufsort. Im Laufe seiner rund hundertjährigen Geschichte war er Zeitungskiosk, Anlaufstelle für Abenteuer und Internetcafé – und damit ein vielschichtiger Zeuge von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Wandel.
Im sich um 1900 verdichtenden Versorgungsnetz konnten sich aber auch kleine Verkaufsorte einen Platz ergattern. In der Geschichtsschreibung werden sie zuweilen etwas übersehen, auch wenn ihre Bedeutung für den Alltag der Menschen keineswegs zu unterschätzen ist. Ein Beispiel hierfür ist der Kiosk. Die ersten Kioske waren – aus architektonischer Sicht – leichte Bauten aus Holz oder Eisen und Glas. Als freistehendes Strassenmobiliar konnten sie auf Gehwegen, Plätzen oder in Parks schnell aufgebaut, aber auch schnell wieder versetzt oder entfernt werden. Nicht zuletzt diesem mobilen, flüchtigen Charakter ist es wohl zu verdanken, dass 2011 ein vollständig erhaltenes Kioskhäuschen aus Locarno Eingang in die Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums finden konnte.
Ab wann genau der Kiosk in Locarno stand, konnte bisher nicht eruiert werden. Eine Fotopostkarte aus der Zeit um 1910 zeigt ihn neben dem «Hotel Bahnhof» und gegenüber der Standseilbahn, die das Stadtzentrum ab 1906 mit der Wallfahrtskirche Madonna del Sasso verband. Typisch für einen Kiosk befand er sich also an einem Ort, wo viel – und in diesem Fall auch touristische – Laufkundschaft zu erwarten war. Das auf Deutsch beschriftete Schild und die Auslage machen deutlich, dass am Kiosk Zeitungen und andere Druckerzeugnisse erhältlich waren. Damit war er Teil eines zunehmend massenmedial geprägten Nachrichtenmarktes, der das wachsende Interesse der Kundschaft nach Aktualitäten und Unterhaltung ebenso ankurbelte wie bediente.
Weitere Erinnerungen von Giancarlo Cacciamognaga betreffen das durchaus typische Angebot, das einen jeden Kiosk zu einem vielfach nostalgisch erinnerten Ort des kleinen Glücks – und des kleinen Lasters macht. Nebst Zeitungen, Zeitschriften und Postkarten waren Tabakprodukte wie Zigaretten oder Zigarren erhältlich und selbstverständlich auch Süssigkeiten. Schokoladen und Glacen seien insbesondere bei der italienischen Kundschaft beliebt gewesen, die am Wochenende einen Schiffsausflug nach Locarno unternahm. Und nicht zuletzt sorgten Wettspiele wie das Schweizer und das italienische Sport-Toto für regelmässige Rückkehrer. Denn wer weiss, vielleicht folgt ja dieses Mal auf das Kribbeln im Bauch, das einem beim Kreuzchen-Setzen begleitet, schon bald der grosse Jubel über den richtigen Tipp?





