Im Juli 1944 stürzte ein Flugzeug namens «Jackpine Joe» im Zürcher Weinland ab. Ausgerechnet auf das Schloss des IKRK-Präsidenten. Illustration von Marco Heer.
Im Juli 1944 stürzte ein Flugzeug namens «Jackpine Joe» im Zürcher Weinland ab. Ausgerechnet auf das Schloss des IKRK-Präsidenten. Illustration von Marco Heer.

Das zerstörte Schloss von Max Huber

Am 19. Juli 1944 stürzte ein abgeschossener US-Bomber auf das Schloss Wyden in Ossingen, das dem Zürcher Völkerrechts-Professor und IKRK-Präsident Max Huber gehörte.

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr ist Kultur- und Medienwissenschafter und lebt in Zürich.

Der 19. Juli 1944 war ein warmer Sommertag. Im Schloss Wyden bei Ossingen in der Nähe von Andelfingen (ZH) spielte der fünfjährige Ueli Huber, neben ihm krabbelte sein einjähriger Bruder Ruedi durch das hohe Gras. Die Idylle fand kurz vor zwölf Uhr ein jähes Ende: Ein amerikanischer Bomber stürzte auf Turm und Wohnhaus des Schlosses, das sofort brannte. Das Gebäude gehörte dem bekannten Völkerrechts-Professor Max Huber. Der Schlossbesitzer weilte in diesen Tagen zur Erholung auf dem Mont Pèlerin am Genfersee, einige Familienmitglieder befanden sich aber auf dem Schloss. Ueli, der Enkel von Max Huber, erinnert sich auch heute noch gut an diesen Schreckmoment: Ausgerechnet am Baum, unter dem er spielte, blieb ein abgerissener Flügel der Maschine mit seinen noch brennenden Benzintanks hängen. «Ich realisierte den schrecklichen Lärm und die aufgeregten Feuerwehrleute und Soldaten die herumsprangen. Offenbar hatte ich Angst und bin verschwunden. Auf halbem Weg ins Dorf Ossingen wurde ich von fremden Leuten abgefangen und in ihr Haus gebracht.»
Max Huber in seinem Arbeits- und Studienzimmer auf Schloss Wyden.
Max Huber in seinem Arbeits- und Studienzimmer auf Schloss Wyden. Familienarchiv Max Huber
Schloss Wyden in Ossingen, aufgenommen um 1930.
Schloss Wyden in Ossingen, aufgenommen um 1930. e-pics
Glück im Unglück: Beim Flugzeugabsturz in Ossingen wurde niemand getötet. Eine Hausangestellte wurde beim Brand leicht verletzt. Sonst kam niemand zu schaden. Trotzdem trug Ueli Huber ein Trauma davon. Die Bilder des brennenden Flugzeugs verfolgten ihn noch während Jahren. Eine Wochenzeitung berichtete mit einigem Detailwissen über das Unglück: «Am 19. Juli brauste gegen Mittag über das Stammheimertal ein offensichtlich führerloser amerikanischer Liberator-Bomber, aus dessen einem Motor heisse Stichflammen schossen. Plötzlich überschlug sich die mächtige Maschine und stürzte beinahe senkrecht auf Schloss Wyden ab. Am Turm zerschellte der brennende Apparat; der Rumpf blieb auf dem Dach der Hauskapelle liegen, eine Tragfläche flog in die weitausladenden Bäume und die Kanzel mit dem anderen Flügel und einem Teil des Fahrgestells wurde mit grosser Wucht an die gegenseitige Schlossfassade hinuntergeschleudert. Das ganze Schloss, über das sich das ausfliessende Oel und Benzin ergoss, stand sofort in hellen Flammen».
Blick auf das Schloss, kurz nach dem Absturz des amerikanischen Bombers, Juli 1944.
Blick auf das Schloss, kurz nach dem Absturz des amerikanischen Bombers, Juli 1944. Familienarchiv Max Huber
Beim Flugzeug, das auf das Schloss stürzte, handelte es sich um einen amerikanischen Bomber des Typs B-24 Liberator. Es trug den Übernahmen «Jackpine Joe» und hatte normalerweise zehn Personen an Bord. B-24-Flugzeuge transportierten nicht nur Bomben, sondern hatte auch verschiedene eingebaute Geschütze, um sich gegen feindliche Luftangriffe zu verteidigen. Das erklärt die hohe Anzahl der Crewmitglieder. Die «Jackpine Joe» hatte bei der Bombardierung von München einen Motorschaden erlitten und war anschliessend über Friedrichshafen beschossen worden. Der Pilot beschloss, den Bomber Richtung Schweiz zu steuern. Der Navigator verliess das Flugzeug noch vor Erreichen der Grenze und geriet in deutsche Gefangenschaft. Der Copilot wurde getötet, weil sich seine Reissleine nicht öffnete. Die anderen Besatzungsmitglieder konnten sich retten und wurden bis zum Ende des Krieges in der Schweiz interniert.
Ein angeschossener B-24-Bomber über Italien, April 1945.
Ein angeschossener B-24-Bomber über Italien, April 1945. Wikimedia
Viele der in der Schweiz abgestürzte US-Flugzeuge, auch B-24-Bomber, wurden konfisziert und auf den Flughafen Dübendorf gebracht.
Viele der in der Schweiz abgestürzte US-Flugzeuge, auch B-24-Bomber, wurden konfisziert und auf den Flughafen Dübendorf gebracht. Wikimedia
Die amerikanische Regierung entschädigte die Familie nach dem Krieg für den Schaden. Allerdings verbrannten im Schloss nicht nur die Privatbibliothek des Professors, sondern auch persönliche Unterlagen. Die anrückende Feuerwehr konnte nur gerade einige wertvolle Bilder retten. Die Maschine von Ossingen war nicht das einzige Flugzeug, das dieses Schicksal erlitt: Rund 250 Flugzeuge stürzten während des Krieges in der Schweiz ab oder mussten notlanden. Dabei handelte es sich sowohl um alliierte wie auch um Maschinen der Achsenmächte, wobei letztere in der Minderzahl waren. Die Besatzungen wurden nach dem Völkerrecht interniert und die Maschinen konfisziert. Ein Grossteil davon wanderte danach auf den Flughafen in Dübendorf (ZH), wo so ein riesiges Lager entstand.
Das zerstörte Wohnhaus von Max Huber nach dem Flugzeugabsturz 1944.
Detailaufnahme der Zerstörung nach dem Flugzeugabsturz auf Schloss Wyden im Juli 1944.
Das Anwesen war nach dem Absturz des US-Bombers vielenorts zerstört. Fotos: Familienarchiv Max Huber
Max Huber (1874-1960) gehörte zu den angesehensten Persönlichkeiten seiner Zeit und war 1928 bis 1944 Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK und nahm in dieser Funktion auch den Friedensnobelpreis entgegen, der dem IKRK 1944 verliehen wurde; dann war er auch Mitglied und Präsident des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag und Berater beim Eidgenössischen Politischen Departement, dem Schweizer Aussenministerium. Huber erhielt für sein Engagement elf Ehrendoktorate von Universitäten in der Schweiz und im Ausland. Der Idealist hatte sich sein ganzes Leben lang für die Opfer von Konflikten engagiert. Es erstaunt deshalb nicht, dass Max Huber auf die Nachricht aus Ossingen gelassen reagierte und froh war, dass beim Unglück keine Menschen ums Leben gekommen waren. Erreicht hatte sie ihn in der Westschweiz. Der 69-Jährige wohnte während des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich in Genf, auch weil als IKRK-Präsident oft dort zu tun hatte. Ausserdem war er regelmässiger Gast des Sanatoriums Mont Pèlerin oberhalb von Vevey, da er gesundheitlich angeschlagen war.
Max Huber (Dritter von links, sitzend) bei einem IKRK-Treffen der nicht kriegführenden Länder 1940 in Genf.
Max Huber (Dritter von links, sitzend) bei einem IKRK-Treffen der nicht kriegführenden Länder 1940 in Genf. Wikimedia / ICRC
Den Verlust seiner ganzen Bibliothek und seiner Manuskripte nahm Max Huber hin. Den tiefsten Schmerz, so sagte er später einmal, war nicht der Brand von Wyden, sondern die Zerstörung der Abtei von Monte Cassino zwischen Rom und Neapel im Februar 1944 durch die US-Luftwaffe. Dort formulierte der Benedikt von Nursia, der Gründer des Benediktinerordens, im Jahr 529 die Benediktinerregel mit dem Satz «Ora et labora». Die Verbindung von Spiritualität und Arbeit war auch für Max Huber zeitlebens ein zentrales Anliegen gewesen.
Zeitzeuge Ueli Huber vor dem wieder aufgebauten Schloss Wyden in Ossingen.
Zeitzeuge Ueli Huber vor dem wieder aufgebauten Schloss Wyden in Ossingen. Foto: Dominik Landwehr

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