Historienzyklus: Alexanderschlacht (Schlacht bei Issus), gemalt von Albrecht Altdorfer, 1529.
Kühne Vogelperspektive: Alexanderschlacht (Schlacht bei Issus), gemalt von Albrecht Altdorfer, 1529. Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Die Erfindung des Schlachtfelds

Schlachtengemälde erzählen oft mehr über den politischen Zeitgeist als über militärische Erfolge und Kriegshandlungen. An ihnen lässt sich der Wandel des Geschichtsverständnisses ablesen.

Barbara Basting

Barbara Basting

Barbara Basting war als Kulturredaktorin tätig und leitet derzeit das Ressort Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Zürich.

Mit Historiendarstellungen, erst recht solchen von Schlachten, tun wir uns heute schwer. Nur künstlerisch aussergewöhnliche Werke entgehen dem Schicksal, im Depot zu landen. Dies ist etwa der Fall bei Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht mit ihrer abenteuerlichen Flugperspektive. Zu ihrer Berühmtheit hat die Anekdote beigetragen, dass Napoleon sie bei einem seiner Kunstraubzüge in München entwenden und in seinem Badezimmer aufhängen liess. Aus kulturhistorischer Sicht können selbst künstlerisch überholte Schlachtengemälde interessant sein. An ihnen lässt sich der Wandel des Geschichtsverständnisses ablesen. Auch kann man einiges über die Spielregeln der Produktion von historischen Fiktionen und Bildpropaganda lernen. Welche Geschichte soll hier jeweils dargestellt werden, aus wessen Perspektive und zu welchem Zweck? Vermeintlich langweilige «Historienschinken» erzählen oft mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Nehmen wir das Beispiel einer im 19. Jahrhundert bekannten und beliebten Darstellung von Sempach und seiner Schlacht (1386): das 1841 vom Zürcher Maler Ludwig Vogel (1788-1879) fertiggestellte Historiengemälde Die Eidgenossen bei der Leiche Winkelrieds. Es hat erheblich dazu beigetragen, die Schlacht von Sempach samt Winkelried zu einem Nationalmythos zu stilisieren. Modernen Erkenntnissen zufolge handelt es sich hierbei ähnlich wie bei Wilhelm Tell um eine Geschichtsklitterung. Vogels Werk wird nicht zuletzt wegen seiner künstlerisch dürftigen Qualität höchstens noch in Sonderausstellungen gezeigt. Im 19. Jahrhundert hingegen wurde es in Nationalausstellungen präsentiert, diskutiert, vom Künstler wie von seinen Zeitgenossen variiert und vielfach reproduziert. Das war möglich, weil Vogel mit dem für die gemeinsame Sache gestorbenen Winkelried der entstehenden Nation im richtigen Moment eine Identifikationsfigur lieferte. Historienbilder haben viel mit Wunscherfüllung zu tun.
Die Eidgenossen bei der Leiche Winkelrieds, gemalt von Ludwig Vogel, 1841.
Die Eidgenossen bei der Leiche Winkelrieds, gemalt von Ludwig Vogel, 1841. Kunstmuseum Basel
Vogel hatte, eher ungewöhnlich für so ein Historiengemälde mit weitreichendem Anspruch, keinen offiziellen, sondern einen privaten Auftraggeber. Es war der patriotisch bewegte Winterthurer Lehrer, Politiker, Kartenverleger und Kunstförderer Jakob Melchior Ziegler, unter anderem Vorkämpfer für ein Nationaldenkmal. Vogel selber stammte ebenfalls aus einem patriotisch gesinnten, noch dazu wohlhabenden Haushalt (sein Vater war der Zürcher Konditormeister David Vogel, der später sein Geschäft einem gewissen Herrn Sprüngli verkaufte) und konnte sich ohne Existenzsorgen der Kunst widmen. Ästhetisch orientierte sich Vogel an der spätromantischen, idealisierenden Geschichtsauffassung der Nazarener. Die Künstlergruppe, der er sich während seiner Ausbildungsjahre in Wien und Rom anschloss, war bestrebt, aus der Geschichte Vorbilder und Orientierungen für die Gegenwart herauszudestillieren. Es wurde kein Aufwand gescheut, die Glaubwürdigkeit und Bedeutung der gewählten Bildthemen zu unterstreichen. Ludwig Vogel etwa studierte dafür historische Chroniken. Als Ausgangsmaterial fertigte er Skizzen von Rüstungsgegenständen in Zeughäusern, wie sein umfangreicher Nachlass im Schweizerischen Nationalmuseum zeigt.
Aquarellierte Bleistiftzeichnung von Ludwig Vogel einer Rüstung aus dem 15. Jahrhundert im Zeughaus Luzern, undatiert.
Aquarellierte Bleistiftzeichnung von Ludwig Vogel einer Rüstung aus dem 15. Jahrhundert im Zeughaus Luzern, undatiert. Schweizerisches Nationalmuseum
Vom langwierigen Entwicklungsprozess der Komposition zeugen Vorstufen der endgültigen Fassung für Ziegler 1841. Auch später griff Vogel auf Elemente der Komposition zurück. Zur verschlungenen Wirkungsgeschichte des Werks gehört unter anderem die Beteiligung Vogels am Nidwaldner Wettbewerb um ein Winkelried-Denkmal 1853.
Vogels Entwurf für das Winkelreid-Denkmal in Stans, 1840.
Vogels Entwurf für das Winkelreid-Denkmal in Stans, 1840. Schweizerisches Nationalmuseum
In seinem Gemälde Die Eidgenossen bei der Leiche Winkelrieds macht Vogel einiges richtig. Statt einer unübersichtlichen Wimmelszene einer Schlacht konstruiert er einen Schlüsselmoment nach der Schlacht. Um unsere Wahrnehmung zu konzentrieren, weist er uns einen privilegierten Standpunkt zu. Wir stehen direkt vor Winkelrieds Leiche und gesellen uns zu den von seinem Tod erschütterten Mitstreitern. Allerdings springt zumindest aus heutiger Sicht sofort die Künstlichkeit der Szene ins Auge. Zunächst wird das dick aufgetragene Pathos durch das Fehlen noch des kleinsten Bildwitzes entlarvt. Die theatralischen Posen von Vogels Figuren wirken übertrieben und gestellt. Zweischneidig ist auch Vogels Liebe zum Detail. Damit will er die generelle Faktentreue und Echtheit auch der dargestellten Geschichte unterstreichen. Paradoxerweise erreicht er mit der Hyperperfektion jedoch genau das Gegenteil. Die Pfauen-Helmzier der niedergerungenen Habsburger, die polierten Hellebarden, die Helme und Rüstungsteile wirken wie aus einer Museumsvitrine entnommene Requisiten. Zu kalkuliert auch die sorgfältigen, auf das Nazarener-Vorbild Raffael verweisenden Farbkontraste der verdächtig sauberen Gewände. Der angebliche Schauplatz einer Schlacht wirkt so eher wie ein Prospekt der Modemarke «Schweizerkreuz». Vogel hat auch Mühe mit der Anatomie: Sein Winkelried erinnert an ein schlafendes Riesenbaby, das nicht feindliche Speere, sondern ein Plüschtier an sich drückt. Passend dazu wirken die offenbar getöteten Krieger links und rechts am Bildrand wie achtlos weggeworfene Puppen. Vor allem aber lenkt der Maler mit seiner idealistisch verzerrten, kitschigen Geschichtscollage von der Gegenwart ab. Man vergleiche mit einem Francisco de Goya (1746-1828), der künstlerisch unmittelbar auf die napoleonischen Kriegsgräuel seiner Zeit reagierte.
Die Erschiessung der Aufständischen, gemalt von Francisco de Goya, 1814.
Kriegsgräuel im Fokus: Die Erschiessung der Aufständischen, gemalt von Francisco de Goya, 1814. Museo Nacional del Prado
Historiengemälde haben also nicht nur mit Wunscherfüllung zu tun, sie dienen häufig auch der Ablenkung von einer unerfreulichen Realität. Wie hätte Vogels Winkelried wohl ausgesehen, wenn er sich als junger Maler nicht nach Rom gewandt hätte, um mit seinen Nazarenerfreunden das Mittelalter neu zu erfinden, sondern sich im zeitgenössischen Paris umgeschaut hätte? Dort ging in den Jahren nach der Revolution auch künstlerisch die Post ab. Dazu trug bei, dass Napoleon die Kunst weit selbstbewusster und gezielter als die um ihre Identität ringenden Schweizer Bürger für propagandistische Zwecke einspannte. So hatte er 1807 einen Wettbewerb um die Darstellung der Schlacht von Preussisch Eylau ausschreiben lassen. Siegreich war das Monumentalgemälde Napoléon sur le champ de bataille d’Eylau (1808) von Antoine-Jean Gros (1771-1835). Es hängt bis heute im Louvre in dem Trakt, wo traditionell die grossen Akademieausstellungen stattfanden, allerdings im Schatten seiner berühmten Nachbarn, namentlich Théodore Géricaults Floss der Medusa oder Eugène Delacroix’ Liberté guidant le peuple.
Napoléon sur le champ de bataille d’Eylau, gemalt von Antoine-Jean Gros, 1808.
Napoléon sur le champ de bataille d’Eylau, gemalt von Antoine-Jean Gros, 1808. Musée du Louvre
Gros’ Gemälde bildet nicht nur ein Schlachtfeld, sondern darüber hinaus die kunstpolitischen Konflikte der Epoche ab. Vordergründig orientiert er sich an Napoleons Wettbewerbsprogramm, das einzig seiner Verklärung diente. Die Schlacht von Eylau (heute in Russland) war äusserst verlustreich und militärisch gesehen für die Franzosen ein Debakel gewesen. Daher fürchtete Napoleon den Verlust der Unterstützung für weitere Aushebungen und Feldzüge. Gros’ erfolgreicher Vorschlag der Geschichtsfälschung geht so: Keine Darstellung verletzter Franzosen. Napoleon als Kreuzung des aus der Antike bekannten «milden Kaisers» mit der formelhaften Figur des segnenden Christus, der sich sogar um verletzte Gegner kümmert (in krassem Widerspruch zu Zeugenberichten). Der Subtext: Für seine eigenen Soldaten wird dieser barmherzige Herrscher erst recht besorgt sein. Der Egomane Napoleon schätzte Gros’ Gemälde. Dabei übersah er offenbar die Verletzten und Leichen im Vordergrund und insbesondere den verblutenden Soldaten rechts unten. Sein verstörender Blick fixiert uns und lässt Napoleons recht entrückte Präsenz noch stärker in den Hintergrund treten. Gros’ Darstellung erscheint nicht nur wegen solcher Bildformeln um einiges glaubwürdiger als das Kostümspiel von Vogel. Auch die tonale Farbpalette, erst recht aber die qualvoll verreckten, schneebedeckten russischen Opfer im Vordergrund weisen auf das wahre Debakel der Schlacht hin. Vor allem wird der propagandistische Zweck des Gemäldes durch diese Widersprüche sogar diskret unterlaufen. Wachen Zeitgenossen fiel das sofort auf. Jedenfalls verraten solche Bildelemente, dass es Gros in seiner Rolle als Jubelmaler nicht ganz wohl war. Noch eklatanter wird das im 19. Jahrhundert fortschreitende Unbehagen am nationalistischen Genre des Schlachtengemäldes bei Ernest Meissonier (1815-1891). Der seinerzeit beim Bürgertum beliebte Franzose malte zwischen 1861 und 1875 eines seiner berühmtesten Gemälde, das inzwischen auch Depotware ist: 1807, Friedland.
1807, Friedland, gemalt von Ernest Meissonier, zwischen 1861 und 1875.
1807, Friedland, gemalt von Ernest Meissonier, zwischen 1861 und 1875. The Metropolitan Museum of Art
Seine Bewunderer schätzten Meissoniers Werke wegen ihrer Detailgenauigkeit und der daraus abgeleiteten Glaubwürdigkeit. Ähnlich wie Gros wählte Meissonier für 1807, Friedland eine berühmte napoleonische Schlacht, die allerdings siegreich war – und für seine Generation schon historisch. Mit Vogel teilt er das Ideal der akribisch rekonstruierten Requisite und treibt es auf die Spitze. Der Kunsthistoriker Peter Geimer hat jüngst Meissoniers Kniffe genauer beschrieben. Der Maler legte Sammlungen historischer Objekte und Textilien an. Er besorgte sich sogar das Faksimile einer Uniform Napoleons und setzte sich in dieser auf ein hölzernes Pferd, um sich in die Rolle des Befehlshabers «einzufühlen». Schon Zeitgenossen störten sich an der übertriebenen Mimikry, die – anders als bei Vogel - einhergeht mit einer kompletten Gleichgültigkeit gegenüber der dargestellten Szenerie. So verspottete Emile Zola Meissonier als «offiziellen Maler von Liliput». Bezogen auf die für Europa so folgenreiche Geschichte der napoleonischen Kriege waren die vorgezeigten Details schon damals leere Staffage. Geimer nennt sie «Spuren ohne besondere Botschaft», die zu einem «narrativen Nullpunkt» führen, zu Langeweile. Nicht unbedingt, was man von einer Schlachtenszene erwartet. Medienhistorisch gesehen ist Meissoniers Schaffen aber bemerkenswert. Denn er überträgt den Kamerablick der damals neuen Fotografie, das scheinbar objektive Registrieren und Dokumentieren, als ästhetisches Prinzip in die Malerei. Wenn der zeitgenössische Kunstkritiker Jules Claretie 1873 bemerkt, die offizielle Schlachtenmalerei sei tot, stimmt das. Abgelöst wurde sie einerseits von Darstellungsformen, die das Moment der illusionistischen Inszenierung, das Vogel und Meissonier wichtig war, auf die Spitze treiben: die Panoramen. Sie wollen das Publikum mitten ins Geschehen versetzen, wie man es im Bourbaki-Panorama in Luzern heute noch erleben kann.
Das Bourbaki-Panorama versetzt die Betrachterin und den Betrachter ins vermeintliche Zentrum des Geschehens.
Puppen im Vordergrund, Gemälde im Hintergrund: Das Bourbaki-Panorama versetzt die Betrachterin und den Betrachter ins vermeintliche Zentrum des Geschehens. Wikimedia / Alessandro Gallo
Für die Dokumentation des tatsächlichen Geschehens waren fortan die Fotografen zuständig. So schlug Roger Fenton mit seiner fotografischen Dokumentation des Krimkriegs 1853 ein neues Kapitel in der Darstellung kriegerischer Handlungen auf. Heute hat es mit den von den Go-Pro-Helmkameras der Soldaten im Ukrainekrieg live gestreamten Szenen seinen vorläufigen Kulminationspunkt erreicht. Dass sich auch wirklichkeitsgesättigte Darstellungsformen wie Panorama und Fotografie prächtig für Reproduktionen, Propagandazwecke, Geschichtsfälschungen und -konstruktionen aller Art nutzen liess und lässt, ist ein anderes Kapitel. Auch Vogel war hier durchaus auf der Höhe der Zeit, wie Heinrich Thommen in einer detaillierten Studie zu Vogels Werk darlegt: Gegen Ende seines Lebens liess er vom Zürcher Fotografen Johannes Ganz eine Serie seiner Kompositionen, darunter eine spätere Fassung seines «Winkelried» von 1856, für eine Edition aufnehmen.

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