Der Heilige Eligius ist der Schutzpatron der Hufschmiede und Tierärzte. Der Legende nach hat er einem Pferd den Fuss amputiert, ihn auf dem Amboss beschlagen und anschliessend wieder angesetzt. Diese Geschichte ist auf einer Wandmalerei in der Kirche Kirchlindach BE aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dargestellt.
Der Heilige Eligius ist der Schutzpatron der Hufschmiede und Tierärzte. Der Legende nach hat er einem Pferd den Fuss amputiert, ihn auf dem Amboss beschlagen und anschliessend wieder angesetzt. Diese Geschichte ist auf einer Wandmalerei in der Kirche Kirchlindach BE aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dargestellt. Foto: Michael Graf

Von mittel­al­ter­li­chem Husten und heilendem Wurmsegen

Was können wir von mittelalterlichen Hustensäften und Wurmsegen lernen? Nicht zuletzt unerwartete Inspirationen für eine geteilte Geschichte der Gesundheit von Mensch und Tier.

Isabelle Schürch

Isabelle Schürch

Isabelle Schürch ist Postdoc-Assistentin an der Abteilung für mittelalterliche Geschichte am Historischen Institut der Universität Bern.

Husten kommt und geht – und begleitet fast alle von uns durch die alljährlich wiederkehrende Grippesaison. Ob trocken, tief, hartnäckig oder nur ein bisschen kratzend beraubt er uns unseres Wohlseins, unseres Atems und ab und an sogar unseres Schlafs. Husten kennen jedoch nicht nur wir Menschen, sondern auch unsere tierlichen Begleiter. Es sind besonders diejenigen tierlichen Wesen, die historisch gesehen in unserem engsten Umfeld leben – also etwa Hunde, Kühe, Schweine, Schafe und ganz besonders Pferde – mit denen wir Menschen Erkältungsviren und Bakterien teilen. Dieser geteilten Geschichte des Hustens und anderer Leiden spürt dieser Blogbeitrag nach. Dabei geht es um das mittelalterliche Kapitel dieser gemeinsamen menschlich-tierlichen Krankheits- respektive Gesundheitsgeschichte.
Einem Pferd wird Medizin verabreicht. Darstellung aus "Lo libro dele marescalcie dei cavalli" von Giordano Rosso, 13. Jahrhundert.
Einem Pferd wird Medizin verabreicht. Darstellung aus «Lo libro dele marescalcie dei cavalli» von Giordano Rosso, 13. Jahrhundert. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Ein Buch, viele Rezepte

Gegen Husten soll im Spätmittelalter folgendes Rezept geholfen haben: Man nehme Kirschsteine, verstosse sie und mische sie mit altem Wein. Dieser Trank vertreibe nicht nur den lästigen Husten, sondern auch «die enge des herzens». Leide man allerdings unter einem besonders trockenen Husten, dann solle man es eher mit folgendem Rezept versuchen: Man nehme Beinwellwurzeln und schneide sie in Scheibchen. Die Scheibchen lege man dann auf ein heisses Stück Holz und «empfach den dampff zuo dem mund bis zum schwitzen» (entfache den Dampf zum Mund hin bis zum Schwitzen). Inhalation, Dämpfen und Hustensaft gehörten damit schon im Mittelalter zu den wohlbekannten Heilmitteln, die mit Zutaten aus der eigenen Haus- und Gartenapotheke hergestellt werden konnten. Diese praktischen Heilmittelrezepte sind uns in zahlreichen spätmittelalterlichen Rezeptsammlungen überliefert. Ein solches Beispiel ist die etwas unscheinbare medizinische Sammelhandschrift aus den 1460er-Jahren, die heute in der Solothurner Zentralbibliothek liegt. Gleich mehrere Hustenrezepte finden sich hier auf Folioseite 149r. Mit etwas Entziffereifer kann der in der Randnotiz vermerkte Hinweis auf Husten («V huosten») auf der Folioseite oben rechts entdeckt werden, der den spätmittelalterlichen Leserinnen und Lesern der Rezeptsammlung wohl zur schnellen Orientierung diente.
Auszug aus der medizinischen Sammelhandschrift mit der Signatur «Codex S 386», ca. 1463-1466.
Auszug aus der medizinischen Sammelhandschrift mit der Signatur «Codex S 386», ca. 1463-1466. e-codices, Zentralbibliothek Solothurn
Was moderne Leserinnen und Leser nun erstaunen mag: Nahtlos gehen die Hustenrezepte für Menschen auf dieser Seite über zu Arzneirezepten für Pferde. Einzig der neue Absatz und das in leuchtendem Rot gehalten «h» – für «hie her nach stat geschriben vil guotter artznin von rossen» (hiernach stehen geschrieben viele gute Arzneien für Pferde) – markiert den fliessenden Übergang. So solle etwa asthmatischen und hustenden Pferden ein Trank aus Essig, Wein und Salz verabreicht werden. Leidet das Pferd hingegen an Harnproblemen, so solle man ihm Ochsenzunge (Anchusa officinalis) zu essen geben. Diese Pflanze wurde bis in die Neuzeit als Heilmittel für menschliche wie tierliche Heilmittel verwendet. Zwar gilt sie heute als giftig, aber einige ihrer Wirkstoffe wirken nachweislich treibend und als Brechmittel. Dass mittelalterliche Pferdebesitzerinnen und Pferdebesitzer um die vielen Krankheiten und Gebrechen ihrer Reit- und Zugpferde wussten und an einer schnellen Heilung interessiert waren, davon zeugen die zahlreichen pferdemedizinischen Handschriften, die bis heute in Schweizer Bibliotheken und Archiven überliefert sind. Dabei handelt es sich nicht um Fachbücher, wie wir sie heute aus der Veterinärmedizin kennen, sondern sehr oft um Texte, die von einem breiten und praktischen Interesse am Umgang mit Pferden und somit im eigentlichen Sinne von einem Alltagswissen über die Krankheiten und die Gesunderhaltung von Menschen und ihrer tierlichen Begleitung zeugen.
Illustrationen eines Aderlasses.
Illustration eines Aderlasses... Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Illustrationen einer Hufbehandlung.
... und einer Hufbehandlung. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Wenn der Wurm drin ist, hilft nur noch «iob thonsa an nubya»

Ist hingegen der Wurm drin, dann helfen die Hausmittel auch nicht mehr. Doch für die christlich geprägten Gesellschaften des Spätmittelalters gab es im wahrsten Sinne des Wortes auch noch ein Wundermittel: Die göttliche Fürsorge. Bereits die wohl frühesten noch erhaltenen Texte in althochdeutscher Sprache, die sogenannten Merseburger Zaubersprüche aus dem 9. Jahrhundert, enthalten einen Heilungszauber für einen verrenkten Pferdefuss. In dieser zunehmend christlich überformten Welt setzte sich die Vorstellung durch, dass dieser Gott alle Wesen geschaffen hat und damit auch auf deren Körper und ihre Gesundheit respektive Krankheit einwirken kann. So findet sich in einem Gebetbuch der Hermetschwiler Benediktinnerinnen ein Segen gegen Würmer
Ausschnitt aus dem Gebetsbuch, erstes Viertel des 15. Jahrhunderts.
Ausschnitt aus dem Gebetsbuch, erstes Viertel des 15. Jahrhunderts. e-codices, Benediktinerinnenkloster Hermetschwil
Gegen die parasitären Würmer, die sich vor allem im Magen und Darm ihrer Wirte einnisteten, war nämlich buchstäblich kein Kraut gewachsen. Der Wurmsegen der Hermetschwiler Nonnen bot Hilfe und wurde mit genauen Umsetzungsangaben notiert: Zunächst sollen auf einen langen Papierstreifen magische Worte geschrieben werden. Der genaue Wort- und Zeichenlaut bestand dabei aus einer Mischung aus unverständlichen pseudolateinischen Wortschöpfungen («Iob thonsa an nubya»), tatsächlichen lateinischen Gebetssprüchen («sanctte deus qui est trinus et unus», zu Deutsch: Heiliger Gott, der dreifaltig und eins ist) und mehreren Kreuzzeichen. Hintereinandergeschrieben sollte so ein ebenfalls wiederum wurmförmiges Brieflein entstehen, dass über die verwurmte Körperstelle gebunden wurde. Die Anweisungen enden mit dem Hinweis, dass dieser Wurmsegen für alle Geplagten heilsam sei – «er si moensch oder vich» (er sei Mensch oder Vieh).
Auch die Krankheiten von Hunden wurden im Mittelalter behandelt. Illustration aus einem französischen Jagdbuch, 14. Jahrhundert.
Auch die Krankheiten von Hunden wurden im Mittelalter behandelt. Illustration aus einem französischen Jagdbuch, 14. Jahrhundert. gallica / Bibliothèque nationale de France

Ein geteilte Gesundheitsgeschichte

Für die Menschen des Mittelalters machte eine Unterscheidung zwischen Human- und Veterinärmedizin, wie sie uns heute bestens vertraut ist, wenig Sinn. In der mittelalterlichen Vorstellung – zumal in unserer Region – spielte eine trennscharfe Unterscheidung von Mensch und Tier kaum eine Rolle. Denn sowohl im medizinischen wie alltagsbasierten Erfahrungswissen dominierte die schöpfungsgeschichtlich eingebettete Vorstellung, in der die makrokosmischen Kräfte der Planeten und Gestirne auf den Mikrokosmos Körper einwirkten. Diese göttlich durchwirkten makrokosmischen Kräfte wirkten auf alle Körper ein – menschliche wie tierliche. Deshalb folgten die Einwirkungsmöglichkeiten von Arzneien und anderen therapeutischen Massnahmen ähnlichen, oft auch gleichen Mitteln. Achtet man etwa auf die Substanzen, die für die Zubereitung der Heilmittel verwendet wurden, so fällt auf, dass es sich sehr häufig um alltägliche Bestandteile handelte: Essig, Wein, Salz, Knoblauch, Gartenpflanzen oder ähnliches. Neben pflanzlichen wurden zudem oft metallische Bestandteile wie Quecksilber oder Grünspan, aber auch tierliche Substanzen verwendet. So finden sich Rezepte, in denen Honig beigemischt werden sollte, aber für die auch mal Schnecken oder Kröten ihre Leben lassen mussten. In diesem Sinne lässt sich die mittelalterliche Medizin durchaus als geteilte Gesundheitsgeschichte von Menschen und Tieren verstehen, in der irdische Heilmittel mit himmlischen Glaubensvorstellungen kombiniert wurden.

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