Wurde das Hotel Rigi-First absichtlich in Brand gesetzt? Wenn ja, von wem? Illustration von Marco Heer
Wurde das Hotel Rigi-First absichtlich in Brand gesetzt? Wenn ja, von wem? Illustration von Marco Heer

Brandstif­ter und Hellseher vor Gericht

Ein Garagist aus Zürich kauft sich 1948 ein ehemaliges Luxushotel auf der Rigi. Zehn Tage später brennt es bis auf die Grundmauern nieder. Der Prozess wegen Brandstiftung und Versicherungsbetrug fesselt damals die ganze Schweiz – unter anderem, weil bei den Ermittlungen ein Hellseher eine zentrale Rolle spielte.

Adi Kälin

Adi Kälin

Adi Kälin ist Historiker und freier Journalist.

Das Verfahren vor dem Schwyzer Kantonsgericht im Dezember 1949 wird zum Medienspektakel. Der Zürcher Garagist Karl Dubs war in erster Instanz zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden, weil er zwei Männer dazu angestiftet haben soll, sein wenige Tage zuvor ersteigertes Hotel auf der Rigi anzuzünden. Das Berufungsverfahren beginnt «unter dem Gefunke der Blitzlichtfotografen und bei ungewöhnlichem Interesse der ausserkantonalen Presse», hiess es in der NZZ. Das grosse Interesse mag zum einen mit der äusserst bewegten Geschichte des Hotels First zu erklären sein, zum andern aber auch mit der abenteuerlichen Lebensgeschichte des Angeklagten. Das Hotel First war 1875 eröffnet worden, kurz nach dem Start der Vitznau-Rigi-Bahn, der ersten Bergbahn Europas. Der Berg wurde damals richtiggehend von Touristen gestürmt, was zu einer eigentlichen Goldgräberstimmung führte: Die Firma Regina Montium erstellte in Rekordzeit mehrere neue Bahnen und Hotels, unter anderem jenes auf Rigi-First. Sie hatte sich aber finanziell überhoben und musste nach kurzer Zeit Konkurs anmelden.
Blick auf das Hotel Rigi-First, 1870er-Jahre.
Blick auf das Hotel Rigi-First, 1870er-Jahre. Schweizerisches Nationalmuseum
1879 begann im Hotel Rigi-First die eigentliche Blütezeit als Haus, das höchsten Ansprüchen genügte. Hinter dem Projekt stand Anton Bon-Nigg, ein Pionier der Schweizer Hotellerie, zu dessen Imperium unter anderem auch das Suvretta-House in St. Moritz gehörte oder das Park-Hotel in Vitznau. 1915 starb Bon, das Haus wurde mehrmals verkauft, die Geschäfte kamen nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr zum Laufen. 1948 wurde das schon arg heruntergekommene Hotel einmal mehr versteigert. Der Käufer: Karl Dubs aus Zürich, ein Mann mit zweifelhaftem Ruf. Der Kaufpreis betrug 500’000 Franken, die Versicherungssumme belief sich allerdings auf rund 1,7 Millionen.
Nach dem Ersten Weltkrieg liefen die Geschäfte im Hotel Rigi-First nicht mehr gut. Daran änderten auch Anlässe wie diese Modeschau in den 1930er-Jahren nichts.
Nach dem Ersten Weltkrieg liefen die Geschäfte im Hotel Rigi-First nicht mehr gut. Daran änderten auch Anlässe wie diese Modeschau in den 1930er-Jahren nichts. Foto: Regionalmuseum Vitznau
Beim ersten Prozess vor dem Kriminalgericht Schwyz wurden einige Fakten über Dubs bekannt: Er war ursprünglich Deutscher und hatte Benkert geheissen. 1921 wurde er wegen zahlreicher Delikte aus der Schweiz ausgewiesen. Kurz darauf entdeckte er aber, dass sein wahrer Vater ein Schweizer war. Dieser anerkannte ihn als Sohn, womit aus dem Deutschen Benkert ein Schweizer mit dem sehr schweizerisch tönendem Nachnamen Dubs wurde. Die kriminelle Ader bleib allerdings, auch mit neuer Nationalität. Es folgten weitere Delikte: Nötigung, Notzucht, Urkundenfälschung. Die Versteigerung hatte am 15. Juli 1948 stattgefunden. In der Nacht auf den 25. Juli entdeckte der Wächter des leerstehenden Hotels von der benachbarten Dépendance aus das Feuer, das rasch um sich griff. Als die Feuerwehr vom nahen Kaltbad 20 Minuten später am Brandort eintraf, konnte sie schon nichts mehr ausrichten, das Hotel brannte lichterloh. Der Wächter wollte noch das wertvolle Silber aus dem 160-Betten-Haus retten, der immer dichter werdende Rauch verhinderte die Aktion aber. Immerhin will er eine Chiantiflasche mit Petrol und Spuren des Brandbeschleunigers auf dem Teppich gesehen haben. Vor Gericht verstrickte sich der Mann später aber in Widersprüche.
Nicht mehr zu retten: Der Grossbrand des Hotels Rigi-First im Juli 1948.
Nicht mehr zu retten: Der Grossbrand des Hotels Rigi-First im Juli 1948. Keystone / Photopress-Archiv
Erst zwei Stunden später trafen die Feuerwehren von Weggis, Vitznau, Arth und Goldau mit den jeweiligen Zahnradbahnen ein. Sie beschränkten sich darauf, die Dépendance und die Alphütte in der Nähe zu retten. Selbstverständlich fiel der Verdacht sofort auf Karl Dubs – zumal er mehrmals den Wunsch geäussert hatte, das Hotel möge doch abbrennen. Bald wurde klar, dass er die Tat nicht persönlich verübt haben konnte; es wurden aber zwei Männer kurz vor dem Brand gesehen, die wahrscheinlich vom Zürcher angestiftet worden waren.
Karl Dubs (links) und sein Verteidiger, Dr. Rosenstiel, während des Gerichtsverfahrens in Schwyz, Dezember 1949.
Hatte Karl Dubs (links), hier mit seinem Anwalt während des zweiten Gerichtsverfahrens, den Brand «in Auftrag gegeben», um die Versicherungssumme zu kassieren? Dukas / RDB
Das Zuger Volksblatt streute dann noch ein anderes Gerücht: Es steckten wohl Konkurrenten des First-Hotels hinter dem Brand. Der Feuerwehrkommandant vom Kaltbad, der gleichzeitig Betreiber des Hotels Bellevue war, soll seinen Männern nicht erlaubt haben, zu löschen, bevor er selber da sei. Und später soll er «den ganzen Brand von hinten und vorne gefilmt» haben, «anstatt zu löschen und zu retten.» Der so beschuldigte Alois Dahinden rechtfertigte sich: Gefilmt habe er erst, als die Feuerwehr von Arth bereits das Kommando übernommen habe. Er drohte allen mit einer Klage, die anderes behaupten würden. In erster Instanz wurde Dubs unter anderem auch deshalb verurteilt, weil ein Zeuge gesehen haben wollte, wie er in Walchwil am Zugersee zwei Männern Geld übergeben haben soll – offenbar den Lohn für die Brandstiftung. Erkannt wurde der Angeklagte an seinem charakteristischen Gesichtszucken. Der Zeuge hatte die drei Männer im Flüsterton reden gehört.
Nach dem Brand war vom Hotel Rigi-First nicht mehr viel übrig geblieben.
Das Hotel Rigi-First war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Zu retten gab es nicht mehr viel. Sammlung Adi Kälin

Hellseher hilft der Anklage

Zurück zum Berufungsverfahren in Schwyz. Dort wird es vor allem darum gehen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen von Walchwil zu überprüfen. Als grosse Überraschung wird dann aber bekannt, dass man erst nach Konsultation eines Hellsehers auf ihn gestossen war. Die NZZ berichtet am 28. Dezember 1949 unter dem Titel «Ungewöhnliche Untersuchungsmethoden» ausführlich über die Hellseher-Sitzungen. Erste Seance: Das Medium wird in Trance versetzt. Man legt ihm ein Foto von Dubs auf den Bauch. Das Medium beschreibt den Mann und sein Auto, sagt, dass er mit dem Brand zu tun habe. Brandstifter seien aber zwei Personen, die Blechbüchsen mit Brennstoff dabei gehabt hätten. Zweite Sitzung. Was hat Dubs am 26. Juli 1948 gemacht? Das Medium gibt Hinweise auf das Walchwiler Treffen und sieht ein Werbeschild mit der Aufschrift «Prima Fischküche». Ein kleiner Bauer, der in der Nähe der Bahnlinie wohne, soll gleichzeitig im Restaurant gewesen sein. Die Polizei stellt später fest, dass es nur ein Restaurant mit dem entsprechenden Schriftzug gibt. Ein kleiner Mann aus der Nachbarschaft war am Abend tatsächlich da, allerdings ist er Dachdecker und nicht Bauer. Und dieser Dachdecker wurde schliesslich von der Polizei ausfindig gemacht und verhört. Zwei Monate nach dem Brand. Dass der Hellseher von den betroffenen Versicherungen ins Spiel gebracht worden war, die für den entstandenen Feuerschaden zahlen mussten, half der Glaubwürdigkeit der Anklage ebenso wenig wie das Fehlen jeglicher Erwähnung des Mediums in den Akten.
Prozess gegen Karl Dubs wegen Anstiftung zur Brandstiftung, Schwyz, Dezember 1949.
Karl Dubs versuchte während des Prozesses in Schwyz sein Gesicht vor dem Pressefotografen zu verbergen. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn er wurde später mangels Beweisen freigesprochen. Dukas / RDB

Freispruch mangels Beweisen

Der Prozess wird vertagt und Mitte Januar 1950 wiederaufgenommen. Der Zeuge von Walchwil wird befragt. Wie es denn gewesen sei bei der ersten polizeilichen Befragung? Ob ihm etwa einer der zwei Polizisten das Gesichtszucken des Angeklagten vorgemacht habe? Der Zeuge ist sich nicht mehr sicher. Dann macht der Gerichtspräsident selber ein Experiment. Er lässt einen Mann in den Gerichtssaal rufen und fragt den Zeugen, ob er ihn kenne. Nein, den habe er sicher noch nie gesehen, sagt der Zeuge. Er bleibt auch auf Nachfrage dabei. Es handelt sich aber um jenen Polizisten, der ihn als erster befragt hatte. Dann wird ein Mann in Begleitung eines Polizisten hereingeführt. Das sei Dubs, sagt der Zeuge. Es handelt sich aber um eine zufällig ausgewählte Person, die dem Zürcher ein wenig gleicht. Dann tritt Karl Dubs selber auf. Ja, das sei er jetzt, ganz bestimmt, sagt der Zeuge. Nach dieser Demontage des wichtigsten Zeugen bleibt dem Gericht nur noch der Freispruch mangels Beweisen. Da haben selbst die «übernatürlichen» Methoden der Privatkläger nicht geholfen.
Im Mai 1950 wird die Liegenschaft auf Rigi-First erneut versteigert. Den Zuschlag erhält eine Treuhandfirma aus Luzern. Alois Dahinden, der Hotelier und Feuerwehrkommandant vom Kaltbad, baut später die Dépendance zum Berghaus Bärenstube aus. Bei der Eröffnung am 30. Januar 1958 soll auch der von ihm gedrehte Film über den Brand des First-Hotels gezeigt worden sein. Nur drei Jahre später kam es auf der Rigi zur grossen Brandkatastrophe in einem anderen Hotel. 180 Gäste und 60 Angestellte befanden sich im Grandhotel Kaltbad, als am 9. Februar 1961 das Feuer ausbrach. Ein Feuerwehrmann berichtete später in der NZZ von einem «Bild grenzenloser Panik». Viele Menschen standen vorn noch an den Fenstern, während im hinteren Bereich schon die Flammen aus den Fenstern schlugen. Durch einen Sprung in den hohen Schnee konnten viele ihr Leben retten, elf Menschen starben aber beim Brandunglück. Erst viel später stellte sich heraus, dass es sich auch in diesem Fall um Brandstiftung handelte: Ein offenbar frustrierter Angestellter hatte das Matratzenlager des Hotels angezündet.

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