Mark Twain zog es immer wieder in die Schweiz – besonders Luzern und die malerische Umgebung hatten es ihm angetan.
Mark Twain zog es immer wieder in die Schweiz – besonders Luzern und die malerische Umgebung hatten es ihm angetan. Bilder: Wikimedia

Mark Twain in der Schweiz

Bis heute gilt Mark Twain (1835–1910) als der bekannteste Humorist der amerikanischen Literatur. Twain, weitgereist und unternehmenslustig, erkundete auf zwei privaten Reisen die Schweiz und verbrachte einige der glücklichsten und eindrucksvollsten Tage seines Lebens am Vierwaldstättersee und in dessen Umgebung.

James Blake Wiener

James Blake Wiener

James Blake Wiener ist Historiker, Mitbegründer der World History Encyclopedia, Autor und PR-Spezialist, der in Europa und Nordamerika als Dozent tätig ist.

Webseite: worldhistory.org
Geboren als Samuel Langhorne Clemens im Dorf Florida im US-Bundesstaat Missouri, wuchs Twain in Hannibal am Mississippi auf. Nach einer idyllischen Kindheit am Mississippi, wo er spielend erste Abenteuer erlebte, nahm sein Leben zahlreiche Wendungen: Er arbeitete als Schriftsetzer in einer Druckerei, absolvierte eine Lehre als Dampfschifflotse, diente kurzzeitig im Heer der Konföderierten Staaten von Amerika und versuchte sich in Nevada als Goldgräber. Reichtum fand er dort nicht – aber Geschichten. Sein Humor und seine ungewöhnlichen Lebenserfahrungen führten ihn von 1862 bis 1871 in eine erfolgreiche Laufbahn als Reporter. Er war ein Freigeist, liebte geistreiche Gespräche und unverfänglichen Klatsch. Als Ausdruck seiner schillernden Persönlichkeit und seines Wunsches, zum Nachdenken anzuregen, wählte Clemens mit einem Augenzwinkern das Pseudonym «Mark Twain». Der Begriff stammt aus dem Jargon der Dampfschifffahrt: Mit dem Ruf «Mark twain!» zeigte der Lotse eine Wassertiefe von zwei Faden (entspricht 3,7 Metern) an.
Mark Twain vor seinem Elternhaus, fotografiert im Jahr 1902.
Mark Twain vor seinem Elternhaus, fotografiert im Jahr 1902. Britannica Imagequest, The Granger Collection
Während Mark Twain den Schweizer und amerikanischen Leserinnen und Lesern heute vor allem als Autor von Romanen und Erinnerungen bekannt ist, die das Leben am Mississippi vor dem Bürgerkrieg schildern – etwa «The Adventures of Tom Sawyer» («Die Abenteuer des Tom Sawyer», 1876), «Life on the Mississippi» («Leben auf dem Mississippi», 1883) und «Adventures of Huckleberry Finn» («Die Abenteuer des Huckleberry Finn», 1884) – war er zu Lebzeiten vor allem als humorvoller Redner berühmt. Seine Vortragsreisen durch die Vereinigten Staaten waren so populär und lukrativ, dass sie es ihm ermöglichten, die Welt zu bereisen. 1867 erhielt Twain finanzielle Unterstützung von der New York Tribune und The Alta California, um eine ausgedehnte Reise durch den Mittelmeerraum, das russische Zarenreich und das Heilige Land zu unternehmen. Nach seiner Rückkehr in die USA verarbeitete Twain seine Reisetagebücher zu einem satirischen Reisebericht mit dem Titel «The Innocents Abroad» («Die Arglosen im Ausland»), der 1869 veröffentlicht wurde. Darin nahm Twain die lauten, naiven und ahnungslosen amerikanische Touristen aufs Korn, die Europa und den Nahen Osten erkunden. Das Buch wurde ein voller Erfolg: Bereits im ersten Monat nach seiner Veröffentlichung gingen über 5000 Exemplare über den Ladentisch, innerhalb eines Jahres mehr als 31’000 Stück. Mit «The Innocents Abroad» gelang Twain der internationale Durchbruch.
Die Geschichten über Tom Sawyer und Huckleberry Finn wurden schon mehrfach verfilmt, wie hier im Jahr 2011. Youtube
Nach dem grossen Erfolg von «The Adventures of Tom Sawyer» verspürte Mark Twain den Wunsch, erneut nach Europa zu reisen, um Material für einen weiteren Reisebericht zu sammeln. Da er nach seiner Deutschlandreise unbedingt auch die Schweiz erkunden wollte, überquerte er im August 1878 zusammen mit seinem Freund, Reverend Joseph Twichell, die Schweizer Grenze. Die beiden verbrachten mehrere Wochen damit, das Land von Schaffhausen bis Luzern und von Interlaken bis Zermatt zu erkunden. Anschliessend unternahmen sie eine grosse Rundreise durch die Romandie, die sie von Martigny über Lausanne bis nach Genf führte. Twain war fasziniert von der Schweiz mit ihrer atemberaubenden alpinen Landschaft, den üppigen Wiesen, kristallklaren Seen und den gepflegten, reizvollen Städten und Dörfern. Zudem empfand er die Ordnung im Land als wohltuend und angenehm. Besonders angetan hatten es ihm die Landschafts- und Stadtbilder der Zentralschweiz – allen voran Luzern, das ihn sehr beeindruckte. Die Stadt erlebte damals einen kommerziellen und wirtschaftlichen Boom, den der aufkommende internationale Tourismus mit sich brachte. Twains Beschreibung von Luzern aus dem Jahr 1878 liest sich lebendig und leicht verständlich, ist aber dennoch von ehrfürchtiger Bewunderung geprägt. Zudem ähnelt die Stadt, die er beschreibt, bemerkenswert stark dem Luzern, wie wir es heute noch kennen: «Luzern ist ein reizvoller Ort. Die Stadt beginnt am Ufer, gesäumt von einer Reihe Hotels und klettert dann die Hügel hinauf, breitet sich über zwei oder drei steile Anhöhen aus – dicht gedrängt, ungeordnet, aber malerisch. Dem Auge bietet sich ein wildes Durcheinander aus roten Dächern, verspielten Giebeln, Dachgauben, spitzen Türmchen, dazwischen hier und da ein Stück alter Wehrmauer, die sich wie ein Wurm über die Hügelrücken windet, und hier und da ein massiver, quadratischer Turm aus schwerem Mauerwerk.»
Blick auf Luzern und den Pilatus, 19. Jahrhundert.
Blick auf Luzern und den Pilatus, 19. Jahrhundert. Britannica Imagequest, Universal History Archive
Twain verbrachte seine Zeit in Luzern recht gemächlich: Er bewunderte das Löwendenkmal, schlenderte die belebte, hölzerne Kapellbrücke hin und her und genoss den Kaffee im Hotel Schweizerhof. Als grosser Naturliebhaber wollte er jedoch auch alles erleben, was die Alpen zu bieten hatten. Seine Behauptung, er habe drei Tage gebraucht, um die 1'800 Meter hohe Rigi zu erklimmen, ist wahrscheinlich völlig übertrieben. Unbestritten jedoch ist, dass Twain die Erhabenheit eines alpinen Sonnenuntergangs perfekt eingefangen hat: «Die grosse, klare Sonnenscheibe stand jetzt dicht über einer unendlichen Anzahl Zipfelmützen – bildlich gesprochen. Es war ein wogendes Chaos riesiger Bergmassen, die Spitzen geschmückt mit ewigem Schnee und umflutet von der goldenen Pracht des zitternden Lichtes, während die glänzenden Sonnenstrahlen durch die Risse einer der Sonne vorgelagerten schwarzen Wolkenmasse aufschossen zum Zenit. Die zerklüfteten Täler der Unterwelt schwammen in einem farbigen Nebel, der die Rauheit ihrer Felsen, Grate und zerrissenen Wälder verhüllte und die ganze unwirtliche Region in ein sanftes, üppiges und sinnliches Paradies verwandelte.»
Darstellung der Rigi, um 1900.
Darstellung der Rigi, um 1900. e-pics
«A Tramp Abroad» («Bummel durch Europa», 1880), Mark Twains gefeierte Sammlung von Reiseerinnerungen aus Deutschland, der Schweiz und Italien, war sofort nach der Veröffentlichung ein grosser Erfolg – und gilt bis heute als sein bestgeschriebener Reisebericht. Noch immer ist er in ganz Europa beliebt – unter anderem wegen seiner detailreichen Beschreibungen der sehenswerten Schweizer Natur- und Kulturgüter. Die Leserinnen und Leser schätzen auch Twains Erzählweise: Sie verbindet präzise, oft kritische Beobachtung mit spürbarer Empathie und einem feinen Sinn für das Alltägliche. Mit der Veröffentlichung von «Adventures of Huckleberry Finn» («Die Abenteuer des Huckleberry Finn») erreichte Twains literarische Karriere ihren Höhepunkt. Sein innovativer Einsatz einer natürlichen Ich-Erzählweise veränderte das Verhältnis von Form, Ausdruck und Inhalt in der amerikanischen Literatur. Doch mit dem Wandel der literarischen Vorlieben im sogenannten «Gilded Age» («Vergoldetes Zeitalter», Aufschwungphase nach dem Sezessionskrieg) tat sich Twain schwer damit, seinen Platz und seine Stimme zu behaupten. Diese Herausforderungen wurden durch persönliche Rückschläge zusätzlich verschärft. Die Wirtschaftskrise von 1893 brachte ihm 100'000 US-Dollar Schulden ein – ein Betrag, der heute etwa 3,7 Millionen US-Dollar entspricht. Drei Jahre später traf ihn ein weiterer Schicksalsschlag: Seine geliebte älteste Tochter Susan starb 1896 an Meningitis. In seinen späteren Jahren war Twain von Verbitterung und Melancholie gezeichnet.

Die Wirtschafts­kri­se von 1893

Die Wirtschaftskrise von 1893 gilt als die schwerste Krise der US-Wirtschaft vor der Weltwirtschaftskrise von 1929. Nach der Nachricht vom Zusammenbruch des Aktienmarktes stürmten die Amerikanerinnen und Amerikaner zu ihren Banken, um ihre Ersparnisse abzuheben. Im ganzen Land erlebten die Banken einen Ansturm. Bis zum Ende des Jahres meldeten mehr als 600 Banken und 16'000 Unternehmen Konkurs an. Die Arbeitslosigkeit erreichte im ersten Jahr der Krise schätzungsweise 20 Prozent und blieb noch bis 1897 auf diesem hohen Niveau. Erst 1901 erholte sich die US-Wirtschaft vollständig.
Im Juli 1897 kehrte Twain mit seiner Frau und den beiden Töchtern in die Schweiz zurück. Nach dem Verlust der ältesten Tochter Susan und einem längeren Aufenthalt in London suchte die Familie einen ruhigen Ort, um den Sommer zu verbringen. Die Wahl fiel auf Weggis. Die Twains mieteten das «Schlössli», einen einfachen Anbau der Pension Bühlegg, sowie ein Arbeitszimmer in der Villa Tannen. Eine Unterkunft in einem Grandhotel am See kam aus finanziellen Gründen nicht infrage.
Blick auf die Pension Bühlegg mit dem Anbau auf der linken Seite, in dem Mark Twain mit seiner Familie wohnte.
Blick auf die Pension Bühlegg mit dem Anbau auf der linken Seite, in dem Mark Twain mit seiner Familie wohnte. Historisches Archiv Weggis
Ein Denkmal in Weggis erinnert an Mark Twains Besuch.
Ein Denkmal in Weggis erinnert an Mark Twains Besuch. Wikimedia
Zehn Wochen lang genoss die Familie die einfachen Freuden der Schweizer Alpen und trauerte in aller Stille um Susan. Twain arbeitete unterdessen an einem neuen Buchprojekt weiter, das schliesslich 1897 unter dem Titel «Following the Equator» (deutsche Übersetzungen: «Meine Reise um die Welt», 1898 / «Dem Äquator nach», 1965) erschien. In dem Buch verarbeitete er seine Erlebnisse und Eindrücke von einer ausgedehnten Vortragsreise durch das Britische Weltreich – eine Tour, die ihn zwischen 1895 und 1896 rund um den Globus führte. Im September 1897 verliess die Familie Twain das beschauliche Weggis und zog nach Wien. In seinem persönlichen Notizbuch hielt Twain damals einen letzten, intimen Gedanken über Weggis und die Schweiz fest:

Ich glaube, dass dieser Ort der lieblichs­te und erfüllends­te der Welt ist. Die Landschaft ist unvergleich­lich schön … Ein Sonntag im Himmel muss laut sein im Vergleich zu dieser Stille.

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