Ferdinand Hodler, «Der Tag», 1899-1900 (Ausschnitt).
In Ida Hoffs Interpretation stellt das Gemälde Der Tag von Ferdinand Hodler «das verschiedene Verhalten der Frau zur Frauenfrage» dar. Wikimedia / Kunstmuseum Bern

Der feminis­tisch interpre­tier­te Hodler der Ärztin Ida Hoff

Die aus Russland stammende Ida Hoff war um 1900 eine der ersten Studentinnen der Schweiz. Neben der Medizin setzte sie sich für die Rechte der Frauen ein. Geleitet wurde sie von ihrem feministischen Gewissen und ihrer Lust zu spotten. Das zeigte sich besonders am Zweiten Schweizerischen Kongress für Fraueninteressen 1921, wo sie in launigen Worten Ferdinand Hodlers Gemälde «Der Tag» feministisch neu interpretierte.

Franziska Rogger

Franziska Rogger

Franziska Rogger ist freischaffende Historikerin.

Ida Hoff (1880-1952) kam mit ihrer Mutter um 1900 aus dem zaristischen Russland, wo Frauen das Studium verboten war, in die Schweiz. Mutter und Tochter wollten hier, wie damals viele Slawinnen, die Universität besuchen und sich ein freieres Leben aufbauen. Ida war sehr begabt, absolvierte in Bern das medizinische Studium und eröffnete 1911 ihre eigene Praxis als «Spezialarzt für innere Krankheiten». Daneben arbeitete sie als Schulärztin. Hoff engagierte sich um 1900 im Berner Studentinnenverein, der kämpferisch für gleiche Rechte einstand. Zudem machte sie in den Frauenvereinigungen mit, die sich politisch oder gewerkschaftlich für eine bessere, gerechtere Zukunft der Frauen einsetzten. Sie sass bei den Frauenstimmrechtlerinnen, den Akademikerinnen und arbeitete 1928 in der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA mit.
Der feministisch-selbstbewusste Studentinnenverein in Bern 1903 bei der Eröffnung der neuen Hochschule. Ida Hoff steht ganz links hinten.
Der feministisch-selbstbewusste Studentinnenverein in Bern 1903 bei der Eröffnung der neuen Hochschule. Ida Hoff steht ganz links hinten. Universitätsarchiv Bern
Ida Hoff war nicht verheiratet, sondern wohnte mit der Philosophin Anna Tumarkin (1875-1951) zusammen, der europaweit ersten Professorin. Beide wurden von Zeitgenossinnen als ernsthafte, der Wissenschaft zugetane Frauen geschildert. Sie liebten auch die Kunst, fuhren in Hoffs Auto mit dem Berner Maler Ruedi Münger und seiner Frau Marie über Land. Zudem besuchten sie gerne Cuno Amiet in der Oschwand und kauften bei ihm für 1000 Franken das Bild eines «nackten, schamvollen Mädchens».
Ida Hoff im Alter von 25 Jahren, 1905.
Ida Hoff im Alter von 25 Jahren, 1905. Privatarchiv Li Carstens Uppsala
Porträt von Anna Tumarkin.
Porträt von Anna Tumarkin. Hermann Völlger
Bei aller Ernsthaftigkeit: Ida Hoff hatte Schalk und lustige Einfälle. Am Unterhaltungsabend des Zweiten Schweizerischen Kongress für Fraueninteressen 1921 gab sie eine eigenwillige Beschreibung von Ferdinand Hodlers (1853-1918) Gemälde Der Tag zum Besten. Die engagierten Frauen der Schweiz fanden sich damals – ohne Katholikinnen und Sozialdemokratinnen – in Bern zusammen, um das Recht auf Arbeit, Lohngleichheit und eine verbesserte Berufsbildung zu fordern. Damals gab es eine grosse Hodler-Gedächtnisausstellung im Kunsthaus Bern, die im Beisein von zwei Bundesräten und drei Regierungsräten grossartig eröffnet wurde und die Hoff zur Persiflage anregte. Das damalige Kunstpublikum war sich in der Bewertung Hodler uneins, seine neuartige Kunst war Gegenstand einer leidenschaftlich geführten Fehde. Die einen verdammten ihn, die anderen bewunderten ihn.
Ferdinand Hodler, Der Tag, 1899-1900.
Ferdinand Hodler, Der Tag, 1899-1900. Wikimedia / Kunstmuseum Bern
Ida Hoff interpretierte Hodlers Bild Der Tag neu und feministisch: «Der Tag» – meinte Ida Hoff keck – habe ursprünglich «Die Frauentagung» geheissen. Das Gemälde stelle «das verschiedene Verhalten der Frau zur Frauenfrage» dar: in der Mitte sitze «die fortschrittlich gesinnte Frau, bestimmt und entschieden in ihrer Stellung zur Frauenfrage, in den radikalen Mitteln entschlossen, vor keinen Konsequenzen zurückschreckend, alle Hüllen der Konvention von sich werfend, verkündet sie der Welt den kommenden Tag.» Zu ihren beiden Seiten seien «Frauen in heftigem seelischem Kampf zwischen Altem und Neuem» zu sehen. «Diese geblendet von dem Licht, das von der neuen Zeit ausstrahlt, jene die Kraft nicht findend mit den alten Traditionen zu brechen. Die beiden äussersten Gestalten, in ihre weibliche Zierde gehüllt, noch gefesselt durch alte Bande, hindämmernd im alten Schlendrian, die eine wie mit Scheuklappen sich die Augen vor allem Neuen verschliessend, die andere des selbstständigen Handelns ungewohnt um eine starke führende Hand flehend.» Derweil fokussierten die damaligen Journalisten auf Hodlers Weltbedeutung. Was sie aber besonders umtrieb, war Hodlers geistige Verbindung von Welsch und Deutsch. Von Geburt ein Berner und durch Erziehung ein Genfer, sei Ferdinand Hodler «ein Schweizerkünstler von tiefster Art» gewesen. Zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs war ihnen die schweizerische Einigkeit das beherrschende Thema. Es klang noch immer an die unvergessene und staatsmännische Rede Carl Spittelers an, der sich im Dezember 1914 mit dem Titel «Unser Schweizer Standpunkt» leidenschaftlich für die Einheit der neutralen Schweiz eingesetzt hatte. Die Bedeutung der Frauenfrage baute sich gemächlich auf, um 1928 mit der SAFFA einen ersten Höhepunkt zu erreichen und nach sehr vielen Ups & Downs 1971 zum Frauenstimm- und Wahlrecht zu finden.

Zum Weiter­le­sen

Ausführlicher Artikel anlässlich des 50. Todestages von Ida Hoff.

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