Serie: Der Buchdruck in Europa
Die Erfindung des Buchdrucks erfreute nicht alle. Skeptisch war die Kirche und auch einige Universitäten taten sich schwer.
Während das Druckgewerbe in Europa einer der frühesten kapitalistischen Grundsätzen gehorchenden Unternehmenszweige war, lagen der Erfindung und Entfaltung des Buchdrucks in Ostasien nicht finanzielle, sondern religiöse Motive oder die Initiative eines Monarchen zur Verbreitung eines bestimmten Texts zugrunde. Es erstaunt daher nicht, dass die frühesten Druck-Erzeugnisse religiöse Texte wiedergeben. Der älteste Holztafeldruck, ein buddhistisches, sehr wahrscheinlich zwischen 704 und 751 in China entstandenes Dharani-Sutren-Röllchen von nur acht Zentimetern Höhe, jedoch über sechs Metern Länge, wurde 1966 in Südostkorea gefunden. Die ersten japanischen Drucke in Form von kurzen Rollen mit buddhistischen Texten datieren von 770 und wurden etwa einer Million kleiner hölzerner Pagoden beigelegt. Das älteste gedruckte Buch, das heute im British Museum in London aufbewahrte Diamant-Sutra, entstand 868 in China. Diese fünf Meter lange Rolle gibt fünf Holztafeldrucke wieder, die nebeneinander abgedruckt worden sind. Der Druck ist zwar datiert, weist aber nicht den ersten Kolophon auf, wie verschiedentlich behauptet worden ist. Ein solcher erscheint erstmals 1071 ebenfalls in China.
Der arabische Holztafeldruck ist zwar seit dem 10. Jahrhundert belegt, jedoch verhinderte in den islamischen Ländern bis ins 18. Jahrhundert der religiös motivierte Respekt vor dem handschriftlich überlieferten Wort die Errichtung von Druckereien. Ahmed III. ermächtigte 1727 Sait Efendi und Ibrahim Müteferrika, in Istanbul eine Druckerei zu eröffnen und in arabischer Schrift zu drucken, wobei Werke, die sich mit islamischen Wissenschaften beschäftigten, davon ausgenommen blieben. In Europa entstanden die ersten Holztafeldrucke auf Papier erst in den 1420er-Jahren.
Vor dem Hintergrund der frühen ostasiatischen und arabischen Kenntnisse drängt sich die Frage nach Gutenbergs eigener Leistung auf. War bei seinem Auftreten nicht schon alles vorhanden? Gutenbergs Erfindung reichte weit über das hinaus, was in den Jahrhunderten zuvor geschaffen worden war, auch wenn der Druck an sich grundsätzlich nicht auf ihn zurückgeht. Er ersann nicht nur die Buchdruckerpresse – die sogenannte Tiegelpresse –, die den Druckvorgang bis ins 19. Jahrhundert bestimmen sollte, sondern erfand auch den Winkelhaken zur Herstellung des Blocksatzes sowie das Handgiessinstrument und eine stabile Metalllegierung, die aus 83 Prozent Blei, 9 Prozent Zinn, 6 Prozent Antimon sowie je einem Prozent Kupfer und Eisen bestand. Da diese Legierung an der Luft schnell erkaltet, konnten fehlende Buchstaben bei Bedarf in kurzer Zeit nachgegossen und in den Text eingesetzt werden. Es ist sicher nicht übertrieben, Gutenberg die technologische Vervollkommnung des Buchdrucks zuzuschreiben, wobei die nachfolgenden Generationen verschiedene Elemente verfeinerten und verbesserten.
Der Buchdruck wurde in Europa nicht nur mit Freude aufgenommen. Die Kirche fürchtete die Verbreitung ketzerischer Gedanken, insbesondere durch volkssprachliche Bücher. Papst Sixtus IV. machte sich auch Sorgen um die Unerfahrenheit der «schwachen Frauen», die sich nun in die Bibel vertieften. Trotzdem überwog das Lob über die schnelle Herstellung von identischen Texten und die Möglichkeit, dass sich immer mehr Menschen ein Buch leisten konnten. Von den 32 wichtigsten Druckerstädten bis 1475 waren drei Universitätsstädte, 17 Bischofssitze, sieben beides und fünf keines von beidem, was zeigt, dass die Kirche ihre Vorurteile bald abgebaut und sich die neue Technik zunutze gemacht hatte. Die Kirchenfürsten unterstützten den Buchdruck häufig, weil sich nun die Möglichkeit bot, der Geistlichkeit einheitliche und sorgfältig redigierte Texte an die Hand zu geben (Bibeln, Messbücher, Breviere). Zudem kam es billiger, eine ganze Diözese mit gedruckten anstatt mit handschriftlichen Exemplaren zu versorgen. Insbesondere die schlecht besoldeten Pfarrer auf dem Land konnten sich die Anschaffung eines auf den neuesten Stand gebrachten handschriftlichen Messbuchs nicht leisten. Die Auflagen für Missale und Breviere konnten mit der kirchlichen Behörde abgesprochen und der Preis somit risikofrei günstig gehalten werden. Die kirchliche Verwaltung hatte auch einen enormen Bedarf an Kleinschriften, zum Beispiel Ablassformularen, von denen nun Zehntausende von Exemplaren einfach hergestellt werden konnten. Vor allem Liturgica erschienen in Venedig, wo Missale für etwa 30 europäische Diözesen ausserhalb Italiens von Spanien bis Polen gedruckt wurden.
Erstaunlicherweise ist am Anfang des Buchdrucks seitens verschiedener Universitäten eine gewisse Reserviertheit zu verzeichnen. In Deutschland verfügte zwar im 15. Jahrhundert jede Universitätsstadt, mit Ausnahme von Greifswald, über mindestens eine Druckerei, doch hielt sich die publizistische Tätigkeit des Lehrkörpers sehr in Grenzen, was sich erst ab dem 16. Jahrhundert drastisch änderte. Von den 240 Professoren der Artisten- und der Theologischen Fakultät der Universität Köln beispielsweise liessen nur zwölf etwas drucken. Von den 80 dort lehrenden Juristen veröffentlichten drei je ein Werk und einer zwei Werke. Ähnlich präsentiert sich das Bild in Paris und Perugia. Man benutzte zwar Bücher, schrieb aber kaum welche.
Der Buchdruck verbreitete sich in Europa sehr rasch. Von Mainz ausgehend, erreichte er in wenigen Jahrzehnten – um nur einige Orte zu nennen – Bamberg (1459/69), Strassburg (1459/60), Köln (1464/66), Basel und Rom (1467), Augsburg (1468), Venedig (1469), Nürnberg und Paris (1470), Utrecht (1473), Valencia (1474), Breslau und Lübeck (1475), Brüssel, Krakau und Pilsen (1476), London (1477), Stockholm (1483), und sogar in Istanbul wurde bereits 1492 die erste Presse von jüdischen Immigranten errichtet, die aus Spanien vertrieben worden waren. In der Schweiz wurden die ersten Bücher in Basel gedruckt, worauf Beromünster (1470/73), Burgdorf (1475), Genf (ab 1478), Zürich (1479/81), Rougement (1481/85) und Lausanne (1493) folgten.
An der internationalen Ausbreitung des Buchdrucks waren nicht selten deutsche Drucker beteiligt. Berthold Ruppel, der Erstdrucker der Stadt Basel, war ein Geselle Gutenbergs. Adam Steinschaber, der erste Drucker Genfs, kam aus Franken. Die beiden Deutschen Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz führten die Schwarze Kunst im Benediktinerkloster Sancta Scholastica in Subiaco ein. 1467 zogen sie weiter nach Rom, wo schon Ulrich Han aus Ingolstadt tätig war. Von den über 40 Inkunabeldruckereien der Tiberstadt arbeiteten etwa 25 mit deutschen Druckern. Johann von Speyer machte 1469 Venedig, die damals wohl wichtigste Handelsstadt mit 150 000 Einwohnern, mit dem Buchdruck bekannt. Auch Frankreichs Erstdrucker in Paris, Ulrich Gering aus Konstanz, Michael Friburger aus Colmar und Martin Krantz aus Strassburg, stammten aus dem Gebiet des Deutschen Reiches. War der Kulturtransfer vorher mehrheitlich von Süden nach Norden verlaufen, nahm er nun die umgekehrte Richtung.
Johannes Froben, Basler Meisterdrucker
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