Switzerland? «Qua-qua-qua, quaa …»
Die Schweiz ist ein kleiner Fleck auf der musikalischen Weltkarte. Nur wenigen gelang es, sich international Gehör zu verschaffen. Es sind nicht diejenigen, von denen man es vermuten würde.
Welche Schweizer Musikerinnen und Musiker hatten im Rock- und Popbereich wirklich Welterfolg? Man könnte, zum Vergleich, auch fragen: Welche Musiker aus dem US-Gliedstaat Idaho wurden weltberühmt? Sprich: Die Schweiz ist international nicht so wichtig, wie sie sich selber gerne nimmt. Einige beachtliche Erfolge gab und gibt es dennoch. Nur sind nicht unbedingt diejenigen weltweit erfolgreich, von denen man es am ehesten annimmt. Und schon gar nicht die, die es selber am lautesten von sich behaupten.
Zunächst muss man fragen: Was heisst denn Welterfolg? DJ BoBo platzierte einzelne Titel auf chinesischen Hit-Compilations und verkaufte in Deutschland in den 1990er-Jahren beachtlich viele Platten, ein echter Weltstar konnte er aber schon allein deshalb nie werden, weil sein Künstlername in allen spanischsprachigen Ländern «Dummkopf» bedeutet. Die Hardrocker von Gotthard seien «Superstars in Japan», wollte der «Blick» einst weismachen – nachdem es dort genau ein Konzert vor 700 Leuten gegeben hatte; was nicht einmal die Flugkosten deckte. Aber die alte Musikerfloskel «I’m big in Japan» war wieder mal in die Welt gesetzt … In derselben Zeitung zeigte Chris von Rohr, Sprachrohr der Altrocker Krokus und Chefflunkerer in eigener Sache, mal «die schönsten Fotos der Asien-Tournee». Unerwähnt blieb, dass es sich dabei um einen einzigen Auftritt handelte – an einem Festival, zusammen mit drei Dutzend weiteren Bands.
Wie sehr der behauptete und in einem Buch beschworene Grosserfolg von Krokus in den USA je stattgefunden hat, lässt sich nicht mehr überprüfen. Von Rohr hat einen Mythos konstruiert, den ihm alle abnehmen. Einst sprach er von elf Millionen verkauften Alben, seither legt er in Interviews Jahr um Jahr eine Million drauf und bastelt tapfer weiter an der Legende. Dass Krokus je eine Headliner-Tour durch Nordamerika bestritten, lässt sich nicht mehr belegen, und dass man damals im Vorprogramm des erzreaktionären Trump-Fans Ted Nugent gespielt hat, ist mittlerweile kein besonderes Ruhmesblatt mehr…
Welthits von Double und Vollenweider
Gibt es Schweizer, die einen Welthit gelandet haben? Einer, von dem noch die Kinder und Kindeskinder leben können wie Will Freeman, der untaugliche Romanheld in Nick Hornbys «About a Boy»? Der lebt allein von den Tantiemen des Songs «Santa’s Super Sleigh», den sein Vater 1938 schrieb.
Ja, solche Hits made in Switzerland gibt es. Jacques Revaux ist zwar Franzose, lebt aber seit Jahrzehnten im Waadtland. Zusammen mit Claude François komponierte er den Jahrhundertsong «Comme d’habitude», die Vorlage zu Frank Sinatras «My way», einem Dauerbrenner an Geburtstagsfeiern, in Bars und Wunschkonzerten. Das Zürcher Duo Double landete mit «The Captain of Her Heart» 1985 einen veritablen Welthit, von dessen Erlös Kurt Maloo – sein Bandpartner Felix Haug verstarb 2004 – noch heute leben kann. Manager Peter Zumsteg wacht sorgsam über die Rechte und lässt nur Coverversionen zu, die der Unsterblichkeit des Originals zuträglich sind, so etwa von Wyclef Jean und Randy Crawford. Zufall: Auch der zweite Schweizer Welthit stammt aus dem Jahr 1985, «On My Way in L. A.» von Phil Carmen. Beide Titel werden von Soft-Rock-, Classic-Rock- und Oldies-Stationen in den USA noch heute eifrig gespielt.
Aber hatte die Schweiz je einen wirklichen Weltstar? Ja. Andreas Vollenweider. Kommerziell wie von der Anerkennung her feierte der Zürcher Harfenist in den 1980er- und 1990er-Jahren mit seiner ureigenen Musik Welterfolge. Noch heute jubeln ihm in Südafrika Zehntausende zu, er tourte durch Europa, Kanada, Japan und Australien, er rangierte mehrfach in den US-Charts, und zwar gleichzeitig in den Sparten Pop, Klassik und Jazz. Und er gewann 1987 für sein Album «Down to the Moon» als bisher einziger Schweizer die höchste Auszeichnung des Musikbusiness, den Grammy.
Dann gibt es Schweizer, die vielleicht nicht weltbekannt wurden, aber enorm einflussreich waren. Celtic Frost erneuerten 1984 das Metal-Genre und ebneten vielen Bands das Terrain. Auf die Industrial- und Sampling-Pioniere The Young Gods berufen sich Musiker von Nine Inch Nails bis Marilyn Manson.
Konzert in Indien vor 40 000 Menschen
Die wahren Schweizer Weltstars der Gegenwart heissen nicht, wie uns das Feuilleton vorgaukeln will, Sophie Hunger, und sie heissen nicht Pegasus – weil es, um sich in den entsprechenden Ländern Gehör zu verschaffen, nicht ausreicht, nacheinander in London und Berlin eine Wohnung zu mieten und darüber in heimischen Glitzermagazinen Auskunft zu geben. Die wahren Weltstars heissen Eluveitie. Die vielköpfige Band um «Chrigel» Glanzmann war im Genre des Pagan Metal, einer folkloristisch und altertümlich angehauchten harten Spielart der Rockmusik, stilbildend. Sie spielt in Indien vor 40 000 Leuten, welche die Liedtexte mitsingen, obgleich diese in einer versunkenen, von Glanzmann rekonstruierten Sprache verfasst sind: Keltisch. Sie tourt auf allen Kontinenten und gibt mehr Konzerte, als das Jahr Tage zählt. Bis zu 30 Millionen Leute sehen sich ihre Videos auf YouTube an, sie hat eine Kult-Anhängerschaft von Alaska bis Australien. Kurzum, Eluveitie sind in ihrer Nische die Grössten. (Was ungleich leichter zu erreichen scheint, als am Rande des Mainstreams Erfolg zu haben: Die Songwriterin Heidi Happy und die Rockband Death by Chocolate halten zwar qualitativ durchaus mit den weltweit Besten ihren Fachs mit, der wirkliche internationale Durchbruch aber lässt auf sich warten.)
Im Inland kennen freilich nur wenige Eluveitie. Den Binnenmarkt dominieren «local heroes», die in Mundart singen: Züri West, Hecht, Dabu Fantastic, Trauffer, Patent Ochsner, Baschi, Adrian Stern und so fort. Ihr Markenzeichen, der Dialekt, schränkt die Reichweite ein. Polo Hofer und seine Rumpelstilz versuchtens 1977 auf Hochdeutsch, verloren dabei ihre Eigenheit und verkauften die LP «Fünf Narren im Karren» nur 500 mal. Der Walliserin Sina ergings 20 Jahre später nicht besser.
Stephan Eicher und Yello - nahe dran
Selbst Englisch singende Bands wie die Lovebugs sind international meist chancenlos, wenn sie bei einer Schweizer Plattenfirma unter Vertrag sind. Denn die hiesigen Niederlassungen der Musikindustrie sollen gefälligst P!nk und Rihanna vermarkten und nicht noch ihre eigenen Acts exportieren wollen. Stephan Eicher aus Münchenbuchsee BE verbuchte in den 1990er-Jahren notable Erfolge in Frankreich und den Benelux-Ländern – er war von Anfang an bei einem ausländischen Label unter Vertrag, galt also von vornherin als «international». Genauso wie die einflussreichen Electro-Popper Yello, genauso wie später das Duo Boy mit der Zürcherin Valeska Steiner, wie die Band Bonaparte um den Bern-Berliner Tobias Jundt, wie Faber, der zurzeit in Deutschland ein junges Publikum begeistert.
Der absolute Schweizer Welthit ist ein Ententanz
Sie alle aber haben nie einen Ohrwurm in die Welt gesetzt wie den «Ententanz» – der Welthit, von dem niemand weiss, dass er aus der Schweiz stammt. Werner Thomas hat ihn erfunden, ein 1929 geborener Alleinunterhalter aus dem Thurgau, der als Musikant zum Après-Ski im Bündnerland aufspielte. «Taba-däbä-däbä-däm, taba-däbä-däbä-däm, taba-däbä-dä, bä-räm – qua, qua, qua, quaaa …» Die lüpfige Tonfolge, ohne die heute keine Kinderdisco und kein Firmenfest auskommt, fiel dem Akkordeonisten 1957 ein. Er feilte an ihr, 1973 erschien sie erstmals auf Platte, seither hat sie sich in 390 Versionen in 44 Ländern über 50 Millionen Mal verkauft und trug ihrem Urheber mehrere Millionen Franken ein. Genug, um in einem Häuslein hoch über dem Lago Maggiore als Pensionär gut zu leben.
Idaho übrigens hat der Welt den Jazz-Bassisten Gary Peacock geschenkt. Immerhin.