Walter Mittelholzer posiert während seines Kilimandjaro-Flugs 1929/30 mit der Freihandkamera vor der Fokker F.VIIb-3m. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz/Fotograf: Unbekannt

Walter Mittel­hol­zer – Mit Flugzeug und Kamera

Der am 2. April 1894 in eine St. Galler Bäckersfamilie geborene Walter Mittelholzer will hoch hinaus. Als ausgebildeter Fotograf meldet er sich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs freiwillig als Aufklärer zur jungen Fliegertruppe. Im Zivilleben wird für ihn die Verbindung von Fotografie und Fliegerei zum Erfolgsmodell.

Michael Gasser

Michael Gasser

Michael Gasser ist Historiker und seit 2006 an der ETH-Bibliothek Zürich in leitenden Positionen im Bereich Sammlungen und Archive tätig.

1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurde zu Ehren Walter Mittelholzers, der 1937 bei einer Klettertour in der Steiermark tödlich verunglückt war, beim Flughafen Dübendorf feierlich ein Denkmal eigeweiht. Damit wurde Mittelholzers Status als Schweizer Nationalheld von General Henri Guisan, Bundesrat Elio Celio und weiteren anwesenden Ehrengästen öffentlich zementiert. Natürlich war der Standort des Denkmals kein Zufall: Mittelholzer hatte sich als Pilot und Unternehmer um den Auf- und Ausbau der zivilen Luftfahrt der Schweiz und den Flugplatz Dübendorf in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verdient gemacht. Er war Mitbegründer, Direktor und Chefpilot der Zürcher Fluggesellschaft Ad Astra Aero. Mit der Fusion der Ad Astra Aero und der Balair zur Swissair von 1931 wurde Mittelholzer technischer Direktor dieser ersten nationalen Airline.

Ein vollkommenerer Blick auf die Heimat

Seine Berühmtheit verdankte Mittelholzer allerdings weniger den leitenden Funktionen in Fluggesellschaften. Entscheidender waren seine internationalen Flugexpeditionen und seine Talente als Fotograf, Autor, Filmemacher und Vermarkter seiner selbst. In der Schweiz schuf und bewirtschaftete er einen Markt für Luftbilder. Zwar hatte der Schweizer Ballonfahrer und Pionier der Luftbildfotografie Eduard Spelterini bereits vor dem Ersten Weltkrieg ausgezeichnete Aufnahmen aus der Luft gemacht. Nach dem Krieg entwickelte Mittelholzer als Fotograf und erfahrener Luftaufklärer aber das Konzept rasch weiter. Gezielt fertigte er etwa Luftaufnahmen von Fabriken an, um diese dann an deren Inhaber zu verkaufen. Als begeisterter Bergsteiger fotografierte er aus wackligen Propellerflugzeugen und grosser Höhe die Alpen.

Originallegende: Sarnersee mit Berneralpen von N. (In: Walter Mittelholzer: Alpenflug, 1928). Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz

Im Zeitalter von Google Earth ist es schwer nachzuvollziehen, welche Anziehungskraft die damals aussergewöhnliche Vogelperspektive ausübte. Mittelholzers Luftaufnahmen hielten den ungewohnten Blick auf die an sich vertraute Umgebung und Landschaft in einer Weise fest, die als reale Erfahrung nur dem ganz exklusiven Personenkreis von Piloten und Flugpassagieren vorbehalten war. Für Mittelholzer selbst ist die Luftbildfotografie ein bildlich festgehaltener Perspektivenwechsel im übertragenen Sinn. Sie wird zum Mittel einer vollkommeneren Wahrnehmung der Welt:

«Die Fliegerphotographie ist berufen, eine bedeutungsvolle Rolle in der Zukunft zu spielen. […] Eine andere, nie gesehene Welt tut sich vor uns auf. Es ist, als ob die Erde dadurch ein neues Antlitz, der Mensch ein neues, vollkommeneres Auge gewonnen hätte.»

Diese Sätze schrieb Mittelholzer für seine Publikation «Alpenflug» von 1928. Das Buch ist mit fast 200 Luftbildern von Alpengipfeln und -tälern illustriert und verkaufte sich tausendfach.

Ein kolonialer Blick auf Afrika

Bestseller waren auch Mittelholzer Bücher, die er in kurzen Abständen über seine Flugexpeditionen ins Ausland veröffentlichte: «Im Flugzeug dem Nordpol entgegen» (1924), «Persienflug» (1926), «Afrikaflug» (1927), «Mittelmeerflug» (1930), «Kilimandjaro Flug» (1930), «Tschadseeflug» (1932) und «Abessinienflug» (1934). Wie der «Alpenflug» haben auch diese Titel umfangreiche Bildteile. Allerdings beschränkte sich Walter Mittelholzer hier nicht auf Bilder aus der Luft. Ausserhalb der Schweiz fotografierte und filmte er auch am Boden. In Afrika und im Mittleren Osten wurde er zum Reportage-Fotografen der eigenen Expedition sowie von «Land und Leuten».

Originallegende: Unter der Tropensonne des Nyssasees (Walter Mittelholzer: Afrikaflug, 1927). Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz

Die öffentlichen Erwartungen an die Berichte und Bilder, die Mittelholzer in der Fremde erstellte, waren hoch. So schrieb die NZZ am 22. März 1927 über den Zürcher Empfang für Walter Mittelholzer – die zwei weiteren Expeditionsteilnehmer am Afrikaflug, Arnold Heim und René Gouzy, werden nur am Rande erwähnt – nach der Rückkehr aus Kapstadt:

«Mit Spannung wurden im ganzen Land die Etappen und Berichte des kühnen Fluges verfolgt, die Zeugnis ablegten von schweizerischer Unternehmungslust, Ausdauer, Forschungstrieb und Flugsicherheit; das Schweizer Volk weiss, was es von seinem Mittelholzer zu halten hat, der nicht nur ein Flugzeug über unbekannte Länder zu steuern, sondern im Flug auch zu photographieren und zu filmen versteht.»

Vor der kolonialen Kulisse exotischer, «unbekannter» Länder sollte Mittelholzer also eine ganze Reihe zugeschriebener Schweizer Tugenden verkörpern und öffentlich sichtbar machen. Und die NZZ berichtet weiter, wie Mittelholzer, ganz Volksheld, diesem Erwartungsdruck standhielt:

«Der Raid, betonte [Mittelholzer], war keine Rekordjagd, sondern Auskundschaftung in Bild, Wort und Film: mit reicher Beute ist die Expedition zurückgekehrt im Bewusstsein, die Erwartungen der grossen Oeffentlichkeit in der Hauptsache erfüllt zu haben.»

Rückblickend scheint es, dass das erst Jahre später eingeweihte Denkmal schon zu diesem Zeitpunkt in der Luft lag.

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