Reiter der Apokalypse in Basel
Ist der Basler Bischof Rudolf tatsächlich von den Ungarn getötet worden? Oder waren es die Reiter der Apokalypse? Man weiss es nicht genau, aber die Gerüchte zeigen, was die Menschen damals beschäftigt hat.
Abt Haito war zugleich Bischof von Basel und als solcher hatte er am Rheinknie die erste Kathedrale erbauen lassen. Ihre wuchtigen Rundtürme ragten auf dem Münsterhügel deutlich über die strohgedeckten Dächer der sie umgebenden Siedlung hinaus. Von Haitos Bau sind kaum Spuren geblieben, an seiner Stelle erhebt sich heute das weit grössere und imposantere Münster. Steigt man in diesem jedoch hinunter in die Krypta, findet man dort allerdings einen Sarkophag, der Anfang des 10. Jahrhunderts für einen Nachfolger Haitos angefertigt wurde. «Bischof Rudolf», steht darüber, «Von Heiden erschlagen. 917.»
Nun lebte Rudolf in unruhigen Zeiten und es gab gewiss zahlreiche Gelegenheiten, von Heiden erschlagen zu werden. Die von den Chronisten bevorzugte Variante der Geschichte macht die Ungarn dafür verantwortlich. Die Magyaren zogen zu Rudolfs Zeit raubend und plündernd durch Europa und machten auch vor Kirchen keinen Halt. Schon von Weitem, so wird spekuliert, hätten sie das Münster gesehen und reiche Beute gewittert. Rudolf habe sich ihnen entgegengestellt und dies mit dem Leben bezahlt.
Ob Rudolf tatsächlich von vagabundierenden ungarischen Reitern getötet wurde? Wir wissen es nicht. Die Berichte über ihn stammen von Hermannus Contractus, dem Mönch und Geschichtsschreiber, der 100 Jahre später auf der Klosterinsel Reichenau gelebt hat. Ihm und seinen Lesern aber schien die Geschichte plausibel. Sie griff reale Begebenheiten auf (die Ungarn verwüsteten zahlreiche Städte und machten in Kirchen leichte und reiche Beute) und sie nahm bekannte Motive anderer Geschichten auf: Die Ungarn erinnerten an die Hunnen oder die Reiter der Apokalypse und Rudolfs Tod glich jenem zahlreicher Märtyrer.
Ob die Ungarn im Jahr 917 überhaupt in Basel waren? Ob es hier 917 tatsächlich einen Bischof Rudolf gab? Auch das liegt im Dunkel der Vergangenheit. Aber mit Rudolfs Geschichte verhält es sich ein wenig wie mit einem Gerücht. Selbst wenn sie nicht stimmen sollte, zeigt sie, was die Menschen im 11. Jahrhundert beschäftigte und welche Art von Geschichten sie sich erzählten. Und so erleben wir an Rudolfs Grab, was wir bei der Beschäftigung mit Geschichte oft erleben: Wir stellen eine Frage – und erhalten die Antwort auf eine komplett andere.