Josef Durrer mit Gämse
Staatsarchiv Nidwalden, Fotodokumentation Oberforstamt Kaiser

Jäger, Tiere, Wilderer — Handwerk und Legenden in Nidwalden

Das Nidwaldner Museum pirscht sich mit der Ausstellung «Jäger, Tiere, Wilderer – Handwerk und Legenden in Nidwalden» geschickt an ein Thema heran, das gemischte Gefühle weckt.

Hibou Pèlerin

Hibou Pèlerin

Seit vielen Jahren fliegt Hibou Pèlerin zu kulturhistorischen Ausstellungen. Für den Blog des Schweizerischen Nationalmuseums greift sich Pèlerin die eine oder andere Perle raus und stellt sie hier vor.

Zugegeben, wir haben nicht schlecht gestaunt, als wir die Ankündigung der Ausstellung übers Jagen gesehen haben. Ist das nicht wahnwitzig, wo doch heute so ziemlich alles, was man so gemeinhin mit der Jagd assoziiert, vom Fleisch über Pelz bis hin zu Schusswaffen und verfilzter Männlichkeit, einiges Stirnrunzeln hervorzurufen vermag?

Das ist allerdings, wie wir im Laufe unseres Besuchs lernen, die typische Perspektive von Stadtmenschen, die höchstens noch auf Schnäppchenjagd gehen oder sich fragen, ob die immer häufigeren Füchse im Quartier womöglich tollwütig sind.

In Nidwalden ist das wie in allen Bergkantonen etwas anders. Die Jagd hat dort von jeher einen besonderen Stellenwert. Ein Indiz ist die Gesetzgebung, die sich lange von jener in den Städten unterschied. Dort war die Jagd ein herrschaftliches Privileg. Auf dem Land war sie sozusagen schichtenneutral.

Die erste nationale Regelung der Jagd in der Schweiz 1875, die generell als Abschaffung ständischer Privilegien begrüsst wurde, brachte für die Nidwaldner eher Einschränkungen mit sich. Das führte zu Gegenreaktionen, zum «Wildern» aus Protest und vor allem aus schierer Not. Der Kanton ist übrigens berüchtigt für seine Wilderergeschichten.

Ein Jäger legt das geschossene Tier in seinen Kofferraum
Staatsarchiv Nidwalden, Fotodokumentation Jan Prochazka

Derlei liest man in der Begleitbroschüre. Dort findet sich neben Reportagen von Kulturpublizistik-Studierenden auch ein autobiografisch gefärbter Einleitungstext des Gastkurators der Ausstellung, Basil Rogger, Kulturmanager und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Rogger ist zwar selber kein Jäger, doch sein Vater war Wildhüter und Jäger, und so hat er als Kind die Widersprüchlichkeiten der Jagd mitbekommen: die Faszination der Nähe zur Natur, die zur Jagd gehörigen Regeln wie auch die Anarchie des Wilderns, das Töten nach den Regeln der Kunst, also möglichst rasch, das Ausweiden, das respektvolle, also möglichst vollständige Verwerten des Tieres.

Die Widersprüchlichkeit prägt seine Annäherung an das Thema, und das bekommt der Ausstellung sehr gut. Denn hier werden Jagd und Jäger weder glorifiziert noch verdammt. Stattdessen stellen sie uns Fragen, die an unser Verhältnis zur Natur rühren.

Unsere Pirsch beginnt im «Jägerstübli», einer Ecke im Parterre des Nidwaldner Salzmagazins, wo wir Witterung mit der folkloristischen Seite der Jagd aufnehmen können. Beispielsweise anhand der Trophäen, der auf Holzbrettchen montierten Geweihe. Rasch fällt auf, dass ungewöhnliche Wuchsformen dominieren. Ein Hinweis darauf, dass die Natur nicht ganz so unberührt und intakt ist, wie man sich das gerne ausmalt. Gemälde und Fotografien erinnern daran, dass die Jagd eines der ältesten Bildmotive ist. Neben dramatischen Jagdszenen sind stolze Jäger mitsamt der Beute beliebt. Anschliessend schlägt die Stunde des Jägerlateins samt Schnaps: Ich trinke Jägermeister, weil… Ja warum? Vielleicht, weil sich durchs Erzählen und den Alkohol der Schock des Tötens bewältigen oder gar wegspülen lässt. Inzwischen haben wir auch bemerkt, wie stark unsere Sprache von Jagdmetaphern durchsetzt ist.

Im Treppenhaus, das uns zum Hauptteil der Schau führt, wird augenzwinkernd die Naturnähe von Jagd und Jäger kommentiert. An der einen Wand hängt die Ausrüstung eines Jägers im 19. Jahrhundert: ein derber Stoffrucksack, eine einfache Flinte, ein Pickel. Gegenüber sehen wir einen Auszug aus dem heutigen Warenkatalog. Nur schon die Funktionskleidung mit designpreisverdächtigem Tarnmuster zeigt, dass die Jagd inzwischen ein hochgerüsteter Freizeitbereich ist.

Ausstellungsansicht
Foto: Christian Hartmann

Im ersten Stock geht’s dann direkt zur Sache. Displays, deren Mittelpunkt ausgestopfte Wildtiere bis hin zum «letzten Bären» sind, widmen sich mithilfe eines Mix von Objekten, Texten, Videos, Hörstationen verschiedensten Facetten des Themas. Etwa der populären Dimension, die von Jägerschnitzeln und Hubertusbräu über Kinderbücher- und filme wie Bambi, Kinderlieder und Schlager bis zu mehr oder minder geschmackvollen Tattoos reicht. Man kann aber auch ein Interview mit einer der wenigen Jägerinnen hören oder sich in die Geschichte der Regulierung der Jagd in der Schweiz vertiefen. Interessant sind die dazugehörigen Aushandlungsprozesse und ökologischen Erwägungen. Wann darf man was schiessen, und wenn ja, warum? Welche Tiere werden geschont, welche nicht?

Nebenbei begreift man, dass die Jagd der vielleicht älteste von zahlreichen Versuchen des Menschen ist, die Natur in den Griff zu bekommen. Auch, dass manche Regulierungen der rasanten technologischen Entwicklung hinterherhinken, wie eine im Raum schwebende Drohne illustriert. Drohnen stören Wildtiere in Ruhezonen und damit eine delikate Balance. Ein Kapitel, das gerade erst aufgeschlagen wird.

Hoffentlich historisch ist hingegen die Wilderei mit Fallen, die ein Gruselkabinett versammelt. Nichts für zart Besaitete sind auch die Videos zum Ausnehmen von Wild oder der Simulator, an dem man Wildschweine erlegen kann.

Historische Porträtfotos von Jägertypen.
Fotografie: Max Kaiser, Oberförster; Staatsarchiv Nidwalden: P70 – 6

Die kulturgeschichtliche Vertiefung folgt im Dachgeschoss. Hier ist neben dem Echo der Jagd in der Kunst (mit dem Art-Brut-Künstler Walter Wegmüller als Entdeckung und Beispielen bis hin zur Gegenwartskunst) vor allem die wohl verrückteste Nidwaldner Wilderer-Legende aufgefächert. Die spektakuläre Geschichte des Wilderers Konrad Scheuber, der vor 120 Jahren einen Wildhüter und dessen Sohn ermordete und nach Lateinamerika floh, wo sich seine Spur verlor, lieferte einen beliebten Stoff für Film und Theater. Dass die Jagd auch zur Konservierung eher archaischer männlicher Rollenbilder beitrug, zeigt die Galerie historischer Porträtfotos knorriger Jägertypen. Wie es hingegen den Frauen ging, deren Männer von der Jagd nicht mehr heimkamen, thematisiert erstmals der Film «Nid Heicho» von Thais Odermatt.

Dass sich die Ausstellung in einem kleinen Museum eher auf Exemplarisches beschränken muss, mag man da und dort bedauern. Es hat aber den Vorteil, dass sie konzentriert bleibt und einen nicht erschlägt. Stattdessen bietet sie durchdachte Zugänge zu einem Thema, mit dem die Auseinandersetzung sich auch dann lohnt, wenn man sonst mit Wildbret und Gamsbart recht wenig am Hut hat.

Jäger, Tiere, Wilderer — Handwerk und Legenden in Nidwalden

Nidwaldner Museum, Salzmagazin Stans

bis 27. Oktober 2019

www.nidwaldner-museum.ch

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