Ken Aïcha Sy, Baadaye, Awa, 2019, © Yannik Ntap

Afrika­ni­sche Mode

Afrikanisches Modedesign ist im Aufschwung und erobert seit einiger Zeit auch internationale Laufstege. «Connecting Afro Futures – Fashion X Hair X Design» im Berliner Kunstgewerbemuseum liefert aktuelle Einblicke und beleuchtet Hintergründe.

Hibou Pèlerin

Hibou Pèlerin

Seit vielen Jahren fliegt Hibou Pèlerin zu kulturhistorischen Ausstellungen. Für den Blog des Schweizerischen Nationalmuseums greift sich Pèlerin die eine oder andere Perle raus und stellt sie hier vor.

Am Anfang von «Americanah», dem vielfach preisgekrönten Roman von Chimamanda Ngozi Adichie, werden wir in einen Coiffeursalon versetzt. Allerdings nicht irgendeinen, sondern den einzigen in der amerikanischen Universitätsstadt Princeton, der sich auf afrikanische Flechtfrisuren spezialisiert hat. Eine seiner Kundinnen ist Ifemelu aus Nigeria. Als schwarze Studentin, die nicht in den USA aufgewachsen ist, bloggt sie über den alltäglichen Rassismus in diesem Land. Der fängt bei den Haaren an.

Wir erfahren, dass die nach afrikanischem Brauch kunstvoll eng am Kopf entlang geflochtenen Zöpfe für aufstiegsorientierte schwarze Frauen in den USA ebenso tabu sind wie der Afrolook. Also lassen sie ihr Haar mit dem Glätteisen oder chemisch entkräuseln. Nicht einmal die einstige First Lady Michelle Obama konnte oder wollte sich dem Druck entziehen, wie Ifemelus Blog in Erinnerung ruft.

In Europa ist die Situation etwas entspannter: Wer aufmerksam durch grössere Städte geht, kann seit einiger Zeit beobachten, dass sich immer mehr auf afrikanisches Haar spezialisierte Salons etablieren. Selbstbewusst tragen afrikanischstämmige Frauen ihre kunstvollen Zöpfelfrisuren. Der Trend wird inzwischen sogar von weissen Frauen aufgegriffen: Nicht erst seit Greta Thunberg ist Haargeflecht wieder angesagt. Dabei ist kulturelles Crossover Richtung Braids und Cornrows (so heissen bestimmte afrikanische Flechttechniken) zu sehen. Auch die Mode lässt sich inzwischen häufiger von Afrika inspirieren.

José Hendo, Signs of the Now, 2019, © Terimelda Hendo

Was hat es mit diesen Trends auf sich? Das Berliner Kunstgewerbemuseum schaut nun in einer kleinen, aber anregenden Schau genauer hin. Schon der Titel «Connecting Afro Futures – Fashion x Hair x Design» verdeutlicht, dass es um mehr als nur modische Äusserlichkeiten geht. Zur Diskussion steht das Afrikabild des Westens und dessen Veränderung durch postkoloniale Diskurse. Denn die künftige Entwicklung Afrikas wird auch davon abhängen, welche Bilder und Erzählungen über Afrika entstehen, zirkulieren und über den Kontinent hinaus strahlen. Ein Ansatz dabei kann sein, an lokale kulturelle und kreative Traditionen anzuknüpfen. Dabei gilt es zugleich, die bekannten Fallen des Ethno-Kitschs zu vermeiden. «Afrofuturismus» heisst der gängige, wenn auch nicht ganz unproblematische Sammelbegriff für diesen Aufbruch. Solche Hintergründe liefern die von Ken Aïcha Sy geführten Videointerviews und auch der Katalog.

Die Ausstellung, deren erster Teil vor allem dem Haar gewidmet ist, beginnt sehr handfest mit einer Kollektion von Kämmen. Alle sind besonders grob – und schon sind wir mitten im Thema. Klar, mit einem feinen Kamm kommt man bei einer Naturkrause nicht weit. Ein kunstvoll gestaltetes Set aus senegalesischen Kämmen, einer für jeden Wochentag, weist auf das von Traditionen geprägte Verhältnis zum eigenen Haar hin. Ein Afro-Kamm mit einer geballten Faust als Griff hingegen erinnert an die Black-Power-Bewegung der Sechzigerjahre, zu deren sichtbaren Zeichen der damals von Angela Davis propagierte Afrolook gehörte. Entfesselte Haare, entfesselte Energien des Protests, das war die unmittelbar eingängige Botschaft.

Dass gerade das unbändige afrikanische Haar Stoff für ebenso unbändige Fantasien liefert, thematisiert gleich nebenan Funmi Oyewale mit verstörenden Fotocollagen. Die Flechten, mit denen traditionell das widerspenstige Haar zu kunstvollen Gebilden dressiert wird, sind hier zu bedrohlichen und abstossenden Geschwüren herangewuchert. Mit dieser visuellen Überdosis werden westlicher Voyeurismus und afrikanische Selbstinszenierungslust ins Visier genommen.

Gefälliger, aber deswegen nicht weniger subversiv sind die karnevalsreifen Flecht-Perücken des seit Jahren auch für sein imaginäres Museum of African Art bekannten Künstlers Meschac Gaba. Sie imitieren architektonische Monumente westlicher Mächte und verschmelzen auf gewitzte Weise afrikanische und koloniale Imponiergesten.

Im zweiten Teil der Schau verlagert sich der Akzent zunehmend zur Mode hin. Eine Pointe ist, dass die Formeln des Haardesigns auch in der Mode auftauchen. Interessante Experimente mit traditionellen Materialien sind anzutreffen, beispielsweise mit einem Rindenstoff, der ein wenig an feinen Filz erinnert. Die Frage, ob man die teilweise recht exzentrischen Modelle in Paris, London oder Zürich tragen würde, ist falsch gestellt. Denn mit dieser Mode wird ein afrikanischer Mittelstand adressiert, der sich von westlichen Modediktaten emanzipieren will. Es wird auch Distanz markiert zum Missionskalender-Afrika der kunterbunten Stoffmuster. Die Thematik einer eigenen Mode-Identität ist unübersehbar. So tritt etwa die komplett in Schwarz gehaltene Kollektion von Lamula Anderson gegen die in Afrika geläufige Vorstellung an, wonach für Schwarze nur möglichst grelle Farben kleidsam seien.

Der Versuch, zwischen Tradition und westlichem Mode-Mainstream einen Weg zu finden, führt afrikanische Designer zu eigenwilligen, wenn auch bisweilen überspannten Kreationen. Denn diese müssen fast immer als Statement dienen. Man arbeitet sich an einer Geschichte ab, in der Fremdes und Eigenes unentwirrbar verstrickt sind. Das ökonomische Potential manchen Entwurfs scheint daher zunächst einmal begrenzt. Überdies erfährt man, dass die eigentliche Wertschöpfung oft nicht in Afrika stattfindet. Noch verdienen vor allem Fotografen und westliche Modemagazine an einem Trend, der als Augenfutter dient und mit dem sie ganz nebenbei ihre kulturelle Aufgeschlossenheit inszenieren. Dabei wird kaschiert, dass gut gemeinte europäische Altkleiderlieferungen in den letzten Jahrzehnten eine in Afrika noch existierende Textilindustrie fast komplett zerstört haben. Umso aktueller sind Projekte wie das von Njola Impressions, die sich auf das derzeit hoch aktuelle Recycling-Design spezialisieren.

Bei der Formulierung eines afrikanischen Stilbewusstseins haben vor allem Musikclips, von denen die Ausstellung eine handverlesene Auswahl zeigt, eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Plattformen und Vertriebskanäle im Internet tragen aber nicht nur zur Identitätsbildung und zur besseren Vernetzung der afrikanischen Diaspora bei, sondern ermöglichen einen direkten Marktzugang gerade für Kleinlabels.

Meschac Gaba, Perruques d’Architecture (Café Moskau), 2019, © Charles Placide / VG Bild-Kunst Bonn 2019

Lamula Anderson, © Lamula Anderson, Foto: Magic Owen

Das Berliner Kunstgewerbemuseum mit seiner vor kurzem neu eingerichteten Galerie historischer europäischer Mode macht mit der Schau selber einen weiteren Schritt in die Zukunft. Europäische Mode war als zunächst höfisch, später zunehmend bürgerlich geprägte Luxusindustrie schon früh mit der aussereuropäischen Welt verbunden. Die verwendeten Stoffe und Muster, ob aus China, Indien – wie derzeit in der Schau «Indiennes» im Landesmuseum Zürich zu sehen – oder Afrika, hatten oft eine veritable Weltreise hinter sich. Im zwanzigsten Jahrhundert setzte auch die umgekehrte Bewegung ein: Der Vormarsch westlicher Modestile und -labels in die globalisierten Shopping Malls, die sich vor Ort jedoch oft nur eine Oberschicht leisten können. Kein Wunder, nehmen wir Afrika immer noch hauptsächlich als europäische Altkleiderdeponie wahr. Nach dem Besuch der Berliner Ausstellung steht fest: Hier ist mehr Aufbruch, als aus europäischer Perspektive oft wahrgenommen wird.

Connec­ting Afro Futures. Fashion x Hair x Design

Kunstgewerbemuseum, Berlin

bis 1. Dezember 2019

www.smb.museum

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