Supraporte aus dem direkt am Rhein gelegenen Lusthäuschen im Hettler mit der ältesten naturgetreu gemalten Einzeldarstellung der Burg Hohenklingen über Stein am Rhein, um 1750.
Roman Sigg/Stadtarchiv Stein am Rhein

Uf, uf! Ihr Fekels Chätzere, Ihr Dundershagelshünd!

Im März 1784 rücken die Truppen des alten Stadtstaates Zürich zu einem ihrer letzten Feldzüge aus. Drei Kompanien besetzen das unbotmässige Städtchen Stein am Rhein. Im «Steiner Krieg» fällt kein einziger Schuss. Aber die Emotionen gehen hoch. Die Steiner persiflieren den Auszug der Zürcher in einem Spottlied.

Felix Graf

Felix Graf

Felix Graf, bis 2017 Kurator am Landesmuseum Zürich, ist freier Publizist.

Im September 1783 legt der Steiner Bürgermeister und Stadtarzt Johann Georg Schmid, wohnhaft im schmucken Haus Zum Weissen Adler am Rathausplatz, dem Steiner Rat ein Gesuch des preussischen Königs vor. Preussen möchte in Stein am Rhein einen Sammelplatz für geworbene Rekruten einrichten lassen. Dem Bürgermeister und dem Stadtschreiber ist klar, dass das nicht geht. Seit 1622 besteht auf Zürcher Territorium, zu dem Stein am Rhein seit 1484 gehört, ein Werbeverbot. Aber die Mehrheit der Räte und Bürger des auf seine ehemalige Reichsfreiheit stolzen Städtchens sieht das anders. Man beruft sich auf alte Rechte und beharrt trotz abschlägigem Bescheid aus Zürich auf seinem Standpunkt.

Ein Konflikt spitzt sich zu

Die Obrigkeit sieht in der Widerspenstigkeit der Munizipalstadt aussenpolitischen Zündstoff und eine ernsthafte Gefährdung von Ruhe und Ordnung. Ein paar Tage vor Weihnachten erscheint unerwartet eine Deputation aus Zürich in Stein am Rhein. Im ehemaligen Kloster Sankt Georgen, dem Sitz des Zürcher Amtmanns, verhandeln die Delegierten mit den Steinern. Mit von der Partie ist auch Ratsherr Johann Heinrich Schinz, der zu den führenden Köpfen des Widerstands, Stadtvogt Johann Konrad Winz und seinem gleichnamigen Sohn, Gerichtsschreiber Winz, in freundschaftlichem Kontakt steht. Erfolglos. Nach elf Tagen wird die Zürcher Delegation «unter Paradierung von 50 Mann blau montierten Verburgerten» mit militärischen Ehren verabschiedet. Weitere Gespräche in Zürich führen ebenfalls zu keinem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis. Der Ton verschärft sich. Nach sechsmonatigen Verhandlungen und der verklausulierten Drohung der Steiner, Kaiser Joseph II. ins Spiel zu bringen, drohen die Gnädigen Herren in Zürich dem Steiner Rat mit der militärischen Besetzung des Städtchens: «Deshalb sehen wir uns notgedrungen, uns Eurer Stadt als unseres offenen Hauses zu versichern und eine Garnison zu legen.» Die Steiner nehmen die Drohung nicht ernst.

Ein Steiner Milizsoldat mit Muskete und Bajonett in der Uniformenhandschrift Streuli. Es handelt sich dabei um die einzige bekannte Darstellung der Uniformierung eines Steiner Milizionärs in der alten Ordnung.
Schweizerisches Nationalmuseum

Die Besetzung

Gross ist die Überraschung, als der Wachtposten auf Burg Hohenklingen am 9. März 1784 die anrückenden Truppen meldet: mehr als 500 Mann Infanterie und Kavallerie mit vier Geschützen. An Widerstand denkt niemand. Im Zeughaus befindet sich kein Schuss Pulver. Das Städtchen wird militärisch besetzt, es finden Zeugeneinvernahmen statt, die Verantwortlichen, allen voran Vater und Sohn Winz, werden zur Rechenschaft gezogen und hart bestraft. Am 18. April leistet die in der Stadtkirche versammelte Bürgerschaft den Huldigungseid. Anschliessend begeben sich die Magistratspersonen, Gesandten und das gesamte Offizierscorps auf die vor dem Gredhaus, dem heutigen Hotel Rheinfels, gelegene Herrenstube zu einem ausgiebigen Ehrenmal. «Um 3 Uhr liesse Herr General und Kommandant Fries ein Manöver mit dem Corps machen auf dem Niederfeld. Dahin dann auch in einer Standes Gutsche beide Herren Burgermeisteren von hier geführt wurden. Damit war der Steiner Krieg erledigt.» Für die Kosten der Besetzung und der Huldigungszeremonie kommen die Stadt und die beiden Steiner Zünfte auf.

Anonyme Federzeichnung mit Blick vom linken Rheinufer auf Stein am Rhein. Im ehemaligen Kloster Sankt Georgen befand sich der Sitz der Zürcher Amtsleute.
Zentralbibliothek Zürich

Das Spottlied

Die gedemütigten Steiner rächen sich an den Zürchern mit Schmähschriften und Spottversen, die in den Privathäusern und auf den Zunftstuben kursieren. Eines der Spottlieder findet Aufnahme in die von Otto von Greyerz herausgegebene Liedersammlung Im Röseligarte. In 21 Strophen persifliert der anonyme Verfasser die Besammlung des Aufgebots in Zürich, den Marsch auf Stein am Rhein mit Nachtquartier in Dübendorf und Winterthur, den glorreichen Sieg und die Vorfreude auf die Siegesparade. Die Verballhornung von militärischen Fachausdrücken und Graden – aus dem Kommandanten, Zunftmeister Fries, wird ein Generalfeldmarschall von Rollenbutz –, die Dramatisierung des Geschehens in kurzen Dialogen, die eingängige Melodie, die Imitation der Zürcher Mundart, das alles macht das Spottlied auf die Ketzer des Stadtheiligen Felix, also die Zürcher, zu einer reizvollen und einzigartigen Quelle zur Ereignis- und Mentalitätsgeschichte aus der Zeit des zu Ende gehenden Ancien Régime.

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Das Spottlied «Uf, uf! Ihr Fekels Chätzere…» gesungen von Hans Peter Treichler (1941–2019).

Hans Peter Treichler (1941–2019) präsentiert das Spottlied «Uf, uf! Ihr Fekels Chätzere…» am 26. Dezember 2012 nach dem Jahresbott der beiden Zünfte «Zum Kleeblatt» und «Zur Rose» im Jakob und Emma Windler-Saal in Stein am Rhein.
Bild: Werner Schmid

Das Nachspiel

Für die Fackeln des Brandes, wie es in den Zürcher Akten heisst, Johann Conrad Winz und seinen gleichnamigen Sohn, nahm die Steiner Angelegenheit ein böses Ende. Der Vater wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er starb 1788 im Gefängnis in Zürich. Der Sohn wurde nach Niederländisch-Guayana in die Kolonie Rio de Berbice (heute Guyana) verbannt. Erst 15 Jahre später, nach dem Zusammenbruch des Ancien Régime, konnte er in die Schweiz zurückkehren. Seine Briefe an Johann Heinrich Schinz, seinen Vertrauensmann in Zürich, geben detaillierte Einblicke in die prekären Lebensumstände und die Sklaverei auf den Kaffeeplantagen.

Villa Berbice

Winz selber war auf verschiedenen Plantagen in verschiedenen Funktionen tätig. Der Handel mit Sklaven war offensichtlich mehr als ein Nebengeschäft. Auf der Plantage Middelburgs Weelvaaren mit 60'000 Kaffeebäumen und 80 Sklaven, «die mich förchten und lieben», war er nicht nur «Directeur», sondern auch «Médicus, Chyrurgus, Feldmesser, Baumeister und Richter» in einer Person. Zu Geld kam er erst in den letzten acht Jahren seines Aufenthalts in Südamerika. Ob er in dieser Zeit mit Krediten in den transatlantischen Sklavenhandel verwickelt war, ist nicht bekannt. Als reicher Mann kehrte er in die Schweiz zurück, liess sich in Schaffhausen nieder und erwarb 1802 in Neuhausen am Rheinfall ein Landgut, das er zur herrschaftlichen Villa mit französischem Garten umbauen liess und nach dem letzten Ort seines Wirkens in Südamerika Berbice nannte. Der Standort der Villa genau gegenüber von Schloss Laufen, einem ehemaligen Zürcher Vogteisitz, ist kein Zufall. Von 1805 bis 1814 vertrat Winz die nunmehr zu Schaffhausen gehörende Stadt Stein am Rhein im Kantonsrat. Er starb am 26. August 1828.

Schweizer in der Sklavenwirtschaft

In der Kolonialgeschichte Niederländisch-Guayanas treten auffallend viele Schweizer als Akteure auf; als Sklavenaufseher und -händler, Plantagenleiter und -besitzer, als Siedler, Söldner, Beamte und «Investoren» im Sklavenhandel. In der Kolonie Berbice befinden sich im 18. Jahrhundert nicht weniger als 100 mit Sklaven bewirtschaftete Plantagen ganz oder teilweise in Schweizer Hand. Sie tragen Namen wie Züblins Lust, Mon Repos, La Liberté, L’Helvétie, Oberberg, Flachtal, Accaribo, La Campagne. Wie die Plantagen Altenklingen und L’Hermitage zu ihrem Namen kommen, wäre interessant zu wissen. Zwei Jahrzehnte vor der Ankunft von Winz wurde unter dem Kommando eines Schweizer Obersten in Fremden Diensten ein erster grosser Sklavenaufstand blutig niedergeschlagen.

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