Auf ihrem Rückzug wollte die Wehrmacht das Südportal des Simplontunnels 1945 sprengen.
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Showdown am Simplon

Am 22. April 1945 konnten italienische Partisanen gemeinsam mit dem Schweizer Geheimdienst die Sprengung des Simplontunnels verhindern. Den wollte die deutsche Wehrmacht zerstören.

Raphael Rues

Raphael Rues

Raphael Rues ist Historiker und spezialisiert auf das Tessin und die deutsch-faschistische Präsenz in Norditalien.

Adolf Hitler ordnete am 19. März 1945 eine Taktik der verbrannten Erde an. Die vorrückenden Alliierten sollten auf eine möglichst unbrauchbare Infrastruktur treffen. Dazu gehörte auch das Südportal des Simplontunnels beim italienischen Dorf Varzo. Es sollte zusammen mit Elektrizitätswerken und Fabrikanlagen der Region Ossola gesprengt werden. Die Vorbereitungen dazu hatten bereits im November 1944 begonnen.

Eine Spezialeinheit mit rund 30 Wehrmachtssoldaten des Eisenbahn-Pionier-Bau-Batallions 12 kümmerte sich um dieses Vorhaben. Die Männer hatte bereits nach der Wiederbesetzung des Ossolagebiets (siehe Box) die teilweise zerstörten Brücken und Viadukte wieder aufgebaut. Diese Soldaten stammten zum grössten Teil aus Österreich und verstanden ihr Handwerk. Allerdings waren sie wie die meisten Mitglieder der Wehrmacht demoralisiert und schlecht ausgerüstet. Das wenige Material – Kompressoren, Pumpen und verschiedene Werkzeuge – wurde immer wieder auch von Mitarbeitern der SBB, welche in Domodossola und Varzo stationiert waren, sabotiert. Innerhalb von vier Monaten gelang es ihnen deshalb nur, drei kleine Minenkammern beim Tunneleingang anzulegen. Da die Partisanen im Januar 1945 in das Gebiet rund um den Simplon zurückgekehrt waren, kam es sporadisch zu Scharmützel, was die Arbeiten zusätzlich erschwerte.

In diesem Bahnhäuschen in Varzo wurde ein Teil des Sprengstoffs gelagert, der im April 1945 vernichtet wurde.
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Schweizer Geheimdienst mitten drin

Das Vorhaben der Deutschen war auch dem Schweizer Nachrichtendienst nicht entgangen. Dieser hatte ein engmaschiges Spionagenetz in der Region aufgebaut. Neben Angestellten der Bundesbahn fungierten Händler, Hoteliers oder Postbeamte als Informanten. Der prominenteste Vertreter des Geheimdienstes war der 30-jährige Peter Bammatter. Der Walliser war offiziell Vizedirektor des Schweizer Zollamts in Domodossola. Das war jedoch nur eine Tarnung. Bammatter war eigentlich Hauptmann des Geheimdienstes und in dieser Funktion die eigentliche Schweizer Informationsdrehscheibe der Region.

Als die Wehrmacht mit den Vorbereitungen für die Tunnelsprengung begann, reagierten Bammatter und der Nachrichtendienst sofort und erkundeten die Lage. Da sich die deutschen Soldaten abends samt Ausrüstung nach Varzo zurückzogen, konnten sich die Schweizer während der Nacht ein genaues Bild machen. Besonders dank Paul Bardet, einem SBB-Ingenieur und Hauptmann der Armee aus Sitten, kannte man die Situation sehr genau. Bardet wagte sich von Brig aus mehrmals in den Tunnel und erstellte nach diesen Erkundungstouren jeweils sehr detaillierte Berichte.

Die Lage war ernst, aber nicht aussichtslos. Insgesamt waren rund 400 Tonnen veraltete Marinegeschosse, die immer noch Sprengstoff enthielten, nach Varzo und zum Tunnel transportiert worden. Da den Wehrmachtssoldaten aber das nötige Werkzeug und Wissen fehlte, um gezielte Bohrungen vorzunehmen, schätzte der Schweizer Nachrichtendienst das Risiko einer völligen Zerstörung als eher klein ein. Trotzdem sollte die Detonation verhindert werden. Im März nahm Peter Bammatter deshalb Kontakt zu den italienischen Widerstandkämpfern auf.

Marinegeschosse beim Bahnhof von Varzo. Einige waren bis zu 150 Kilogramm schwer.
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Karte des Partisanenangriffs vom 22. April 1945 in Varzo.
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Infos für die Partisanen, Wein für die Deutschen

Während die Partisanen mit Informationen über die deutschen Zerstörungspläne versorgt wurden, bearbeitete Bammatter auch die Soldaten der Wehrmacht. Der Krieg war verloren und viele waren demoralisiert. Das ermögliche inoffizielle Gespräche mit einem Teil dieser Männer. Der Schweizer Geheimdienstler hatte ausserdem interessante «Argumente» im Gepäck, welche die Überzeugungsarbeit erleichterten. Der Nachrichtendienst kaufte auf dem Schwarzmarkt in Domodossola Zigaretten, Wein und Lebensmittel. Diese Geschenke wurden den Deutschen zugespielt. Gleichzeitig versuchte Peter Bammatter die Soldaten von der Sinnlosigkeit der Tunnelsprengung zu überzeugen.

In den frühen Morgenstunden des 22. Aprils 1945 griffen die Partisanen schliesslich an. Ihr Ziel war es, den gesamten Sprengstoff zu vernichten. Weil ein Teil der Widerstandskämpfer den Weg zur Wehrmachts- und SS-Polizistengarnison in Varzo blockiert und der Schweizer Geheimdienst die Wachsoldaten zu Überlaufen überredet hatte, endete die Aktion ohne Verletzte und Tote. Um 4.30 Uhr steckten die Partisanen den Sprengstoff, der bei Varzo noch im Freien verteilt war, in Brand. Das Feuer war riesig und weitherum sichtbar.

Damit war die Gefahr einer Sprengung des Simplontunnels endgültig gebannt. Die Aktion hatte jedoch Schäden an der Bahninfrastruktur angerichtet. Repariert wurden diese von einem deutschen Eisenbahn-Pionier-Bau-Bataillon. Danach flohen die Soldaten in die Schweiz und liessen sich internieren.

Die Republik Ossola

Im Herbst 1944 befreiten italienische Widerstandskämpfer ein grosses Gebiet in der Region Ossola und gründeten eine Partisanenrepublik. Nach 44 Tagen war das demokratische Experiment zu Ende. Deutsche Kampfverbände eroberten das Terrain zurück. Wer konnte, flüchtete in die Schweiz. Wie der Süden der Schweiz den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, ist in mehreren Blogartikel nachzulesen:

Die Republik Ossola

Das Tessin im Zweiten Weltkrieg

Schmuggel während den Kriegsjahren

SBB-Mitarbeiter Mario Rodoni (links), enger Mitarbeiter von Peter Bammatter, mit einem deutschen Soldaten in Varzo.
Casa della Resistenza, Fondotoce / Verbania

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