Parisienne-Werbung in Boncourt (JU), um 1980.
ETH Bibliothek, Bildarchiv

Verraucht

Die Schweiz hatte einst eine grosse Rauchertradition. Doch die hat sich Schritt für Schritt in Rauch aufgelöst.

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer ist Historiker und Autor.

Radios, Nylonstrümpfe, Space Shuttles: Geschichte ist oft eine Aufzählung von Neuheiten. Was sich in Rauch auflöst, wird selten thematisiert. Dabei ist auch das Verschwinden eine Geschichte wert. 2010 trat das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen in Kraft. Es war der letzte Schritt im langen Niedergang der Schweizer Raucherkultur. Dabei war das Rauchen vor gar nicht so langer Zeit überall präsent. Dürrenmatt oder Duttweiler waren grosse Stumpenraucher. Frisch und Stich erkannte man an der Pfeife. Und Heiri Gretler alias Wachtmeister Studer wäre ohne krumme Brissago undenkbar gewesen!

Der Tabak erreichte die Schweiz ungefähr 1560. Ab 1680 wurde er dann im warmen Klima des Tessins und der Nordwestschweiz angebaut. Später wurde die freiburgisch-Waadtländische Broye-Ebene (sowie in kleinerem Umfang das bernisch-aargauische Wynental) zum Zentrum des Schweizer Tabakanbaus. Dieser blieb in seiner Grösse überschaubar, statt in grossen Plantagen wurde Schweizer Tabak meist auf einfachen Bauernhöfen gepflanzt.

Noch im 18. Jahrhundert wurde Tabak in Europa vor allem geschnupft, im 19. Jahrhundert wurden dann Pfeifen und Zigarren gepafft und im 20. Jahrhundert vor allem Zigaretten geraucht. Die Zigarette, ursprünglich ein Mittel zur Verwertung von Zigarrenresten, lief ihrer Konkurrenz schnell den Rang ab und war gerade bei Frauen beliebt. Dass auch diese zusehends zu rauchen begannen, sorgte für Diskussionen, war das Rauchen doch traditionell mit Männlichkeit, dem Stammtisch oder der Armee verbunden gewesen.

Friedrich Dürrenmatt signiert ein Buch, 1958.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Welche Bedeutung der Tabak im 20. Jahrhundert erreichte, zeigte sich im Zweiten Weltkrieg. Statt auf Tabakfeldern Kartoffeln zu pflanzen, wurde die Anbaufläche im Plan Wahlen auf 1472 Hektaren verdoppelt. Seine eigentliche Blütezeit erlebte das Rauchen aber in der Nachkriegszeit. Rauchen galt als chic, mondän und war mit Genuss und Freiheit assoziiert. Gerade über die Plakatwerbung war das Rauchen in der Öffentlichkeit fast allgegenwärtig und der Schweizer Fotograf Hannes Schmid schuf mit seinen Bildern von «Marlboro Country» geradezu ikonische Motive. Geraucht wurde nun grundsätzlich überall: im Zug, im Flugzeug, in der Disco, im Fernsehen und in den Wirtshäusern sowieso.

Es gibt kein exaktes Datum, seit wann das Rauchen nicht mehr mit Genuss und Freiheit, sondern mit Krankheit und Sucht assoziiert wird. 1964 stellten amerikanische Wissenschafter den zweifelsfreien Bezug zwischen Rauchen und Lungenkrebs her. Seit 1978 müssen in der Schweiz Warnhinweise auf Zigarettenschachteln angebracht werden. 1983 stellte der belgische Comic-Cowboy Lucky Luke das Rauchen ein. Seit 1991 darf am Radio und im Fernsehen nicht mehr für Tabakwaren geworben werden. 1992 und 1995 starben zwei «Marlboro Man»-Darsteller an Lungenkrebs. Seit 1993 verlangt das Arbeitsgesetz rauchfreie Arbeitsplätze. Die Swissair verbot das Rauchen 1996 auf Europa- und 1998 auf Interkontinentalflügen; in den Zügen wurden die Raucherabteile 2005 abgeschafft. 2006 war «Rauchverbot» das Wort des Jahres und 2010 wurde das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen eingeführt, mit welchem das Rauchen in geschlossenen öffentlichen Räumen verboten wurde und Lücken im Arbeitsgesetz schloss.

Das Ende der Raucherabteile in den SBB-Zügen.
YouTube / SRF

Insbesondere die Gastwirte fürchteten sich aufgrund des Gesetzes vor Umsatzeinbussen, weshalb Wirte im Raum Basel versuchten, es zu umgehen. Sie gründeten den Verein «Fümoar» und erklärten ihre Wirtshäuser kurzerhand zu Vereinslokalen. Solchen Schlaumeiereien schob das Bundesgericht allerdings 2015 einen Riegel. Mindestens so stark wie die Verbote, dürften allerdings die Preiserhöhungen dazu beigetragen haben, dass das Rauchen mehr und mehr aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Kostete eine Packung Zigaretten 1992 noch 3.10 Franken, so stieg der Preis bis 2015 auf 8.50.

Seit seiner Blüte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Tabakkonsum in der Schweiz markant abgenommen. Noch dramatischer hat aber der Status des Rauchens gelitten. Einst breit akzeptiert und Teil des Alltags breiter Schichten, wird es heute beispielsweise an Bahnhöfen gerade mal noch in eng definierten Zonen geduldet.

Alles andere als verschwunden ist indessen die Schweizer Tabakproduktion. Nachdem die meisten Schweizer Hersteller die Produktion eingestellt oder die Firma verkauft haben, befindet sich diese heute praktisch ausschliesslich in den Händen dreier internationaler Konzerne: Philipp Morris, British-American Tobacco und Japan Tobacco International. Diese haben Sitze insbesondere in der Westschweiz und produzierten 2016 rund 35 Milliarden Zigaretten – also über tausend pro Sekunde.

Diese gehen zum grössten Teil in den Export. Der Wert beläuft sich auf etwas mehr als eine halbe Milliarde Franken im Jahr und liegt damit nur knapp hinter dem Käse (und etwas deutlicher hinter der Schokolade). Gesellschaftlich ist das Rauchen also auf dem Rückzug, wirtschaftlich hat die Tabakbranche für die Schweiz allerdings noch immer eine erhebliche Bedeutung.

Swissair-Passagier, aufgenommen zwischen 1932 und 1948.
ETH Bibliothek, Bildarchiv

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