Von den Terroristen mitgeführte Ersatzwaffen im geliehenen VW Käfer.
Von den Terroristen mitgeführte Ersatzwaffen im geliehenen VW Käfer. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Intimität des Terrors

Es gab eine Zeit vor dem Handy, eine Zeit, in der Pressefotografen die Augen einer ganzen Nation waren. Viele ihrer Bilder sind heute in Vergessenheit geraten. Ihre Wirkung aber haben sie nicht verloren – so auch das Bild eines in der Schweiz erschossenen Attentäters.

Aaron Estermann

Aaron Estermann

Aaron Estermann hat Geschichte, Medienwissenschaft und Visuelle Kommunikation studiert und Kurator für historische Fotografie beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Unschwer ist die Szene als Tatort zu erkennen: Am Boden – im Schnee – liegt ein Leichnam. Im Hintergrund sind Polizisten zu sehen, die bei ihren Fahrzeugen stehen. Das Motiv ist uns durchaus vertraut. Beispielsweise aus den unzähligen Kriminalfilmen und -serien, die täglich über unsere Bildschirme flimmern. Dass dieses Bild aus der Realität stammt, also ein historisches Dokument ist, und überdies in der als friedlich bekannten Schweiz aufgenommen wurde, ist schon befremdlicher. Ebenso, dass es 1969 zur tagesaktuellen Publikation kam. Bei dem am Boden liegenden Mann handelt es sich um Abdel Mohsen Hassan. Er war Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), einer 1967 gegründeten Organisation, die für einen demokratischen und sozialistischen palästinensischen Staat kämpft. Dabei schreckt sie bis heute selbst vor terroristischen Aktionen nicht zurück. Ein bereits in den Anfängen oft anvisiertes Ziel war die zivile Luftfahrt Europas. So auch an diesem 18. Februar 1969, an dem sich Abdel Mohsen Hassan, zwei weitere Männer und eine Frau in einem geliehenen VW Käfer zum Flughafen Kloten begaben. Vom öffentlichen Parkplatz aus nahmen sie eine auf das Startfeld rollende Boeing 720B, die Zürich in Richtung Tel Aviv verlassen wollte, unter Beschuss. Ihr Ziel: Die Maschine der israelischen Airline El Al zu stoppen, zu räumen und in die Luft zu jagen, wobei die ganze Aktion laut Marschbefehl ohne menschliche Opfer hätte ablaufen sollen. Bei den 200 Schüssen, welche die Attentäter abfeuerten, ist wenig überraschend, dass es dennoch zu sechs Verletzten und einem Todesfall kam. Und auch sonst scheiterte der Plan, denn mit an Bord befand sich ein bewaffneter israelischer Sicherheitsmann. Dieser setzte vom Cockpit aus zum Gegenfeuer an, glitt über die Notrutsche aufs Rollfeld hinunter, näherte sich den Attentätern und erschoss Abdel Mohsen Hassan. Die drei anderen Angreifenden konnten von der Flughafenfeuerwehr entwaffnet und der später eintreffenden Polizei übergeben werden.
Der Leichnam des Attentäters Abdel Mohsen Hassan am 18. Februar 1969 am Tatort.
Der Leichnam des Attentäters Abdel Mohsen Hassan am 18. Februar 1969 am Tatort. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Schock für die offizi­el­le Schweiz

Der Fall war ein Schock für die offizielle Schweiz, welche sich unvorbereitet und im eigenen Land mit dem Nahostkonflikt konfrontiert sah. Die Folge waren zahlreiche rechtliche und diplomatische Schwierigkeiten sowie weitere Attacken. Dass die Schockwellen auch zur Bevölkerung durchdrangen, dafür sorgte die Presse mit einer Vielzahl an Berichten, Lageeinschätzungen und nicht zuletzt mit eindringlichen Fotografien. Bilder von Krieg und Terror haben – allen Abstumpfungsthesen zum Trotz – noch immer das Potential, zu ergreifen. So wirkt auch die vorliegende Aufnahme unmittelbar, packend. Das liegt vorrangig daran, dass der Fotograf in die Hocke ging, um die teils entblösste Leiche auf Augenhöhe anzuvisieren und das Gesicht zur Hälfte gut erkennbar ist. Was zum einen sensationalistisch ist, katapultiert uns zum anderen – stärker als weitere von diesem Attentat zirkulierende Aufnahmen – mitten in die Intimität des Terrors. Weit weg von allem Politischen zwingt uns die Fotografie zur Auseinandersetzung mit einem Täter, der ebenso Opfer und nicht zuletzt Mensch war. Durch den Einsatz des Blitzlichts, das die Szene nach dem Eindunkeln ausleuchtet, haftet der Fotografie eine Prise Surrealismus an. Die kleinen Schneehäufchen wirken wie eine Kraterlandschaft. Sie werfen verhältnismässig grosse Schatten in Richtung des Leichnams, der den seinigen wiederum nach hinten auf die Polizisten wirft. Deren Gesichter sind mehrheitlich vom Bildrand abgeschnitten, sie bleiben anonym. Im Umfeld der Männer sind es vielmehr die hellen und glatten Objekte wie Scheinwerfer, Pistolenholster und Lederstiefel, welche die Aufmerksamkeit erregen. Die reflektierenden Oberflächen tragen zur Kälte bei, die in der Luft liegt und von der Teilnahmslosigkeit des schon gesicherten Tatorts noch weiter gesteigert wird.
Titelseite der Nouvelle Revue de Lausanne vom 20. Februar 1969.
Titelseite der «Nouvelle Revue de Lausanne» vom 20. Februar 1969 mit einem Ausschnitt der Fotografie (links oben). Dem reisserischen Deckblatt folgten im Innenteil diverse Berichte zum Attentat. © PLR.Les Libéraux-Radicaux Vaud
Heutzutage dürfte eine sofortige journalistische Publikation dieser Fotografie für medienethische Diskussionen sorgen. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information müsste unter anderem gegen das Recht des Abgebildeten auf Menschenwürde und Totenruhe abgewogen werden. Auch die vorherrschende Sensibilität der Zeitungslesenden wäre zu berücksichtigen. Ob sich die «Nouvelle Revue de Lausanne», welche einen auf den Leichnam fokussierten Ausschnitt des Bildes zwei Tage nach dem Attentat prominent auf ihrer Titelseite veröffentlichte, dazu Überlegungen machte, ist unbekannt. Klar ist: Die entscheidende Referenz für Fragen zur Medienethik, die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten», erschien erstmals 1972 und damit drei Jahre nach dem Attentat von Kloten.
TV-Beitrag über das Attentat am Flughafen Zürich im Februar 1969 in Zürich. SRF

Die Presse­bild­agen­tur ASL

Actualités Suisses Lausanne (ASL) wurde 1954 von Roland Schlaefli gegründet und galt bis zur Schliessung 1999 als wichtigste Westschweizer Pressebildagentur. 1973 übernahm Schlaefli zudem das Archiv der 1937 gegründeten Agentur Presse Diffusion Lausanne (PDL). Die Bestände der beiden Agenturen umfassen ungefähr sechs Millionen Bilder (Negative, Abzüge, Diapositive). Im breiten Themenspektrum lassen sich die Schwerpunkte Bundespolitik, Sport und Westschweiz ausmachen. Den Schritt ins digitale Zeitalter machte die Agentur nicht mehr mit. Seit 2007 befinden sich die Archive von ASL und PDL im Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums. Der Blog präsentiert in einer losen Abfolge Bilder und Bildserien, die bei der Aufarbeitung der Bestände besonders aufgefallen sind.

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