
Der Fotograf der Zaren
Wie der mittlerweile in Vergessenheit geratene Tessiner Fotopionier Giovanni (Ivan) Bianchi (1811–1893) als «König der Interieurs» bei den Aristokraten im russischen Sankt Petersburg ein und aus geht.
Der Urheber der Fotografien ist der Tessiner Giovanni (Ivan) Bianchi. Er wird 1811 in Varese geboren und verlässt im Alter von zehn Jahren sein Heimatdorf Arogno im Tessin, um mit seinem Onkel, einem Professor der Dekorationsmalerei an der Architekturhochschule in Moskau, nach Russland zu reisen. Im Jahr 1839 kehrt der junge Bianchi, damals Student an der Moskauer Hochschule für Malerei und Bildhauerei, Russland den Rücken und reist nach Paris, um seine Kenntnisse zu vertiefen. Dort erfährt er zweifellos von den Studien Daguerres über die «Fixierung von Bildern, die sich im Brennpunkt einer Camera obscura formen».


Sankt Petersburg Fotografien von Giovanni Bianchi. Biblioteca cantonale di Lugano, Fondo Ivan Bianchi
Derselbe Zar hat ihm 1852 bei der Einweihung der «Neuen Eremitage» den prestigeträchtigen Auftrag erteilt, ein Fotoalbum mit Abzügen der in den Sälen des neuen Museums ausgestellten Aquarelle anzufertigen. Durch diese Arbeit öffnen sich ihm die Türen zu den Häusern der einflussreichsten Aristokraten der Hauptstadt. Als «König der Interieurs» geniesst Bianchi das Vertrauen der Adelsfamilien. Er wird sogar damit betraut, die Gemächer von Albert Eduard, Sohn von Königin Viktoria und «Prince of Wales», zu fotografieren.
Im Tessin bleibt Giovanni Bianchi leider unbeachtet. Er stirbt 1893 an Heiligabend im Alter von 82 Jahren in Lugano, ledig und wohlhabend. Seine Aufnahmen verschwinden mit ihm und warten in den Archiven auf ihre Wiederentdeckung Anfang des 21. Jahrhunderts, zuerst in der Schweiz und schliesslich auch in Russland.
Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten
Die Geschichte einer Region oder eines Landes ist die Geschichte der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persönlichkeiten vor, die den Lauf der Schweizer Geschichte geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählungen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», herausgegeben 2016 von Frédéric Rossi und Christophe Vuilleumier im Verlag inFolio.