
Ländlicher Sport oder städtischer Kommerz?
Schwingen verbinden wir gedanklich mit kräftigen Hirten, die sich in idyllischer Berglandschaft einen sauberen Kampf liefern. Doch so einfach ist die Sache nicht. Für die Verbreitung des Sports waren die Städter wichtiger als man meint.

Auf den innerschweizerischen Alpen gab es seit dem ausgehenden Mittelalter Hirtenfeste und Wettkämpfe, an denen wohl auch geschwungen wurde. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch in den mittelalterlichen Städten solche Wettbewerbe stattfanden. So soll 1385 der Stadtwerkmeister von Luzern den Auftrag erhalten haben, einen Festplatz für ein grosses Ring- und Schwingfest herzurichten, worauf dieser eine Wiese am Fusse des Gütsch mit Sägemehl und Gerberlohe habe bestreuen lassen.

Hinwendung zur Natur hilft dem Schwingen



Auch die Erstausgabe der Schwingerzeitung machte deutlich, dass es um Reinheit der Tradition ging: Offensichtlich gab es «spekulatives Wirtshausschwingen», also Wetten, die auf Schwingkämpfe in Wirtshäusern gesetzt wurden, die «bekämpft» werden sollten. Der Leitartikel der Erstausgabe vom 18. August 1907 richtete sich eindeutig gegen moderne Sportarten. Besonders das Radfahren war den Schwingern ein Dorn im Auge: «Unser Volk hat von jeher nationale Spiele, wie das Schwingen und Hurnussen [sic!] geliebt und geübt», und auch von «heimischem Boden» und «kräftigem Erdgeruch» ist die Rede. Das vermeintlich uralte, traditionelle Schwingen wird gegen den «importierten Sport von nicht immer unzweifelhaftem Wert» in Schutz genommen und gegen «bucklige Jammergestalten auf dem Velo» ausgespielt.

War das Schwingen den städtischen Obrigkeiten in der Vormoderne ein Dorn im Auge, so eigneten sich die Städter im 19. Jahrhundert den Sport an und machten ihn konsumfähig. Geprägt von Angstdiskursen vor fremden Einflüssen romantisierten sie die ländliche Idylle und die bäuerliche Lebenswelt: Das Schwingen wurde durch sie zu einem Hort von Natürlichkeit und langer Tradition gemacht und gleichzeitig als vermarktetes Konsumgut attraktiv gestaltet. Eine Verbindung, die bis heute anhält. Im Schwingsport steckt somit mehr Stadt als man denkt.
Rückblick auf das Eidgenössische in Zug, 2019. YouTube / SRF
Swiss Sports History

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.