Harf Zimmermann, aus der Fotoserie «Hufelandstrasse Berlin 1055».
Harf Zimmermann, aus der Fotoserie «Hufelandstrasse Berlin 1055». © Harf Zimmermann, 2016

Plastik­hen­ne und Schneewittchensarg

Mehr als dreissig Jahre nach dem Mauerfall zeigt das Vitra Design Museum deutsch-deutsches Design von 1949-89. Durch die zeitliche Distanz werden Trennendes und Gemeinsames besonders gut sichtbar.

Hibou Pèlerin

Hibou Pèlerin

Seit vielen Jahren fliegt Hibou Pèlerin zu kulturhistorischen Ausstellungen. Für den Blog des Schweizerischen Nationalmuseums greift sich Pèlerin die eine oder andere Perle raus und stellt sie hier vor.

Das Jahr 1989 war in mancherlei Beziehung ein Wendepunkt. Zum Beispiel wurde damals in Weil am Rhein das Vitra Design Museum von Frank Gehry eröffnet. Als Exponent einer atemberaubenden dekonstruktivistischen Architektur sorgte der kalifornische Architekt bald darauf mit dem Guggenheim Museum Bilbao für Furore. Es war eines der ersten «signature buildings», wie man Aufmerksamkeit heischende Kulturbauten seither nennt. Gehrys kühnes Spiel mit freien Volumen steht nicht nur sinnbildlich für die ästhetischen und intellektuellen Kapriolen der Postmoderne, sondern auch für den Abschied vom rationalen, streng funktional geprägten Design der späten Moderne. Gehrys Bau bildet derzeit die Kulisse für ein etwas weniger glamouröses Designprodukt, das aber auf seine Weise auch eine Signatur trägt. Die Rede ist von einem petrolblauen Trabant-PKW. Anders als für Gehrys Architektur war für das aus heutiger Optik geradezu mitleiderregende Gefährt 1989 Schluss: Der Fall der Mauer, der Zusammenbruch der DDR bedeutete auch das Aus für das bescheidene Vehikel. Dabei war der «Trabi», wie schon der Kosename zeigt, jahrelang das schwer erreichbare Objekt der Begierde vieler DDR-Bürgerinnen und Bürger gewesen. Er stand für ein kleines Stück persönlicher Freiheit in einem Staat, der sie durchs Band gängelte.
Werbeprospekt Trabant 601 Universal, 1965.
Werbeprospekt Trabant 601 Universal, 1965. © Faksimile: Trabant Team Freital e.V., Freital, 2020.
Wie um diesen Zusammenprall gegensätzlicher Design-Welten zu verstärken, fahren hinten auf der nahen Landstrasse die heute in den europäischen Speckzonen üblichen Gefährte made in Stuttgart, München, Wolfsburg durch. Schneller, dicker, breiter. Besser kann man auf den Besuch der Ausstellung «Deutsches Design 1949-89 – Zwei Länder, eine Geschichte» kaum eingestimmt werden. Dort wird man übrigens erfahren, dass der Trabant keineswegs so hinterwäldlerisch war, wie er heute wirkt: Seine Karosserie bestand ganz aus einem eigens dafür erfundenen Kunststoff und verdankte sich einem innovativen Spitzgussverfahren. Fast schon ein Vorläufer des heutigen 3D-Drucks von Formteilen.

Von der «Formge­stal­tung» zum «Design»

Die Ausstellung lebt zunächst vor allem von der Gegenüberstellung der zahlreichen, sorgfältig ausgewählten Objekte. Drei Perspektiven kommen dabei zum Zug: Jene der Entwicklung der «Formgestaltung», wie es damals hiess, in den beiden Teilen Deutschlands sowie die der heutigen Museumsgäste. Den älteren Deutschen und auch Schweizern unter ihnen mögen manche der ausgestellten Stücke noch unmittelbar vertraut sein, die heute von den Jüngeren als «Vintage-Design» neu entdeckt werden.
Willy Fleckhaus, edition suhrkamp, 1963.
Willy Fleckhaus, edition suhrkamp, 1963. © Carsten Wolff, Willy Fleckhaus Archiv, c/o Fine German Design, Frankfurt am Main
Denn vor allem das bundesrepublikanische Design hat häufig den Sprung über die Schweizer Grenze geschafft, mit Autos von Porsche bis VW, Haushaltgeräten, Möbeln oder Grafikdesign. Ein legendäres Beispiel für letzteres ist das Erscheinungsbild der Edition Suhrkamp von Willy Fleckhaus. Der Grafiker, der mit der damals trendigen Zeitschrift «Twen» bekannt geworden war, zauberte eifrigen Suhrkamp-Käufern einen Regenbogen aus Buchrücken ins Bücherregal. Auch die Elektrogeräte der Firma Braun, denen Dieter Rams mit seinem geradlinigen Design zu einem besonders modernen Image verhalf, kennt man hierzulande. Sein wegen dem Plexideckel «Schneewittchensarg» genanntes Phonogerät gilt als Ikone des Zeitgeists. Da und dort spielen die Ausstellungsmacher auch mit «(N)ostalgie»-Effekten, wie etwa bei den bunten DDR-Plastik-Eierbechern in Hühnerform oder den Birkenstock-Ökolatschen aus den 70er-Jahren. Beide sind heute Kult.
Dieter Rams und Hans Gugelot, StereoPhonosuper «SK 6» (genannt «Schneewittchensarg»), 1956/60.
Dieter Rams und Hans Gugelot, StereoPhonosuper «SK 6» (genannt «Schneewittchensarg»), 1956/60. © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin

Konsum-Parallel­uni­ver­sen des 20. Jahrhunderts

Durch den konsequenten Rückbezug auf die Zeitgeschichte wird die Gegenüberstellung der beiden Paralleluniversen des 20. Jahrhunderts besonders spannend. Sie unterscheiden sich durch die komplett gegensätzliche Einstellung zum Konsum aufgrund der unterschiedlichen ideologischen Basis. Hier Kapitalismus, dort Sozialismus. Verblüffend sind die Gemeinsamkeiten. Diese treten im Rückblick sogar besonders stark hervor. Namentlich die Standards, die der 1907 gegründete Werkbund sowie später das Bauhaus propagierten, geistern durch die unterschiedlichen Phasen der deutsch-deutschen Nachkriegsmoderne. Sie waren die Vorbilder, an die man vor allem im Westen nach der Nazizeit wieder anzuknüpfen versuchte, um mit Produkten «Made in Germany» das moralisch lädierte Ansehen buchstäblich aufzumöbeln. Die Massstäbe der Moderne wirkten aber auch in der DDR weiter. Sie gehörten zu einer Tradition, an der man sich offiziell rieb und der man «Formalismus» vorwarf, mit der man sich zugleich aber weiterhin auseinandersetzte und die man insgeheim sogar pflegte. So lässt der historische Abstand beide Designwelten als Spielarten eines insgesamt modernistisch geprägten Epochenstils erscheinen. Aus dem Blickwinkel der Generation Smartphone mutet der «Schneewittchensarg» dabei ebenso museal an wie der DDR-Trabi. Beide stammen aus einer Welt von gestern, in der «Design» neben dem Imperativ der Zweckmässigkeit auch noch für nationale, um nicht zu sagen nationalistische Ansprüche instrumentalisiert wurde. Heute dagegen setzen Elektronik-, Sport- oder Luxus-Konzerne mit ausgefeilten Marketingmaschinerien in Windeseile globale Trends durch.  
Installationsansicht «Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte».
Installationsansicht «Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte». © Vitra Design Museum, Foto: Ludger Paffrath © VG Bild-Kunst, Bonn, 2021

Überfluss und Mangel

Schliesslich war auch die traurige Ausgangslage für das deutsch-deutsche Nachkriegsdesign zunächst einmal gleich: immense Zerstörungen und menschliches Leid. Das wird in der Ausstellung mit Filmausschnitten aus damaligen Nachrichtensendungen in Erinnerung gerufen. Vor allem in den von den westlichen Alliierten, von den Vereinigten Staaten, England und Frankreich besetzten Gebieten der späteren Bundesrepublik änderten sich die Bedingungen zügig. Sie profitierten von grosszügiger Wiederaufbauhilfe, dem Marshallplan. Hingegen wehte in der sowjetischen Besatzungszone, aus der die Deutsche Demokratische Republik hervorging, ein rauerer Wind: Die Sowjetunion liess sich für die im Krieg erlittenen Verluste mit Reparationen entschädigen. Dies bedeutete, dass noch vorhandene Industriestrukturen, Fabriken und Anlagen demontiert und gen Osten transportiert wurden. Unterstützung hier – Aderlass dort: diese Asymmetrie sollte sich später noch verschärfen. Nur in puncto Rohstoffe hatte die DDR den Vorteil von Öl-Direktlieferungen aus der UdSSR, was der petrochemischen Industrie und insbesondere der Plastikproduktion Auftrieb gab. Bittere Ironie: In der DDR-Industrie, die ansonsten von Mangel und ideologischen Gängeleien geprägt war, gab es durchaus Design auf der Höhe der Zeit. Leider kam es kaum je bei den eigenen Bürgern an. Ein Beispiel ist der raffinierte Plastik-Gartenklappsitz «Senftenberger Ei» in Pop-Ästhetik. Entworfen worden war es für den Export gen Westen, um zu den dringend benötigten Devisen zu kommen.
Peter Ghyczy, ohne Titel (genannt «Gartenei» und «Senftenberger Ei»), 1968.
Peter Ghyczy, ohne Titel (genannt «Gartenei» und «Senftenberger Ei»), 1968. © Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans

Design einer nationa­len Identität

Von Anfang an erschwerend wirkte für die wirtschaftliche Entwicklung der DDR der Vorwurf der Illegitimität. Der Westen verweigerte ihr die Anerkennung. Wenig überraschend, wurde das Design der nationalen Identität ein privilegierter Austragungsort für den Wettstreit der Systeme im Kalten Krieg. Das belegen gleich zu Beginn der Ausstellung zwei wichtige Bestandteile der nationalen Zugehörigkeit: die Identitätskarte und das Geld. Während die Bundesrepublik für ihren Personalausweis den preussischen Adler übernahm, musste die DDR sich etwas Neues ausdenken. Ährenkranz, Hammer und Zirkel (letztere symbolisierte die Intellektuellen) im Wappen und auf den Münzen standen für die nach sozialistischer Doktrin staatstragenden Stände. Während die D-Mark aus einer relativ schweren Kupfer-Nickel-Legierung bestand, wurde die Ostmark aus dem viel leichteren Aluminium geprägt. Sie fühlte sich entsprechend «billiger» und weniger vertrauenerweckend an. Sparsamster Materialeinsatz, Ersatzstoffe – dieses Thema sollte die «Formgebung» in der DDR auch weiterhin dominieren, wobei die Not nicht selten erfinderisch machte.
Mauerfall in Berlin, 12. November 1989.
Mauerfall in Berlin, 12. November 1989. © Tim Wegner / laif

Gestal­te­rin­nen und Gestalter aus der DDR in neuem Licht

Der abwechslungsreiche und doch kompakte Überblick hält zahlreiche Überraschungen und Entdeckungen parat. Die in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Kunstgewerbemuseum konzipierte Ausstellung schärft dabei insbesondere den Blick für die ideologische Dimension bei der Gestaltung noch der banalsten Alltagsgegenstände. Nicht wenige Objekte aus der DDR würde man auf den ersten Blick dem vermeintlich progressiveren Westen zuordnen, Systemmöbel ebenso wie liebevoll konzipierte therapeutische Spielsachen, erst recht die fast schon italienisch schicken Lampen aus dem (zerstörten) Palast der Republik, der nicht umsonst im Volksmund auch «Erichs Lampenladen» hiess. Mit der Schau werden auch einige herausragende Gestalterpersönlichkeiten aus der DDR gewürdigt, die gewissermassen das Pech hatten, im falschen Land zu leben. Die Ausstellung und der ausgesprochen lesenswerte Katalog sensibilisieren dafür, dass gerade mit Design häufig genug eine Siegergeschichte erzählt wird. Objektive Kriterien treten dabei in den Hintergrund.

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