Heers hatten im Osten von Amerika kein GlĂŒck, also zogen sie weiter in den Westen – mit dem Schiff ĂŒber Panama! Illustration von Marco Heer.

Weiter in den Westen

Der Auswanderer Rudolf Heer fand nach seiner Ankunft 1868 in Amerika keine Arbeit im Osten. Also zog er gemeinsam mit seiner Familie weiter Richtung Westen.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Am 14. August 1868 betrat Familie Heer ihre neue Heimat in New York zum ersten Mal. Die Glarner wurden direkt in die ehemalige Artilleriefestung «Castle Garden» an der SĂŒdspitze Manhattens gebracht. Diese diente den Behörden bis 1890 als Empfangsstation fĂŒr Einreisende. Hier wurden die Reisepapiere geprĂŒft, der Gesundheitszustand kontrolliert und das GepĂ€ck durchsucht. Wobei letzteres nicht so genau gemacht wurde, denn Rudolf Heer konnte einige Zigarren ins Land schmuggeln, wie er seiner Mutter freimĂŒtig schreibt: «Die Doppelböden in den Koffern sind sehr gut mit Cigarren angefĂŒllt, denn die Koffer werden nicht so streng visitiert, und jede Cigarre wo bei Euch in Glarus 5 Centim kostet, kostet in Amerika 10 Cent oder 1/2 Franken.»
In «Castle Garden» wurden die Immigranten geprĂŒft und erfasst. Illustration aus dem Harper's Magazine, 1871.
In «Castle Garden» wurden die Immigranten geprĂŒft und erfasst. Illustration aus dem Harper's Magazine, 1871. Library of Congress
Auch bei den Einreisepapieren nahmen es die Beamten nicht so genau. Hiess Rudolf auf der Passagierliste der «Atalanta» noch Hear, wurde er im Einwanderer-Register wieder mit seinem richtigen Nachnamen Heer erfasst. DafĂŒr verwandelte sich seine Frau Rosine in einen Mann. Tochter Barbara war bereits auf dem Schiff ein Junge und blieb es auch bei der Einreise. Als Zielort hatten die Heers Buffalo angegeben. Dorthin sollten sie jedoch nie reisen. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Einwanderer, die oft kein Wort Englisch sprachen, jeweils abgeschrieben hatten, da auf dem Formular ein Zielort eingetragen werden musste.
Blick in das Einwanderungsregister von Castle Garden.
Blick in das Einwanderungsregister von Castle Garden. Library of Congress
Einige Schreibfehler spĂ€ter konnte Familie Heer das «Castle Garden» verlassen und zog ins nahe gelegene Hotel «GrĂŒtli». Dieses wurde von der Auswanderungsagentur «Zwilchenbart» betrieben, die sich bereits um die Reise der Glarner gekĂŒmmert hatte. Nach nur einer Nacht ging es mit dem Zug weiter Richtung Philadelphia. Dort wohnte seit 1862 David Heer, ein Verwandter der Familie. Rudolf hatte fĂŒr David einen Brief seines Vaters aus Glarus dabei, was den Verdacht erhĂ€rtet, dass Heers gar nie vorhatten, nach Buffalo zu ziehen. Vielmehr rechnete Rudolf wohl mit der Hilfe seines Verwandten: «Da kam David zu uns in unser Logis und sagte zu mir ich solle dableiben, er wolle mir behĂŒlflich sein bis ich Arbeit hĂ€tte.»

Briefe aus der neuen Welt

Rudolf Heer wanderte im 19. Jahrhundert von Glarus nach Amerika aus. Zwischen 1868 und 1872 schickte er insgesamt fĂŒnf Briefe in die alte Heimat. Sie befinden sich heute zusammen mit einigen anderen Dokumenten im Archiv der Familie Heer. Dieser Artikel ist auf der Grundlage dieser Briefe und der Recherchen von Fred Heer, einem Nachkommen der in Glarus geblieben Heers, entstanden.
Doch trotz dieser UnterstĂŒtzung fand sich keine Stelle. Am 25. August traf Rudolf den Glarner Kaspar Jenni, der aus Kalifornien zurĂŒckgekehrt war und fortan gemeinsam mit Heer Arbeit suchte. Ohne Erflog. Bald schon begann Jenni seine RĂŒckkehr nach Philadelphia zu bereuen. «Da kam die Reue ĂŒber Jenni dass er aus Californien heraus sei und er pries dasselbe in allen Beziehungen, sodass ich die folgende Nacht darĂŒber studierte und am morgen sagte ich zu Jenni: Wenn Du willst gehen wir miteinander nach Californien zurĂŒck.» Und so machte sich Familie Heer gemeinsam mit Kaspar Jenni auf nach Kalifornien. Sie entschieden sich fĂŒr den Seeweg ĂŒber New York und Panama. Zwar wĂ€re auch eine Durchquerung ĂŒber Land möglich gewesen, doch die Eisenbahnstrecke endete 1868 noch in Omaha. Es fehlten einige tausend Kilometer bis nach Kalifornien. Die Reise hĂ€tte Monate gedauert und durch eine nur dĂŒnn besiedelte Wildnis gefĂŒhrt.
1868 endete die Eisenbahnlinie nach Westen in Omaha. Erst ein Jahr spĂ€ter war es möglich, mit dem Zug von KĂŒste zu KĂŒste zu reisen.
1868 endete die Eisenbahnlinie nach Westen in Omaha. Erst ein Jahr spĂ€ter war es möglich, mit dem Zug von KĂŒste zu KĂŒste zu reisen. Library of Congress
Die Reise mit dem Schiff war zwar streckenmĂ€ssig doppelt so lang, mit einer ungefĂ€hren Reisezeit von rund einem Monat jedoch vergleichsweise schnell. Familie Heer schiffte sich am 1. September 1868 in New York auf der «Arizona», einem Segeldampfer, ein und brach Richtung SĂŒden auf. Um Geld zu sparen, gab Rudolf Heer die zweijĂ€hrige Maria als SĂ€ugling aus. Am 9. September kam das Schiff in Aspinwall, dem heutigen ColĂłn, in Panama an.
Mit dem Schiff bis Panama und dann weiter mit dem Zug. Die Reise von der Ost- zur WestkĂŒste war 1868 lang und beschwerlich.
Mit dem Schiff bis Panama und dann weiter mit dem Zug. Die Reise nach Kalifornien war 1868 lang und beschwerlich. Illustration Marco Heer
Den Glarnern ging es auf ihrer zweiten Schifffahrt schlecht. Die ErnĂ€hrung auf hoher See war katastrophal und deshalb machte sich Rudolf sofort auf die Suche nach Brot. «Aspenwall ist eine kleine schmutzige Stadt. Bei der ersten HĂ€userreihe sind Trottowars wo die Schwarzen von allen Sorten SĂŒdfrĂŒchte feilbieten und die Vorbeireisenden prellen auf eine schĂ€ndliche Weise wenn sie können. Mein Vermögen bestand nur noch in 3 Papierthaler und nun kaufte ich hier Brod indem wir auf dieser Tour grossen Hunger litten und wir kein Brod erhielten.» Die Mutter von Rudolf Heer, Adressatin der Zeilen, hatte wohl wie viele Menschen dieser Zeit, grosse Vorbehalte gegen Banknoten beziehungsweise Papiergeld und war es gewohnt, in MĂŒnzen zu zahlen. Das erklĂ€rt, wieso ihr Sohn explizit von Papierthalern spricht.
Rudolf Heer schrieb immer an seine Mutter. Sie war seine Kontaktperson in der alten Heimat.
Rudolf Heer schrieb immer an seine Mutter. Sie war seine Kontaktperson in der alten Heimat. Archiv Familie Heer
Einen Tag spĂ€ter ging die Reise mit der Eisenbahn weiter. Der Panamakanal existierte damals noch nicht, die Bauarbeiten dazu begannen erst 1881. So mussten die Einwanderer mit dem Zug von KĂŒste zu KĂŒste fahren. Nach rund drei Stunden in einem mit Menschen vollgestopften Waggon kamen sie in Panama Stadt an und wurden gleich zum Segeldampfer «Constitution» gebracht, welcher sie an ihr Ziel San Francisco bringen sollte. Diese letzte Schiffsreise der Heers war die schlimmste: «Die Reise von Havre nach New Jork war nur eine Lustreise gegenĂŒber dieser, denn von New Jork nach Aspenwall mussten wir grossen Hunger leiden und von Panama nach San Franzisko war es noch schlechter, da hatten wir 10 Tage lang keine ErdĂ€pfel mehr, von Brod keine Rede, nichts als stinkendes Fleisch, geschwefeltes Reis, TĂŒrken (Polenta) und Zwieback und nur dieses, wenn man was kriegen wollte, musste man sich raufen.» Der tĂ€gliche Kampf um das schlechte Essen wurde mit HĂ€nden und FĂŒssen ausgetragen. «Schon eine Stunde bevor das Signal mit einer Glocke gegeben wird stellen sich die Leute auf wie Wölfe welche auf ihre Beute lauern und sobald die Schweinekost aufgestellt wird in grossen BehĂ€ltern so geht es darĂŒber her, alles von Hand, und wenn es noch heisser ist, so fahren sie mit den HĂ€nden darein um etwas zu erwischen.»
Auf dem Schiff war das Essen schlecht. Trotzdem kam es tÀglich zu KÀmpfen darum.
Auf dem Schiff war das Essen schlecht. Trotzdem kam es tÀglich zu KÀmpfen darum. Illustration Marco Heer
Und dann, am 25. September 1868, kam endlich San Francisco in Sicht. Familie Heer aus Glarus war am Ziel ihrer Reise. Hier, im warmen Kalifornien, sollte das neue und bessere Leben von Rudolf beginnen. Noch wusste der Einwanderer nicht viel ĂŒber seine neue Heimat: Â«Ăœber die nĂ€heren VerhĂ€ltnisse in diesem Land kann ich Euch noch nichts schreiben, als dass grosse Löhne ausbezahlt werden, denn da ist ein Dollar wie bei uns ein Franken.» Lesen Sie hier, wie die Ankunft der Heers mit einem Erdbeben begann und wie Rudolf endlich eine Arbeit fand.

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