Transport der Steinböcke in den Nationalpark zur Auswilderung, 1920.
Transport der Steinböcke in den Nationalpark zur Auswilderung, 1920. Archiv Schweizerischer Nationalpark

Steinbö­cke in der Kiste

Ohne den mutigen Einsatz von ein paar Naturfreunden und ohne die Jagdleidenschaft der italienischen Könige würden heute kaum mehr Steinböcke unsere Berge bereichern.

Hans Lozza

Hans Lozza

Hans Lozza ist Leiter der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit beim Schweizerischen Nationalpark.

Zahlreiche Faktoren haben Anfang des 19. Jahr­hunderts zur Ausrottung des Steinbocks in der Schweiz geführt. Die aufkommenden Feuerwaf­fen, ungünstige Witterungsbedingungen und die damit verbundenen Hungersnöte trugen zur intensiven Bejagung des Steinbocks bei. Wäl­der wurden gerodet und die Weideareale für die Nutztiere erreichten immer höhere Lagen. Auch der Aberglaube spielte eine wichtige Rolle. So diente der Steinbock als wandelnde Apotheke. Fast jedem Körperteil wurde eine heilende Wir­kung zugesprochen. Neben Blut, Knochenmark und Milz wurden die Hörner und die Bezoarku­geln (Magensteine) sowie das sogenannte Herz­kreuz verwendet. Dieser verhärtete Knorpel der Herzklappen sollte seinen Träger unverwundbar machen. Obwohl die Drei Bünde 1612 ein strik­tes Jagdverbot für den Steinbock verhängten, war dieser bereits um 1640 in Graubünden aus­gerottet. 1809 fiel im Wallis der letzte Steinbock der Schweiz.
Der Steinbock wurde lange gejagt. Ab 1809 nur noch von Vittorio Emanuele II., König von Sardinien-Piemont, da es in der Schweiz keine Tiere mehr gab.
Der Steinbock wurde lange gejagt. Ab 1809 nur noch von Vittorio Emanuele II., König von Sardinien-Piemont, da es in der Schweiz keine Tiere mehr gab. Swissdox / Schweizer Illustrierte
Im Gebiet des Gran Paradiso, zwischen dem Aost­atal und dem Piemont, überlebten die letzten Alpensteinböcke. 1821 war auch dort ein Jagdver­bot verhängt worden, das zwischenzeitlich aber widerrufen wurde. Vittorio Emanuele II., der König von Sardinien­-Piemont und spätere itali­enische Monarch, sorgte schliesslich höchstper­sönlich dafür, dass rigorose Schutzbestimmun­gen durch ein neu geschaffenes, professionelles Wildhüterkorps durchgesetzt wurden. Diesem gehörten unter anderem auch ehemalige Wilderer an, welche die Schliche ihrer Kollegen bestens kannten. Die Jagd auf den König der Berge sollte fortan nur noch dem König selbst erlaubt sein. So verdankt der Steinbock sein Überleben in den Alpen der königlichen Jagdleidenschaft.
Retter der Schweizer Steinböcke: Vittorio Emanuelle II von Sardinien-Piemont.
Unfreiwilliger Retter der Schweizer Steinböcke: Vittorio Emanuelle II von Sardinien-Piemont. Wikimedia
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Bestrebungen, wieder Steinböcke in den Schweizer Alpen anzusiedeln. Doch die offiziellen Anfragen der Schweiz blieben unbeantwortet. Weder König Umberto I., noch sein Sohn, König Vittorio Emanuele III., zeigten Interesse daran, ihre Steinböcke mit anderen zu teilen. Also mussten die Tiere durch eine List beschafft werden. Per Brief nahm der St. Galler Hotelier und Steinbockfreund Robert Mader Kontakt zu Joseph Berard aus Aymavilles auf. Berard stammte aus einer legendären Wilderer-Dynastie aus dem Aostatal und beantwortete die Anfrage im Juni 1905.
Wilderer Joseph Berard
Robert Mader aus St. Gallen
Zogen im Steinbockschmuggel die Fäden: Wilderer Joseph Berard (links) und Robert Mader aus St. Gallen. Archiv Wildpark Peter und Paul
«Ich habe von Ihnen einen Brief erhalten, nach welchem Sie Käufer von jungen, echten Steinböcken sind. Wenn Sie solche wollen, ist jetzt der richtige Moment. Ich versichere Ihnen, dass die Tiere nicht lange Zeit auf der Reise sind. Sobald Sie von mir ein Telegramm erhalten, kommen Sie zum Treffpunkt Restaurant Darbéley nach Martigny. In kurzer Zeit, so hoffe ich, werden Sie die Kaufbedingungen erhalten. Ich kann nicht zwei Stück auf einmal transportieren, nur ein einziges zum Preis von FR. 800 das Stück.»
Brief von Berard an Mader, Juni 1905.
Brief von Berard an Mader, Juni 1905. Archiv Wildpark Peter und Paul
Bereits am 22. Juni 1906 konnte er eine Kitzgeiss und einen Kitzbock, am 30. Juli eine weitere Kitzgeiss nach Martigny liefern. Die Tiere wurden umgehend in den Wildpark Peter und Paul nach St. Gallen transportiert, wo sie vorerst mit Schoppenflaschen, später mit Bergheu aufgezogen wurden. Von 1906 bis 1933 gelangten so insgesamt 59 geschmuggelte Kitze aus dem Aostatal nach St. Gallen. Sie wurden dort gezüchtet und bildeten den Grundstock für die Wiederbesiedlung der Schweizer Alpen, ab 1920 auch im Gebiet des Schweizerischen Nationalparks. Heute lebt auf dem Gebiet der Schweiz eine Steinbockpopulation von circa 17'000 Tieren.
Aufzucht der ersten Steinbock-Zicklein im Wildpark Peter und Paul.
Aufzucht der ersten Steinbock-Zicklein im Wildpark Peter und Paul. Archiv Wildpark Peter und Paul

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