
Pygmalion forever!
Sie ist ein uralter Männertraum: die künstliche Frau, die zum Liebesobjekt wird und darob zum Leben erwacht. Jahrtausendelang war sie bloss Gegenstand der Mythen und der Literatur, also der Phantasie. Aber das ändert sich jetzt.
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Das Sennentuntschi auf der Kammli-Alp. Ausschnitt aus der Radiosendung «Urmusik der Männerseele», 1994. SRF
Die 15 Bücher der «Metamorphosen» sind das Hauptwerk des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr. – 17 n.Chr.). Sie hatten einen immensen Einfluss auf Dichtung und bildende Kunst von Mittelalter und früher Neuzeit und gehören bis heute zum Kanon der Hochliteratur. Eine der 250 Verwandlungsgeschichten aus der griechischen Mythologie, welche Ovid in seine unsterblichen Verse gegossen hat, ist die Geschichte des Bildhauers Pygmalion, welcher aus Elfenbein eine traumhaft schöne Mädchengestalt formt und sich prompt in seine Kunstfigur verliebt. Er fleht die Liebesgöttin Venus an, ihm eine Frau nach diesem Vorbild zuzuführen – und wie er aus dem Tempel in seine Werkstatt zurückkehrt, findet er die Statue zum Leben erweckt vor:
Wie er daheim, ging jener sogleich zum Bilde des Mägdleins,
Neigte sich über das Bett und küsste sie. Wärme verspürt er.
Wiederum nahte sein Mund; mit der Hand auch prüft er den Busen.
Siehe, das Elfenbein wird weich, und befreit von der Starrheit
Sinkt an den Fingern es ein, fügsam wie Wachs vom Hymettos,
Das, von der Sonne erweicht, sich unter dem knetenden Daumen
Schmiegt in manche Gestalt und brauchbar durch den Gebrauch wird.
Während er staunt und zagend sich freut und Täuschung befürchtet,
Naht er mit liebender Hand der Ersehnten wieder und wieder:
Ja, es ist Leib.
(Übersetzung Reinhart Suchier)
Der Bruch sexueller Normen und Tabus (Zoophilie, Pädophilie, Homosexualität) war auch ein Aspekt der oft extrem isolierten Temporär-Männergesellschaft auf der Alp. So erzählte 1963 der Gewährsmann Donat Maissen aus Cumpadials in der Surselva dem Sagensammler Arnold Büchli eine Sennentuntschi-Sage von der Alp Naustgel: Die Alpknechte «hatten ihre Kurzweil mit der Puppe, machten alle möglichen Dummheiten mit ihr, auch unanständige, wie die Belegschaft auf der Alp vor den Augen der kleinen Hirten, der Buben, oft zu tun pflegt.» Büchlis Kommentar: «Der Erzähler betonte, dass er seine Buben nie auf die Alp habe gehen lassen, weil sie von den älteren Alpknechten oft schlecht behandelt würden und viel ungute Reden zu hören bekämen.»
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In der Radiosendung «Urmusik der Männerseele» von 1994 erinnert sich Hansjörg Schneider an die Uraufführung des «Sennentuntschi» von 1972. SRF
Die Sendung «Kulturplatz» erinnerte 2010 an den handfesten Sennentuntschi-Skandal von 1981. SRF


