
Erste Bundesratswahl — Ehrenmeldung
Am 16. November 1848 erfolgt die Wahl des ersten Bundesrats, ein Unikum in Europa. Macht Eindruck, wie die erste Landesregierung zusammengesetzt wird. Und einen wie Franscini nähme man gern zum Freund.
Revolutionärer Flächenbrand
Sonderfall Schweiz
Von wegen Föderalismus
Zentren. Ränder. Ungeschriebene Gesetze
Und die soziale Herkunft? Der Vater des ersten Bundespräsidenten Jonas Furrer ist Schlosser, Ulrich Ochsenbeins Vater Landwirt, Wirt und Pferdehändler auf der Schwarzenegg in Fahrni, zweieinhalb Wegstunden oberhalb von Thun. Henry Drueys Vater betreibt ein einfaches Wirtshaus, Stefano Franscini wird in eine arme Bauernfamilie geboren. Bei den restlichen drei ersten Bundesräten sieht es anders aus: Josef Munzingers Vater ist wohlhabender Kaufmann, Friedrich Frey-Herosés Vater Chemie-Fabrikant, Wilhelm Matthias Näffs Vater Leinwandhändler. So oder so: keine Fürstensöhne.
Stefano Franscini. Bildungsmärchen eines Bundesrats
Einer für alle, aber nicht alle für einen
Wenn umgekehrt Franscini Unterstützung braucht, ist das anders. 1848 erfolgt seine Wahl in den Bundesrat erst im dritten Wahlgang, mit dem schlechtesten aller Ergebnisse. Auch 1851, nach damals dreijähriger Amtsperiode, schafft er die Wiederwahl nur knapp. 1854 wird zum Desaster. Die Tessiner wählen ihn nicht mehr in den Nationalrat, was zu jener Zeit noch Voraussetzung ist für eine Wahl in den Bundesrat. Kurz vorher hat das restaurative Österreich als Vergeltung für die Aufnahme politisch verfolgter Liberaler im Tessin die Grenze geschlossen, was zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise führt. Franscini, der sich vehement gegen die Politik Österreichs wendet, wird dafür mitverantwortlich gemacht. Zudem fehlen dem Kanton seit 1848 die vorher beträchtlichen Zolleinnahmen, die jetzt an den Bund fallen, ein Hauptgrund dafür, dass die Tessiner die Bundesverfassung ablehnen.
Reiner Zufall, dass die Nationalratswahlen 1854 in Schaffhausen drei Wahlgänge erfordern. Die dortigen Liberalen bieten dem gedemütigten Franscini die Möglichkeit, im dritten Durchgang zu kandidieren. Er schafft die Hürde – braucht in Bern aber erneut drei Wahlgänge für den Verbleib im Bundesrat. Das zehrt an den Kräften, bei angeschlagener Gesundheit erst recht. Ein weiteres Mal will er sich das nicht gefallen lassen. Er entschliesst sich zur Rückkehr ins Tessin, wo ihm die Leitung der kantonalen Druckerei und des Archivs angeboten wird. Unerwartet stirbt er, 1857, noch im Amt.
Dann merken sie’s doch noch
Jahrzehnte später hat sich das Blatt gewendet. Am 13. September 1896 strömt in Faido das Volk zusammen. Der 100. Geburtstag von Franscini wird zur Ehrenrettung, für den Geehrten, vielleicht auch für die Ehrenden.
Liberalismus, der aus der Aufklärung kommt
Storia. In der Amtszeit von Franscini wird der Grundstein gelegt für eine der wertvollsten Leistungen der Schweizer Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert, die Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede [Protokolle der Tagsatzung]. Zeitraum 1245–1798, ein Quellenwerk von 25‘000 Seiten. Vier der acht Bände werden in erzliberaler Zeit vom erzkonservativen Luzerner Philipp Anton von Segesser (1817–1888) herausgegeben.
Istruzione. Speziell: Franscini fördert die Volksbildung mit aller Kraft, misstraut aber dem Wankelmut des Wahlvolks. Persönliche Erfahrungen. Als überzeugter Radikal-Liberaler gibt er der indirekten, repräsentativen, parlamentarischen Demokratie den Vorzug gegenüber der direkten, durch Volksentscheid. Es ist der Staat, dem Franscini eine pädagogische Aufgabe zuschreibt. Der Staat soll die Gesellschaft mittels Reformen zu Prosperität und Zivilisierung führen. Und er selber, Stefano Franscini, ist der Erste Diener dieses Staates.


