Pressekonferenz von Flavio Cotti am 22. Juni 1992 nach seiner Rückkehr aus Brasilien.
Pressekonferenz von Flavio Cotti am 22. Juni 1992 nach seiner Rückkehr aus Brasilien. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Cottis Reise der Hoffnung

Mit grossen Hoffnungen reiste Bundesrat Flavio Cotti 1992 an den Erdgipfel in Rio. Viel «Handfestes» brachte er allerdings nicht zurück.

Dominik Matter

Dominik Matter

Dominik Matter ist Historiker bei der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis).

«Es war das grösste diplomatische Ereignis aller Zeiten», hielt Bundesrat Flavio Cotti pathetisch fest. Er hatte zwei aufwühlende Wochen hinter sich, als er am 22. Juni 1992 in Bern zusammen mit dem Pressesprecher des EDA, Marco Cameroni, vor die Presse trat. Innenminister Cotti, der in Vertretung des wegen seiner Krebserkrankung abwesenden EDA-Vorstehers René Felber, die schweizerische Delegation an der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) angeführt hatte, konnte seine Enttäuschung über die Ergebnisse der Konferenz nicht verbergen. Obwohl er sich selbst nicht zu den «Träumern» im Vorfeld der Konferenz zählte, liess er gegenüber der Presse verlauten, das er sich doch «etwas handfestere Ergebnisse» erhofft hatte. Stattgefunden hatte die UNCED vom 3. bis zum 14. Juni 1992 in der brasilianischen Küstenmetropole Rio de Janeiro. Sie war nach der Konferenz von Stockholm 1972 erst die zweite von den Vereinten Nationen ausgerichtete internationale Grosskonferenz, die sich mit globalen Umweltproblemen befasste. Am «Erdgipfel von Rio», nahmen rekordhohe 10’000 Delegierte aus beinahe 180 Staaten teil. Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs versammelten sich, um über Lösungsansätze für die globalen Umweltprobleme zu verhandeln.
Newsbeitrag über Bundesrat Flavio Cottis Auftritt am Erdgipfel in Rio SRF
Der Beginn der Vorbereitungen der UNCED war ein Beschluss der UNO-Generalversammlung im Dezember 1989. In der Folge bereitete sich die internationale Welt mit zahlreichen Sitzungen auf die Hauptkonferenz von 1992 vor. Die Schweiz hatte sich von Anfang an aktiv an diesen Vorbereitungsarbeiten beteiligt. Gemäss der strategischen Ausrichtung der noch jungen schweizerischen Umweltaussenpolitik setzte sich die Schweiz in erster Linie für die Ausarbeitung einer möglichst griffigen Klimakonvention mit konkreten Reduktionszielen im Emissionsbereich ein. Das schweizerische Engagement zeigte sich vorerst bei der Ausrichtung der zweiten Klimakonferenz im November 1990 in Genf. Bundespräsident Arnold Koller erklärte der anwesenden Weltgemeinschaft in einer bemerkenswerten Rede, die Schweiz werde mithilfe einer CO2-Abgabe die Emissionen bis ins Jahr 2000 auf dem Niveau von 1990 stabilisieren.
Bundespräsident Arnold Koller an der zweiten Weltklimakonferenz 1990 in Genf. Im Vordergrund die Premierministerin Margaret Thatcher.
Bundespräsident Arnold Koller an der zweiten Weltklimakonferenz 1990 in Genf. Im Vordergrund die Premierministerin Margaret Thatcher. Keystone / STR
Dieses Vorhaben konnte aufgrund innenpolitischer Differenzen nie in die Tat umgesetzt werden. Nichtsdestotrotz setzte sich die Schweiz auf internationaler Ebene weiterhin für effektive Massnahmen ein, beispielsweise bei der Deblockierung der Verhandlungen über die Klimarahmenkonvention im Vorfeld der UNCED. Nur dank einer gemeinsamen Initiative von Bundesrat Cotti und dem brasilianischen Bildungsminister José Goldemberg konnte in einem Kompromiss überhaupt eine mehrheitsfähige Konvention ausgearbeitet und an der Konferenz in Rio zur Unterschrift aufgelegt werden. Am 12. Juni 1992 hatte Cotti ebendiese Klimarahmenkonvention für die Schweiz unterzeichnet. Einen Tag später zeigte er sich in seiner Rede an das Plenum der Konferenz enttäuscht von den inhaltlichen Ergebnissen der Konferenz, die ihm zu sehr aus «Absichtserklärungen und generellen Verpflichtungen, die der Konkretisierung und Weiterentwicklung bedürfen», bestanden. Trotzdem stelle «die Konferenz von Rio einen wichtigen Durchbruch auf dem Weg zu einer nachhaltigen und umweltgerechten Entwicklung dar».
Der Erdgipfel von 1992 in Rio war – zumindest bezüglich Teilnahmen – ein grosser Erfolg.
Der Erdgipfel von 1992 in Rio war – zumindest bezüglich Teilnahmen – ein grosser Erfolg. UN Photo/Tom Prendergast
Getreu der Tradition der schweizerischen Aussenpolitik hatte sich die schweizerische Diplomatie bereits kurz nach der Lancierung der UNCED 1989 dafür eingesetzt, dass der internationale Standort Genf im Bereich Umwelt gestärkt wurde. Das Sekretariat für die Vorbereitungsarbeiten der UNCED wurde dank grosszügiger finanzieller Unterstützung durch die Schweiz in Genf angesiedelt, die inhaltlich entscheidende zweite und dritte Runde der Vorbereitungsarbeiten fanden ebenfalls in Genf statt. Eine direkte Folge der Konferenz war die Gründung der Kommission für nachhaltige Entwicklung, welche die Folgearbeiten der UNCED innerhalb des UNO-Systems koordinieren sollte. Die Schweiz versuchte mit einer grossen Kampagne auch das Sekretariat der Kommission nach Genf zu lotsen. Obwohl die Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten sich für Genf aussprach, entschied der UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali in Eigenregie das Sekretariat in New York zu platzieren.
UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, hier mit Bundesrat René Felber 1992, pflegte gute Beziehungen zur Schweiz. Das Sekretariat der Kommission für nachhaltige Entwicklung wollte er aber trotzdem nicht in Genf ansiedeln.
UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, hier mit Bundesrat René Felber 1992, pflegte gute Beziehungen zur Schweiz. Das Sekretariat der Kommission für nachhaltige Entwicklung wollte er aber trotzdem nicht in Genf ansiedeln. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention in Rio war der Beginn der bis heute stattfindenden Vertragsstaatenkonferenzen – kurz COP. Bis zum 12. Dezember 2023 findet in Dubai bereits die 28. COP statt. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Pariser Übereinkommens 2015 soll in den Vereinigten Arabischen Emirate erstmals Bilanz über die eingeleiteten Massnahmen zur Verminderung des Treibhausgas-Ausstosses gezogen werden. Diese wird wohl ernüchternd ausfallen. Die Ergebnisse der letzten beiden COP in Glasgow und in Scharm El-Scheich sowie die bereits viel Platz einnehmende Polemik um die Ernennung des CEO eines der weltweit größten Öl- und Gasunternehmen zum Vorsitzenden der Konferenz in Dubai deuten darauf hin, dass der in Rio gefallene «Startschuss für eine nachhaltige umweltgerechte Entwicklung» mehr und mehr verhallt.

Gemein­sa­me Forschung

Der vorliegende Text ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum und der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Das SNM recherchiert im Archiv der Agentur Actualités Suisses de Lausanne (ASL) Bilder zur schweizerischen Aussenpolitik und Dodis kontextualisiert diese Fotografien anhand des amtlichen Quellenmaterials. Die Akten zum Jahr 1992 wurden am 1. Januar 2023 auf der Internetdatenbank Dodis publiziert. Die im Text zitierten Dokumente und weitere Akten aus dem Band Diplomatische Dokumente der Schweiz 1992 sind online verfügbar.

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