
Margret Hottingerin von Zollikckenn gitt ir antwurt
Anhängerinnen und Anhänger der Täuferbewegung im Raum Zürich wurden während der Zeit der Reformation verfolgt und hingerichtet. Viele herabsetzende Stereotypen verfolgen sie bis heute. Wendet man sich den Quellen zu, entsteht jedoch vor allem das widerständige Bild einer Bewegung, in der auch Frauen eine wichtige Rolle spielten.
Das Täufertum ist aus den Reformationsbewegungen in den 1520er-Jahren entstanden. Gemeinsam ist den verschiedenen Ausrichtungen des Täufertums, dass ihre Vertreterinnen und Vertreter die Taufe von Säuglingen ablehnen und stattdessen die Taufe als freiwillige Bekennung zum Christentum betrachten, weshalb diese im Erwachsenenalter vorzunehmen sei. In der Schweiz ist ein Täuferkreis aus ehemaligen Anhängern und Schülern Ulrich Zwinglis entstanden.
Aus den Verhörprotokollen
Die ersten Zeugnisse von Margret Hottinger stammen aus Verhörprotokollen des Zürcher Rates. Zusammen mit allen wichtigen Täuferinnen und Täufern Zürichs wird sie Ende 1525 verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und verhört. Sie wird vor die Wahl gestellt: Widerruft sie, kommt sie gegen ein Bussgeld wieder frei. Widerruft sie nicht, wird sie bei Wasser und Brot in den Wellenbergturm geworfen. Andere prominente Täufer wie Martin Linck oder Michael Sattler geben nach. Margret Hottingerin von Zollikckenn – so lesen wir in den Quellen – gitt ir antwurt. Und die klingt in neuem Deutsch etwa so: «Wer genau mich zur Taufe gebracht hat, kann ich nicht sagen. Conrad Grebel und Felix Manz sind nach Zollikon gekommen und haben aus der Bibel gelesen. Bevor Jörg Blaurock gekommen ist, hat sich noch niemand taufen lassen. Er war der erste. So habe auch ich mich taufen lassen. Von irgendwelchen Verschwörungen und Machenschaften aber weiss ich nichts.»
Margret Hottinger bleibt standhaft. Den Winter über wird das Verhör fortgesetzt. Im nächsten Protokoll lesen wir:
Wenn Sie mir beweisen können, dass die Kindertaufe rechtmässig ist, dann widerrufe ich. Sonst nicht.
Zwei Tage darauf zieht der Zürcher Rat die Schrauben an und erlässt ein neues Urteil: «Die Wiedertäufer (…) sollen gemeinsam in den Neuen Turm gelegt und ihnen nichts anderes als Wasser und Brot zu essen gegeben werden und als Lager Stroh. Der Knecht, der sie beaufsichtigt, darf bei seinem geschworenen Eid niemand weder zu noch von ihnen weg gehen lassen. So sollen sie im Turm sterben und verfaulen, ausser es wolle einer von seiner Meinung und seinem Irrtum abstehen und gehorsam sein.»
Fast zwei weitere Monate hält Margret Hottinger mit anderen Täuferinnen und Täufern dem Druck stand, schliesslich aber gibt sie nach, widerruft, und kommt frei. Dies freilich ohne von ihrem Glauben zu lassen. Mit ihrem Bruder Jakob Hottinger zieht Margret Hottinger sogleich weiter in die Ostschweiz, Winbrat Fanwiler begleitet sie.
Frauenkund aus Männermund
In seiner Chronik zu St. Gallen bescheinigt Johannes Kessler Margret Hottinger zwar, dass sie von «sehr sittsamem Wandel» sei und von den Wiedertäufern geliebt und hochgeachtet werde. Bereits im nächsten Satz jedoch ist es vorbei mit der Liebenswürdigkeit. Denn Margret Hottinger, schreibt Kessler, habe in St. Gallen laut verkündet: «Ich bin Gott!» Des Weiteren habe sie die Sünden anderer vergeben und gesprochen: «Wer betet, der sündigt.» Dazu habe sie unverständliche Dinge geäussert in einer Zunge, als würde diese von Gott geführt.
In Kesslers Chronik folgen mehrere Seiten, die ausschliesslich den Taten und Worten von Frauen gewidmet sind. Auch Margret Hottingers Zellengenossin Winbrat Fanwiler tritt auf, nur dass sie sich plötzlich den Namen Martha gegeben hat. Von einer Verena Burmerin heisst es, dass sie Schaum vor dem Mund habe, dass sie mit grausamer Stimme spreche, zittere, und öffentlich verkünde: «Ich muss den Antichrist gebären!» Dazu tritt eine gewisse Barbara Mürglen. Sie schreit: «Weh, oh weh!» und fällt um. Dann steht sie wieder auf, ruft: «Was haben wir getan, was haben wir nur getan!» Ihr Gesicht glüht. Sie schwitzt dermassen, dass man ihr den Gürtel auftun und alle Kleider abnehmen muss, bis sie schliesslich nackt daliegt.
In einer weiteren Szene aus der Chronik sitzen Barbara Mürglen und Verena Burmerin nackt vor einer Gruppe Männer und predigen. Von Johannes Kessler erfahren wir, dass einer dieser Männer auf ihre Scham geblickt und sich in Gedanken gewünscht habe, sie möge diese bedecken. Verena Burmerin aber sei es gelungen, seine Gedanken zu erkennen. Also sei sie zu ihm gegangen und habe ihn bestraft.
«Da sehen wir, was überwältigt werden heisst»
Zwingli berichtet weiter, wie ihm zu Ohren gekommen sei, dass sich in der Nähe von Appenzell fünf Täufer homosexueller Handlungen schuldig gemacht und deswegen verbrannt worden seien. Er schliesst seine Schilderung mit den Worten: «Da sehen wir, was überwältigt werden heisst!»
Wie folgenreich diese herabsetzenden Bilder und Stereotypisierungen der Schweizer Täuferinnen war, sehen wir spurenweise noch im jüngst entstandenen Zwinglifilm. In aller Deutlichkeit tritt sie uns entgegen in Gottfried Kellers Täufer-Novelle Ursula. Auf der einen Seite kommt man nicht umhin, von staatstragendem Zwinglikitsch zu sprechen, etwa, wenn von Ulrich Zwinglis «anmutig hellem toggenburgischen Dialekt» und seiner «beweglichen Sprache» die Rede ist. Was aber passiert, wenn die Täuferin Ursula den Mund auftut? Ein «sinnliches Feuer» beginnt in den Augen der Frau zu leuchten, ein Feuer, das zugleich die «Flamme des Irrlichts» ist. Ihre Worte aber? Sie bleiben gänzlich unverständlich.
Von den Quellen beeinflusst: Die Verfilmung von Gottfried Kellers Roman Ursula – eine Koproduktion des DDR- und Schweizer Fernsehens von 1978 – rief unter anderem aufgrund der Darstellung von sexueller Freizügigkeit einen Skandal in beiden Ländern hervor. YouTube / ARD Video
Es ist daher an der Zeit, vermehrt herauszustellen und wahrzunehmen, wie Margret Hottinger – und viele andere Täuferinnen – ihre Antwort gegeben haben. Die skandalisierenden Quellen verstellen uns dabei nur zu leicht den Blick darauf, dass während der frühen Zürcher Taufbewegung hierarchisch wenig etablierte Menschen zeitweise sehr erfolgreich in Wort und Tat ihre Handlungsspielräume erweitert haben.


