Druckgrafik der Kreuzigung von Margaretha Peter.
Druckgrafik der Kreuzigung von Margaretha Peter. e-rara

Viel Blut fliesst in Gottes Namen

Im religiösen Wahn tötete eine Gruppe von Gläubigen 1823 zwei Frauen. Die Bluttat von Wildensbuch schockiert bis heute.

Katrin Brunner

Katrin Brunner

Katrin Brunner ist selbstständige Journalistin mit Schwerpunkt Geschichte und Chronistin von Niederweningen.

Familie Peter galt als sonderbar. Sie bestand aus Bauer Johannes, seit 1806 alleinerziehender Vater, mit seinen fünf Töchtern Elisabetha, Margaretha, Susanna, Barbara und Magdalena und einem Sohn. Das Familienoberhaupt wird als ordentlich und fleissig, aber auch als streitsüchtig, unehrlich und sehr abergläubisch beschrieben. Durch seine Angst vor dem Teufel wurde er zum religiösen Fanatiker und trat den «Erweckten» bei. Dies war eine christlich fundamentale Gruppierung, die ihre Legitimation durch persönlich erfahrene göttliche Erlebnisse begründete. Der Glaube an Gott bestimmte also das Leben von Familie Peter, ihrer Bediensteten und den wenigen Freunden. Die jüngste Tochter Margaretha war eine begeisterte Religionsschülerin. Lebhaft und klug wusste sie schon bald, die Leute für sich einzunehmen. Und nicht nur das. Früh schon machte die junge Frau mit Visionen auf sich aufmerksam. Von weit her pilgerten Gläubige zu ihr nach Wildensbuch (ZH). «Heilige Gret» und «göttliches Wesen» wurde sie genannt. Der Kontakt zur Erwecker-Gemeinde wurde enger.
Einige der Hauptpersonen, dargestellt auf einer zeitgenössischen Druckgrafik.
Einige der Hauptpersonen, dargestellt auf einer zeitgenössischen Druckgrafik. e-rara
Die charismatische Margaretha scharte eine immer grösser werdende Gruppe von begeisterten Gläubigen um sich. Darunter auch der verheiratete Jacob Morf aus Illnau (ZH). Zur Schwermut neigend, fand er in der Gemeinschaft um Margaretha Peter ein geistiges Zuhause. Und eine Liebhaberin. Margaretha und ihre Schwester Elisabetha lebten trotz immerwährenden Streitereien mit Morfs Ehefrau für eine längere Zeit in Illnau. Dort verbrachten sie den Tag mit Beten und «Faulenzen». Und dann wurde Margaretha von Jacob Morf schwanger und gebar 1822 ein Mädchen. Man kann sich vorstellen, wie Morfs Ehefrau reagierte. Trotzdem übernahm Letztere die Pflege des Kindes und gab es sogar als ihr eigenes aus. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Peter-Schwestern sofort abreisten. Damit war beiden Seiten gedient, denn Margaretha hatte kein Interesse, Mutter zu sein und kehrte gemeinsam mit ihrer Schwester nach Wildensbuch zurück. Das Mädchen wurden kurze Zeit später als ehelich gezeugtes Kind der Familie Morf getauft.

Die «Erschla­gung» des Teufels

In Wildensbuch kam es 1823 zu einer unfassbaren Tragödie. Am 12. März verkündete Margaretha ihrer Familie, den beiden Bediensteten Heinrich Ernst von Feldi und Margaretha Jäggli und einigen anwesenden Gästen, dass sie einen göttlichen Auftrag erhalten habe: Sie alle müssten gemeinsam gegen den Teufel kämpfen. «Du Schelm» und «du Seelenmörder» rufend, begann Margaretha mit den Fäusten an die Wände zu klopfen. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, forderte sie die Anwesenden auf, gemeinsam in ihre Kammer zu gehen. Dort forderte die junge Frau ihre Gefolgschaft auf, sich auf den Boden zu werfen oder sich hinzuknien und mit ihr zu beten. Abends wurden alle Fenster mit Tüchern abgedeckt und Holzblöcke, Keile und Hämmer in die Kammer gebracht. Sinnbildlich für die Erschlagung des Teufels wurde nun ausdauernd auf die Holzstücke eingedroschen. Erstaunlich ist, dass sich die Akteure zwischen Gebet und Teufelsbekämpfung Zeit nahmen, um gemeinsam zu Abend zu essen.
Das Haus der Familie Peter in Wildensbuch, Druckgrafik, 1823.
Das Haus der Familie Peter in Wildensbuch, Druckgrafik, 1823. e-rara
Der Lärm blieb im Dorf nicht unbemerkt. Auf das Zurufen und Klopfen der Nachbarn hin, antwortete jedoch niemand im Haus und die Tür blieb verschlossen. Im Innern eskalierte das Ritual jedoch immer mehr. Magd Margaretha Jäggli, die bereits früher Anfälle von Besessenheit gezeigt hatte, nahm die Sache so mit, dass sie pausenlos vom Teufel in ihrem Kopf sprach. Die «heilige Gret» rief derweil zum letzten Kampf gegen den Gehörnten auf. Hilfe versprach sie sich dadurch, dass ihre Anhänger alles kurz und klein schlugen. Längst wurden nicht mehr nur Holzblöcke traktiert, Wände und Fussboden wurden ebenso mit wuchtigen Schlägen und Tritten eingedeckt und dabei zerstört. Margaretha Peter ging jedoch noch weiter und betonte, dass grosse Opfer erwartet wurden.  «Wer sein Leben in Christi verliert, wird es gewinnen. Wer es behalten will, wird es verlieren», erklärte die junge Frau. Vor dem Haus versammelte sich inzwischen eine grosse Anzahl Schaulustiger. Sie blieben jedoch untätig. Erst gegen Abend kam ein Landjäger vorbei und verlangte Einlass. Er wurde mit dem Hinweis auf das Hausrecht abgewiesen. Daraufhin machte er Meldung. Eine Gruppe von Landjägern, die zusammen mit dem Oberamtsmann eintrafen, fanden ein ruhiges Haus vor und entschieden vorerst nichts zu unternehmen.

«Massen­schlä­ge­rei» im Haus der Familie Peter

Nachdem es einige Zeit ruhig im Haus gewesen war, versammelten sich die Fanatiker wieder in der Stube. Dort begann Margaretha ihre Schwester Elisabetha zu ohrfeigen, um den bösen Geist aus ihr heraus zu prügeln. Margaretha Jäggli wollte auch geschlagen werden, was die Anführerin jedoch ablehnte und ihr stattdessen den Auftrag gab, sich selber zu schlagen. Ihren Vater schlug die Heilige Gret jedoch ebenfalls und zwar heftig. Den Anwesenden, die durch die Fenster einen Blick erhaschen konnten, bot sich eine eigentümliche Szene. Jeder schlug jeden. Schlussendlich öffneten die Landjäger nebst der Haustür auch die Stubentür gewaltsam. Die Gruppe wurde getrennt. Die anschliessenden Verhöre brachten nichts. Entweder hörten die Beamten fanatisches Geschwurbel oder Ausflüchte. Dem Vater – Johannes Peter, einem der grössten religiösen Eiferer – wurde aufgetragen, dafür zu sorgen, dass das Geschrei nun aufhöre. Ihrem ersten Impuls, Elisabetha und Margaretha in eine Anstalt einzuweisen, folgen die Landjäger jedoch nicht. Ein Fehler wie sich schon bald herausstellen sollte.
Illustration des Wahnsinns, welcher sich im Haus der Familie Peter abgespielt hatte.
Illustration des Wahnsinns, welcher sich im Haus der Familie Peter abgespielt hatte. e-rara

«Blut muss fliessen»

Am 15. März 1823 erklärte Margaretha, «es müsse Blut fliessen». Sie liess nach ihrer Schwester Magdalena, ihrem Schwager Johannes Moser und dessen Bruder Conrad schicken. Als die Gruppe zusammen war, ging der Wahnsinn weiter. Auf das fanatische Geheiss ihrer Anführerin erschlugen die Anwesenden die ihr hörige und um neun Jahre ältere Schwester Elisabetha mit einem Holz- und Eisenhammer. Während der ganzen Zeit verletzten sich die Anwesenden aber auch gegenseitig, ganz im Glauben, Gutes zu tun. Auch Margaretha schlug sich selbst mit einem Metallgegenstand und forderte ihre Freundin Ursula Kündig auf, sie ebenfalls blutig zu schlagen. Schlussendlich bestand Margaretha Peter darauf, sich kreuzigen zu lassen, fest im Glauben, dass sie nach drei Tagen wieder auferstehen werde. Ihrem Wunsch wurde entsprochen und sie wurde auf ein Holzbrett genagelt. Conrad Moser erschlug die Heilige Gret schlussendlich mit einem Stemmeisen. Gemäss dem Obduktionsbericht vom 22. März 1823 war sie zu dieser Zeit wieder schwanger. Nach drei Tagen war immer noch keine der beiden Schwestern wiederauferstanden. Nun erst machte der Vater beim zuständigen Pfarrer Meldung, dass zwei seiner Kinder gestorben seien. Die Überlebenden des Dramas wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, das Haus der Familie Peter abgerissen. Das Gericht hatte entschieden, dass «an seiner Stelle nie mehr eine menschliche Wohnstätte erstellt werden sollte».

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