Badische Revolutionäre auf der Flucht. Gemalt von Friedrich Kaiser um 1850.
Badische Revolutionäre auf der Flucht. Gemalt von Friedrich Kaiser um 1850. Wikimedia

Badischer Rückzug in die Schweiz

1849 brach eine Revolution im Grossherzogtum Baden zusammen. Die Kämpfe nahe der Grenze sorgten in der Schweiz für Unruhe und führten schliesslich zu einer Flüchtlingswelle.

Jürg Burlet

Jürg Burlet

Jürg Burlet ist Historiker und Spezialist für Militärgeschichte.

Nach dem fast einen Monat dauernden Sonderbundskrieg vom November 1847 bemühte man sich, die Wunden des Bruderkonflikts verheilen zu lassen und arbeitete mit Hochdruck an der neuen Bundesverfassung, die dann am 12. September 1848 angenommen wurde. Entlang der Nordgrenze war jedoch schon seit dem März 1848 eine Bauernerhebung im Gange, welche sich in der Folge auch auf andere Staaten des deutschen Bundes ausdehnte. In ganz Mittel- und Südeuropa gärte es und es kam an diversen Orten zu Revolutionen. So auch im nahen angrenzenden Grossherzogtum Baden, wo mit verschiedenen Aufständen versucht wurde, die Ziele der Märzrevolution durchzusetzen. Insbesondere der «Heckeraufstand» im April 1848, benannt nach Friedrich Hecker (1811–1881), und der «Struve-Putsch» im September, benannt nach Gustav Struve (1805–1870) sind da zu erwähnen. In deren Folge kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Grossherzogtum, die dann im Badischen Militäraufstand vom 9. Mai bis zum 23. Juli 1849 gipfelten.
Druckgrafik von Revolutionär Friedrich Hecker, 1848.
Druckgrafik von Revolutionär Friedrich Hecker, 1848. Wikimedia
Den badischen Revolutionären war jedoch kein Glück beschieden. Zum einen konnten sie für ihre Ideen nicht, wie erhofft, genügend Anhänger erreichen. Zum anderen fehlte es den an verschiedenen Orten agierenden Teilen der Revolutionsarmee an militärischer Ausbildung und an einer gemeinsamen militärischen Strategie im Kampf gegen die Reichstruppen.

Tritt die Schweiz in den Krieg ein?

Die verschiedenen Abteilungen der über das Grossherzogtum verteilten Revolutionsarmee wurden durch die Reichstruppen unter Führung Preussens, nach verlorenen Gefechten, immer mehr nach Süden gedrängt. In der teilweise aussichtslosen Situation zogen verschiedene badische Heerführer die Flucht in die Schweiz in Betracht. Diese erfolgte dann vom 8. bis 12. Juli 1849 an verschiedenen Stellen auch. Bereits zuvor waren einige Mitglieder der badischen Revolutionsregierung in die Schweiz geflohen. Interessant ist auch, dass in diesen Kreisen teilweise die Hoffnung bestand, dass bei Grenzverletzungen der Reichstruppen, die Schweiz zum Kriegseintritt animiert werden könnte. So schrieb Friedrich Engels, der als Adjutant von August Willich in dessen Freikorps diente, in einer Schrift zur Reichsverfassungskampagne: «Hier, die Flanken an Schweizer Gebiet gelehnt, konnten wir mit unsrer bedeutenden Artillerie noch ein letztes Gefecht versuchen. Man konnte es sogar abwarten, ob nicht die Preussen das Schweizer Gebiet verletzen und dadurch die Schweiz in den Krieg hineinziehen würden». Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nicht. Andere Truppenführer boten der schweizerischen Regierung an, mit den Waffen in die Schweiz überzutreten und der Schweiz bei einer möglichen Intervention Preussens im Zusammenhang mit dem Fürstentum Neuenburg beizustehen, was aber von der Schweiz aus Neutralitätsgründen strikt abgelehnt wurde.

Gegen 10'000 Flüchtlinge

Der Übertritt begann schon am 2. Juli, als ein polnisches Freikorps mit 140 Mann bei Basel-Kleinhüningen die Grenzen überschritt. Zusammen mit Ludwik Mierosławski, der 1849 als Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee bei der Verteidigung einer badischen Republik agierte, kamen Kämpfer aus Polen, die vorher beim Polnischen Aufstand im Grossherzogtum Posen von 1848 für mehr Freiheit kämpften. Weitere 280 Mann einer deutsch-polnischen Legion folgten am 6. Juli am gleichen Grenzübergang. In Riehen (BS) kamen am gleichen Tag 250 Hanauer Turner (Turnvereine waren massgeblich am Kampf für Freiheit und Demokratie beteiligt, vornehmlich im Süden und Südwesten Deutschlands so auch die Turner aus Hanau) und 120 Mann des pfälzischen Freikorps von Ludwig Blenker mit drei Geschützen an. Am 7. Juli überschritten weitere 200 Mann des pfälzischen Freikorps Blenker bei Rheinfelden (AG) die Grenze und tags darauf ebenda nochmals 1400 Mann des gleichen Korps mit 13 Geschützen.
Druckgrafik der Rheingrenze bei Kleinhüningen, um 1800.
Druckgrafik der Rheingrenze bei Kleinhüningen, um 1800. Schweizerisches Nationalmuseum
In aargauischen Stein (bei Säckingen) überschritten am 9. Juli unter der Führung von August Mersey 600 Mann mit sechs Geschützen den Rhein. In Eglisau (ZH) trafen am 11. Juli Franz Sigel mit 1400 Mann der badischen Armee mit 500 Pferden und 28 Geschützen ein. Gleichentags kamen in Rheinau (ZH) 2000 Mann der Volkswehr und zahlreiche Freischärler mit sechs Geschützen an. Ebenfalls am 11. Juli traten in Kreuzlingen (TG) 1500 Mann mit 9 Geschützen in die Schweiz über und am folgenden Tag nochmals 700 Mann der Freischar von August Willich in Eglisau. Zudem sind vom 5. bis 12. Juli an verschiedenen Orten in der Gegend von Waldshut weitere 600 Mann ungeordnet in die Schweiz geflüchtet. Man vermutet, dass im Juli 1849 insgesamt etwa 9200 badischen Flüchtlinge, in die Schweiz übertraten und etwa 600 Pferde und die stattliche Zahl von 63 Geschützen mitbrachten.

Wie reagierte die Schweiz?

Bereits beim Beginn der Kampfhandlungen in Nordbaden hatte man im Stadtkanton Basel erste Massnahmen zur Grenzsicherung vorgenommen. Nach den verlorenen Gefechten der Revolutionsarmee war es absehbar, dass es zu Fluchtbewegungen Richtung Schweiz kommen könnte. Am 21. Juni 1849 ernannte der Bundesrat den Aargauer Johann Ulrich Hanauer zum eidgenössischen Kommissär für die Nordgrenze und ersetzte diesen bereits am 11. Juli durch den Basler Architekten und Politiker Johann Jakob Stehlin. Als militärischen Kommandanten für die beiden aufgebotenen Brigaden wurde der bewährte Divisionskommandant der Tagsatzungstruppen aus dem Sonderbundkrieg, Dominik Gmür aus Schänis (SG), ernannt. Für den westlichen Abschnitt von Basel bis Koblenz war der Berner Oberst Christoph Albert Kurz zuständig und für den östlichen Abschnitt von Koblenz bis Schaffhausen Oberst Franz Müller.
Oberst Dominik von Gmür auf einer Zeichnung von Julius Sulzer, 19. Jahrhundert.
Oberst Dominik von Gmür auf einer Zeichnung von Julius Sulzer, 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
Weil die Aufstellung der Brigaden schrittweise erfolgte, waren, wie bereits bei früheren (und dann auch bei späteren) Grenzbesetzungen, viel zu wenig Kräfte für eine effiziente Grenzsicherung vorhanden. Erst nach dem Übertritt der letzten Revolutionstruppen in die Schweiz wurde das Truppenaufgebot an der Nordgrenze, mit Datum vom 24. Juli 1849, auf 28’000 Mann erhöht. Man befürchtete, dass Preussen einen Grenzzwischenfall als Vorwand nutzen könnte, um in die Schweiz einzumarschieren, beispielsweise um seine Ansprüche auf das Fürstentum Neuenburg durchzusetzen. Einen solcher Grenzzwischenfall gab es dann auch tatsächlich, als ein badisches Dampfschiff mit hessischen Soldaten nach Büsingen fuhr, eine Grenzverletzung, die als Büsinger-Handel in die Geschichte einging. Ein grösserer Konflikt wollten jedoch beide Seiten nicht riskieren und so kam es zu keiner grösseren kriegerischen Auseinandersetzung.

Was geschah mit den Revolutionären?

Obwohl das Heimatland, das Grossherzogtum Baden, bis 1851 von den Preussen besetzt blieb, kehrten einige Soldaten zurück. Die führenden Köpfe und einige weitere zogen es allerdings vor, Baden und die anderen deutschen Länder zu meiden. Sie versuchten ihr Glück vor allem in Nordamerika, wo sie zum Teil dann noch Karriere machten. Friedrich Hecker kämpfte beispielsweise als Offizier zwischen 1861 und 1864 mehrmals im amerikanischen Bürgerkrieg, wurde 1861 Oberst (im 24. Illinois Freiwilligen Infanterie-Regiment) und 1862 Kommandeur des 82. Illinois Freiwilligen Infanterie-Regiments. Nach dem Krieg kehrte Hecker nach Illinois zurück und bekam 1868 durch das Humboldt Medical College in St. Louis die Ehrendoktorwürde. Der spätere Basler Bundesrat Emil Frey kämpfte übrigens im Regiment von Hecker in Nordamerika.
Porträt von Friedrich Hecker, 19. Jahrhundert.
Friedrich Hecker machte im amerikanischen Bürgerkrieg Karriere. Internet Archive
Emil Frey in der Uniform des 82. Illinois Infanterieregiments, 1862.
In Heckers Regiment diente auch der Basler Emil Frey. Wikimedia
Gustav Struve nahm nach dem Wahlsieg Lincolns auf Seiten der Union am Sezessionskrieg teil, zuerst als Soldaten beim 8. New Yorker Freiwilligen Infanterieregiment, später als Hauptmann der Unions-Armee, bevor er 1863 nach Europa zurückkehrte. Insgesamt sollen 80’000 Badener (5 Prozent der Bevölkerung) nach Amerika ausgewandert sein. Allerdings nicht nur wegen der Revolution, sondern auch aus wirtschaftlicher Not heraus. Diejenigen, welche sich aktiv an der Revolution beteiligt hatten, wurden zu harten Strafen verurteilt, sofern sie nicht schon vorher standrechtlich erschossen worden waren. Es ergingen 31 Todesurteile, 27 davon wurden vollzogen, vier zu Zuchthausstrafen umgewandelt. Daneben gab es viele lange Haftstrafen in preussischen Gefängnissen sowie hohe Bussen. Bis zu einer allgemeinen Begnadigung am 7. August 1862 erfolgten durch drei Gnadenakten des Grossherzogs Karl Leopold I. Friedrich von Baden (1790–1852) Amnestien für die Inhaftierten.

Was ist geblieben?

Von den tausenden badischen Soldaten, die sich in die Schweiz retteten, emigrierten einige über Frankreich nach England und nach Übersee. Einige kehrten nach der Amnestierung zurück nach Deutschland, andere blieben in der Schweiz und beantragten Asyl. Insbesondere jene, die wegen ihrer politischen Tätigkeit in den Parlamenten wegen Hochverrats in Abwesenheit zu hohen Strafen verurteilt wurden. In der Regel waren es akademisch gebildete Leute, Professoren und Literaten, die sich dauerhaft hier niederlassen konnten und es zum Teil noch zu Ehrendoktorwürden brachten oder Ehrenbürger wurden (Bruno Hildebrand, Armand Goegg, Georg Herwegh oder Heinrich Simon). Die in die Schweiz geflüchteten Revolutionäre brachten nicht nur ihre Flinten und Kanonen mit, sondern auch ihre Banner und Bataillonsfahnen. Davon sind noch einige vorhanden und befinden sich in den Sammlungen hiesiger Museen. Beispielsweise die Lahrer Revolutionsfahne im Schweizerischen Nationalmuseum. Oder die Fahne der Bataillone von Kaiserslautern und Speyer im Historischen Museum Basel.
Revolutionsfahne von Lahr, 1849.
Revolutionsfahne von Lahr, 1849. Schweizerisches Nationalmuseum

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