Badge der Spitzensport-Rekrutenschule
Badge der Spitzensport-Rekrutenschule VBS/DDPS / Alex Kühni

Die Armee und der Spitzensport

Seit 20 Jahren fördert die Schweizer Armee gezielt sportliche Nachwuchstalente. Trotz anfänglichem Widerstand hat das Programm zahlreiche Erfolge hervorgebracht, darunter Olympiamedaillen und Weltcup-Siege.

Chiara Zgraggen

Chiara Zgraggen

Chiara Zgraggen ist Journalistin und Geschichtsstudentin an der Universität Luzern und arbeitet als Forschungsmitarbeiterin bei Swiss Sports History und beim Urner Institut Kulturen der Alpen.

Im Jahr 2004 ernennt der Walliser Bote Roger Federer nach dessen Sieg über Carlos Ferrero zum «König der Tennisspieler». Ähnliche Lobeshymnen werden auch anderen Sportlern zuteil, etwa wenn ein «Doktortitel für [Marco] Odermatt» gefordert oder Vreni Schneider 1994 als «La plus grande dame du ski» bezeichnet wird. Die Beispiele zeigen: Die Schweizer Presse war und ist stolz auf «ihre» Sport-Asse. Doch das Bild der Schweizer Sportlegenden scheint nicht immer so strahlend. Im Januar 1998 klagt das Schweizer Fernsehen, es sei noch nicht lange her, da hätten die Schweizer Skisportlerinnen und Sportler ihrem Land noch Freude bereitet, doch seit dem Rücktritt von Franz Heinzer (1994) würden nur noch die Österreicher dominieren. Im gleichen Beitrag tritt Bundesrat Adolf Ogi auf mit dem Ziel, der Sportnation Schweiz wieder auf die Beine zu helfen. Die Vision kommentiert 10 vor 10-Moderatorin Ursula Hürzeler mit «Ogi träumt von Staatssportlern.» Der neue «Sportminister» Ogi – das Militärdepartement wurde kurz zuvor in Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport umbenannt – will sich nicht konkret auf Pläne festlegen, sagt aber, dass eine breit aufgestellte Förderung Bedingung sei, um beim Spitzensport vorne mitspielen zu können – und zwar «ohne Wenn und Aber». Dafür brauche es neue Wege, weshalb er beim Chef Heer eine Analyse der Möglichkeiten für Beschäftigung der Spitzensportler in der Armee in Auftrag gegeben habe. Es ist der Beginn der militärischen Spitzenförderung, wie wir sie heute kennen – obschon sich die Sportförderung bis in die 1970er allmählich vom Militär löste. Eine Remilitarisierung des Sports?
10 vor 10-Beitrag vom 20. Januar 1998. SRF

Links und Rechts wollen keine «Staats­sport­ler»

Dass Ogi grössere, wenn auch noch nicht konkrete Brücken zwischen Armee und Spitzensport schlagen möchte, stösst auf Widerstand – auch aus den eigenen Reihen. Für Werner Vetterli, zu diesem Zeitpunkt Zürcher SVP-Nationalrat und in den 1950er-Jahren einer der erfolgreichsten Modernen Fünfkämpfer in der Schweiz, sind potenzielle Berufssportler mit Anstellung beim Staat ein absolutes No-Go. Auch von Links kommt Kritik: Der Berner SP-Nationalrat Alexander Tschäppät empört sich über mögliche Sportförderprogramme, denn Ogi wolle diese lediglich aus Prestigegründen lancieren. Zudem würden weder er noch die breite Gesellschaft ein solches Projekt goutieren. Noch dazu in der momentanen Wirtschaftslage, wo tausende Leute beim Bund entlassen werden mussten. Es scheint, als wäre für den Spitzensport die Abfahrt vorbei, bevor man überhaupt beim Starthäuschen angelangt ist. Zirka zur gleichen Zeit geht es auch für die Schweizer Armee bergab. Der Militärdienst wird zunehmend als unattraktiv wahrgenommen, die Zahl der Militärdienstleistenden sinkt rapide. «Widerwille statt Wehrwille» kommentiert das Schweizer Fernsehen. Jeder fünfte Rekrut steigt vorzeitig aus der RS aus, die Quote der an der Rekrutierung ausgemusterten Männer ist seit 1997 stark gestiegen auf 18 Prozent. Ruedi Winet von der Beratungsstelle für Militärverweigerer spricht gar davon, es sei angesichts der Zahlen längstens vorbei mit der allgemeinen Militärdienstpflicht. Es besteht akuter Handlungsbedarf im VBS. Für Samuel Schmid, der 2001 das Militär- und Sportdepartement von Ogi übernimmt, ist das eine Steilvorlage, um dem prestigeträchtigen Spitzensport im Militär ein Zuhause zu geben.
Bundesrat Adolf Ogi
Bundesrat Adolf Ogi legte 1998 die Grundlage für die Spitzensportförderung der Armee. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Armee-Spitzen­sport gerät durch «untaug­li­che» Profisport­ler ins Wanken

Doch noch ist die militärische Spitzensportförderung für Samuel Schmid unsicheres Terrain. Die Zahl «dienstuntauglicher» Männer ist noch immer hoch, die Spannung trotz der gewonnenen, zuvor umstrittenen Armeereform XXI, angespannt. Roger Federer und weitere Leistungssportler, vor allem aus dem Eishockeybereich, sind «dienstuntauglich». Das ist mitunter ein Grund, weshalb sich das VBS im Zuge der Armeereform auch mit der Spitzensportförderung in der Armee auseinandergesetzt hat. Schliesslich lässt Samuel Schmid das Projekt «Spitzensport in der Armee XXI» umsetzen. Die Einführung der Spitzensport-Rekrutenschule (SpiSpo-RS) 2004 ist aber nicht nur das Bekenntnis einer Sportaffinität Samuel Schmids und seines Vorgängers, sondern auch des Parlaments: Während der Nationalrat im Dezember 2004 entscheidet, das Rüstungsbudget radikal zu schmälern, wird an der Einführung der SpiSpo-RS nicht gerüttelt. Möglicherweise schreiben die Parlamentarier der Strahlkraft des Spitzensports mehr Bedeutung für die Attraktivität des Militärs zu als Minenräumpanzern und Transportflugzeugen.
Unter Bundesrat Samuel Schmid wird die Spitzensport-RS Realität. Besuch der Spitzensport Rekrutenschule im April 2006 in Magglingen.
Unter Bundesrat Samuel Schmid wird die Spitzensport-RS Realität. Besuch der Spitzensport Rekrutenschule im April 2006 in Magglingen. Damals nahm zum ersten Mal auch eine Frau teil. Keystone

Die Schweiz hat wieder ein Ski-Ass

2007 rückt Carlo Janka, Gewinner der Bronzemedaille in der Riesenslalom-Juniorenmeisterschaft, auf dem Waffenplatz Magglingen in die SpiSpo-RS ein. Ein Jahr später schliesst er zu den besten Skirennfahrern im Weltcup auf. 2010 stehen Olympische Winterspiele in Kanada an, eine intensive Vorbereitung ist Voraussetzung für den erhofften Medaillensegen. Die Armee bietet die Möglichkeit, einen WK als Olympia-Vorbereitung zu nutzen. Carlo Janka «bedankt» sich beim Schweizer Militär mit der olympischen Riesenslalom-Goldmedaille. Es ist die erste nach 22 Jahren seit Vreni Schneiders Gold in Calgary 1988. Und Janka ist nach Pirmin Zurbriggen der zweite Schweizer, der ein Ski-Triple (WM-Gold, Olympia-Gold und Gesamtweltcup) schafft.
Rückblick auf die Erfolge von Carlo Janka im Sportpanorama vom 14. März 2010. SRF
Während sich Carlo Janka im Rahmen eines WKs auf die Winterspiele vorbereitet, ist Langläufer Dario Cologna Teil des Pilotprojekts «Zeitmilitär Spitzensportler». Im Rahmen dieses Projekts stehen 14 Stellen mit einem 50-Prozent-Pensum für Medaillenhoffnungsträger zur Verfügung. Dank dieser Vorbereitung gewinnt Dario Cologna die erste Langlauf-Goldmedaille der Schweiz überhaupt. Bereits die Spitzensport-RS 2007 scheint Colognas Karriere einen gewaltigen Schub gegeben zu haben, holt er doch 2007 und 2008 gleich drei Goldmedaillen in den Skilanglauf-U23-Weltmeisterschaften. In Vancouver schneiden die Schweizerinnen und Schweizer zwar insgesamt schlechter ab als noch vier Jahre zuvor in Turin, aber fünf der sechs Goldmedaillen gehen an Sportsoldaten (Simon Ammann, Dario Cologna, Carlo Janka und Mike Schmid). Die Armee hat ihr Ziel erreicht: Prestige durch Spitzensport.
Schwinger Kilian Wenger beim Schiessen mit dem Sturmgewehr während der Spitzensport RS 2012.
Schwinger Kilian Wenger beim Schiessen mit dem Sturmgewehr während der Spitzensport RS 2012. VBS/DDPS / Aldo Ellena

Erfolge geben dem Programm Recht

Die Olympia-Bilanz kann sich sehen lassen: Zwischen 2006 und 2022 holten die Wintersportathletinnen und -athleten an fünf Olympischen Spielen 64 Medaillen, 24 mehr als an den fünf Spielen zuvor. Auch im Sommersport holen die Schweizer Delegationen auf: In den vier Sommerspielen zwischen 2008 und 2020 gewann die Schweiz 36 Medaillen, 14 mehr als in den vier Spielen zuvor. In den letzten Olympischen Sommer- und Winterspielen von 2021 und 2022 gingen jeweils rund die Hälfte der gewonnenen Medaillen an Spitzensportsoldaten. Mit Marco Odermatt und Loïc Meillard belegt die Schweiz in der Weltcup-Gesamtwertung 2023/2024 die Plätze eins und zwei – sie sind Aushängeschilder der Schweizer Armee, denn sowohl Odermatt als auch Meillard sind Sportsoldaten. Die Armee dürfte mit sich zufrieden sein: «Emotionen transportieren, Herzen bewegen und die Schweiz zum Träumen bringen, darin sieht die Spitzensportförderung der Armee ihren Auftrag», sagte Franz Fischer vor vier Jahren anlässlich seiner Pensionierung nach 22 Jahren als Verantwortlicher für die Spitzensportförderung in der Armee. Von einer Remilitarisierung des Sports kann also keine Rede sein. Die Schweiz mag zwar Sportsoldatinnen und Sportsoldaten auf das Wettkampfgelände schicken – kämpfen tun diese aber in ziviler Absicht: Für das (inter)nationale Prestige der Schweiz.
Bundesrätin Viola Amherd mit Skirennfahrer Marco Odermatt anlässlich eines Empfangs im Bundeshaus 2023.
Die Armee profitiert vom Spitzensport und umgekehrt: Bundesrätin Viola Amherd mit Skirennfahrer Marco Odermatt anlässlich eines Empfangs im Bundeshaus 2023. VBS/DDPS / Alex Kühni

Swiss Sports History

Swiss Sports History
Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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