
Pitigrilli, ein Chamäleon zwischen den Fronten
Er schrieb Skandalromane, gab sich als Antifaschist aus und spionierte für Mussolini. Nach seiner Flucht in die Schweiz kam Pitigrillis wahres Gesicht zum Vorschein.
In der Folge kam es in Turin zu Verhaftungen und einem Prozess gegen Mitglieder der 1929 gegründeten Bewegung «Giustizia e Libertà» («Gerechtigkeit und Freiheit»). Die Gruppierung liberaler und reformsozialistischer Intellektueller kämpfte für ein freies demokratisches Italien. Sie operierte von Paris aus und war in Italien im Untergrund tätig.
Agent im Schlafwagen


Für ihn gebe es auf der Welt nur «Schlaue, die ausnutzen, und Idioten, die sich ausnutzen lassen», hatte die Journalistin Barbara Allason 1922 über Pitigrilli geschrieben. Als Mitglied von «Giustizia e Libertà» erfuhr sie schmerzlich, wie zutreffend ihre Charakterisierung war. Ein Jahr, nachdem sich der Schriftsteller in die Bewegung eingeschleust hatte, gelang der Polizei 1935 ein vernichtender Schlag gegen die Turiner Gruppe und die Verhaftung sämtlicher führender Mitglieder. Das Regime ging mit grosser Härte gegen die meist jungen Oppositionellen vor. Für ihre Zugehörigkeit zu einer illegalen Gruppierung bestrafte man sie mit langjährigen Haftstrafen oder Verbannung.


Im Oktober 1943 verbreitete Radio Bari eine Meldung, die aus Turin ins freie Süditalien gelangt war: «Nehmen Sie sich in Acht vor Dino Segre, besser bekannt unter dem Pseudonym Pitigrilli (…). Er ist ein Denunziant und hat bereits etwa 50 Personen an die faschistischen Behörden verraten.» Im Chaos, das nach der deutschen Besetzung herrschte, ging die Nachricht unter, bis italienische Zeitungen sie anfangs 1944 erneut aufnahmen. Nun reagierte der Schweizer Armeestab und informierte die Bundesanwaltschaft. Diese unternahm jedoch nichts und so galt der Schriftsteller in seinem Exil weiter als Antifaschist.


Spionage bis zum Schluss abgestritten
Der Dichter, der seine letzten Lebensjahre in Paris verbrachte, stritt die Spionage für die faschistische Geheimpolizei bis zum Schluss ab. Sein Motiv bleibt im Dunkeln. Die finanzielle Entschädigung brauchte der erfolgreiche Autor nicht. Echte Feinde, an denen er sich rächen wollte, hatte er keine. Die Faschisten und ihre Wertvorstellungen verachtete er. Vittorio Foa, der ihm blind vertraut und dadurch Jahre im Gefängnis verbracht hatte, mutmasste, er habe den Spion zur Unterhaltung gespielt, als wäre er eine Romanfigur. In seiner 1949 erschienenen Autobiographie «Pitigrilli parla di Pitigrilli» (Pitigrilli spricht über Pitigrilli) ist die Spionageaffäre mit keinem Wort erwähnt.