Bis heute sind der Bigfoot und der sogenannte De-Loys-Affe zentrale Figuren innerhalb der Kryptozoologie. Illustration von Marco Heer
Bis heute sind der Bigfoot und der sogenannte De-Loys-Affe zentrale Figuren innerhalb der Kryptozoologie. Illustration von Marco Heer

Schweizer Monster­jä­ger

Was verbindet ein Luzerner Waisenkind mit einem Westschweizer Geologen? Die Faszination für rätselhafte Geschöpfe. René Dahinden und François de Loys hinterliessen ihre Spuren in der Kryptozoologie.

Christoph Kummer

Christoph Kummer

Christoph Kummer ist Historiker und freier Journalist und interessiert sich für Personen und Ereignisse abseits des allgemeinen Geschichtsbewusstseins.

Ob der Yeti im Himalaya, das Loch-Ness-Monster in Schottland oder der Bigfoot in Nordamerika – solche Wesen faszinieren die Menschen seit langem. Trotz Skepsis der Wissenschaft widmen sich weltweit Begeisterte der Suche nach den verborgenen Arten – die Kryptozoologinnen und Kryptozoologen. Auch Schweizer reihten sich unter diese Fabeltierforscher ein und brachten berühmt-berüchtigte Beweise ans Licht, die das Bild dieses grenzwissenschaftlichen Zweiges prägten. Einer der bekanntesten war der Luzerner René Dahinden, der Mitte des 20. Jahrhunderts in die kanadischen Wälder zog, um die Spur des legendären Bigfoots zu verfolgen. Er erwarb Rechte am «Patterson-Gimlin-Film», der noch heute als wichtigster Beweise für die Existenz des nordamerikanischen Affenmenschen gilt.
Patterson-Gimlin-Film: Sieht man hier wirklich Bigfoot in den Wald laufen? YouTube
Einen weiteren Beitrag zur Kryptozoologie lieferte ein Westschweizer Geologe. François de Loys hatte 1920 in Venezuela einen ungewöhnlichen Affen fotografiert. Dieses Bild wird noch heute gerne als Beweis dafür angeführt, dass unbekannte Gross-Primaten in Südamerika existieren. Sowohl der Patterson-Gimlin-Film als auch das De-Loys-Foto sind bis heute in zahllosen Büchern, Fernsehsendungen und Internetportalen veröffentlicht worden. Beide Männer wurden zu wichtigen Persönlichkeiten der Kryptozoologie, doch ihre Lebenswege könnten kaum unterschiedlicher sein.

Über Schweden nach Kanada

René Dahinden wurde 1930 in Luzern geboren und wuchs unter schwierigen Umständen auf. Als uneheliches Kind kam er ins Waisenhaus und wurde ein Jahr später von einem älteren Ehepaar adoptiert. Nach dem frühen Tod seiner Adoptivmutter und der erneuten Heirat seines Adoptivvaters wurde René ins Internat geschickt, wo er, wie er später sagte, lernte, dass «niemand ihn wollte». Diese Erfahrungen prägten seinen unabhängigen Charakter. Mit 13 Jahren traf er seine leibliche Mutter wieder, doch das Zusammenleben scheiterte nach wenigen Monaten. René wurde auf einem Bauernhof untergebracht, wo er hart arbeiten musste. Mit 15 Jahren verliess er den Hof und schlug sich alleine durch. Der junge Mann zog durch Europa und arbeitete in unterschiedlichsten Berufen. In Schweden lernte er 1952 Wanja Twan, seine spätere Frau, kennen. Nur wenige Monate später entschied sich René, nach Kanada auszuwandern, wo er zunächst auf einer Farm in der Nähe von Calgary arbeitete. Dort hörte er erstmals von der Legende des Yetis und von Berichten über ähnliche Kreaturen in British Columbia. Diese Geschichten weckten seine Neugier und legten den Grundstein für sein lebenslanges Interesse an der Suche nach dem Sasquatch, wie der kanadische Bigfoot genannt wird.
Postkarte von Calgary von 1947.
Dahinden zog es Anfang der 1950er-Jahre nach Calgary. Internet Archive
1955 zog Dahinden nach Williams Lake in British Columbia, wo er in einem Sägewerk arbeitete und begann, sich in seiner Freizeit der Sasquatch-Forschung zu widmen. Wanja folgte ihm nach Kanada, und das Paar heiratete 1956. Gemeinsam bekamen sie zwei Söhne, Erik und Martin. Doch Renés wachsende Leidenschaft für die Suche nach dem Sasquatch stellte eine grosse Belastung für die Familie dar. Die Ehe zerbrach 1967 unter dem Druck seiner Hingabe an die Bigfoot-Suche. Er entwickelte sich zu einer Schlüsselfigur in der Forschung und spielte eine zentrale Rolle bei bedeutenden Ereignissen, darunter die Analyse des berühmten Patterson-Gimlin-Films von 1967. Diese verwackelte 35-mm-Aufnahme, die in Nordkalifornien entstand, soll einen Bigfoot zeigen, der über eine Waldlichtung streift, und gilt für viele noch heute als stärkster Beweis für die Existenz der Kreatur.
Film über die lebenslange Suche Dahindens nach dem Sasquatch (in Englisch). YouTube
1971 begab sich Dahinden auf eine weltweite Reise, um Wissenschaftler für seine Sache zu gewinnen. Er zeigte den Patterson-Gimlin-Film unter anderem in der Sowjetunion und setzte alles daran, dass das Bilddokument die wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhielt, die es seiner Meinung nach verdiente. Dank seiner Hartnäckigkeit und nicht zuletzt auch wegen seines markanten Schweizer Akzents wurde Dahinden zu einer unverwechselbaren Figur – auch jenseits der Kryptozoologie. Er trat in zahlreichen TV-Interviews auf machte in den 1990er-Jahren sogar Werbung für ein kanadisches Bier.
Artikel über René Dahinden im Walliser Volksfreund, Februar 1972.
Artikel über René Dahinden im Walliser Volksfreund, Februar 1972. e-newspaperarchives
In den Jahren vor seinem Tod erwarb Dahinden die Rechte an den Einzelbildern des Patterson-Gimlin-Films, was ihn lange mit rechtlichen Angelegenheiten beschäftigte. Er blieb bis ins hohe Alter in der Bigfoot-Forscher-Community aktiv. Doch einen Bigfoot bekam er bis zu seinem Tod 2001 nie zu Gesicht.

Expedi­ti­on in Venezuela

Anders als René Dahinden wurde François de Loys eher zufällig in die Welt der Kryptozoologie hineingezogen. Der Westschweizer wurde 1892 geboren und stammte aus einer angesehenen Familie. 1912 begann er sein Studium an der Universität Lausanne, wo er 1917 seinen Doktortitel in Geologie erlangte. Im selben Jahr wurde de Loys von der holländischen Petroleum-Gesellschaft beauftragt, geologische Untersuchungen in Venezuela durchzuführen. Die Region, in die er arbeitete, war damals weitgehend unerforscht, mit unzugänglichem Terrain, tropischen Krankheiten und feindseligen Indigenen. 1920, während einer Expedition in die abgelegene Río-Tarra-Region, stiess François de Loys angeblich auf zwei seltsame Tiere. Er berichtete, am Ufer des Río Tarra zwei grosse, rötlich behaarte Affen entdeckt zu haben. Bemerkenswert war, dass die Tiere aufrecht gingen. Sie näherten sich der Expedition, jedoch sichtlich gereizt, schrien laut, fuchtelten mit den Armen und warfen ihren eigenen Kot auf die verängstigten Männer, wie de Loys später zu Protokoll gab. In ihrer Not entschieden sich die Expeditionsteilnehmer, auf die Affen zu schiessen, und töteten dabei das Weibchen. De Loys machte ein Foto des getöteten Tieres: Auf der Aufnahme ist ein toter Affe zu sehen, der auf einer Transportkiste sitzt, während sein ungewöhnlich entstellter Kopf auf einem Ast ruht. Das Bild des sogenannten Ameranthropoides loysi sorgte für Kontroversen.
Bild aus einem Artikel in der Illustrated London News vom 15. Juni 1929 über den sogenannten De-Loys-Affen.
Bild aus einem Artikel in der Illustrated London News vom 15. Juni 1929 über den sogenannten De-Loys-Affen. Internet Archive
De Loys' Foto wurde von Georges Montandon, einem französisch-schweizerischer Anthropologe, aufgegriffen und 1929 in einem Artikel im Journal de la société des américanistes veröffentlich. Er wertete das Bild als Beweis für seine Evolutionstheorie. Montandon postulierte die unabhängige Entwicklung menschlicher Arten auf verschiedenen Kontinenten und hatte eine Affinität zum Nationalsozialismus, was sich in seinen rassistischen und eugenischen Theorien widerspiegelte. Diese Positionen beeinflussten seine Wahrnehmung von de Loys’ Foto, da er die Entdeckung eines südamerikanischen Menschenaffen als Bestätigung seiner Thesen ansah. Der «Entdecker» selbst publizierte im Juni des gleichen Jahres in der Illustrated London News ebenfalls einen Artikel über den Affen. Auf der anderen Seite standen zahlreiche prominente Zoologen, darunter der US-Primatologe Philip Hershkovitz, der de Loys’ Entdeckung vehement ablehnte. Hershkovitz, der das Gebiet des Río Tarra kannte, konnte keine Hinweise auf die Existenz eines solchen Affen finden und bezeichnete den Fund als Betrug. Er kritisierte de Loys als unzuverlässigen Wissenschaftler und behauptete, dass die Entdeckung lediglich auf einem Missverständnis mit einer bekannten lokalen Affenart oder einer präparierten Täuschung beruhte.
Porträt von François de Loys, 1920er-Jahre.
Porträt von François de Loys, 1920er-Jahre. e-periodica
Bis heute gibt es keine weiteren Indizien für die Existenz des Ameranthropoides loysi. Im Gegenteil: 1962 stiess ein gewisser Dr. Enrique Tejera auf einen Artikel über de Loys’ Affen in der Zeitschrift The Universal und schrieb daraufhin an den Autor. Sein Brief, der später veröffentlicht wurde, schilderte eine ganz andere Entstehungsgeschichte des Fotos: Tejera behauptete, er habe in Venezuela mit de Loys für eine Ölgesellschaft gearbeitet. Der Affe sei in Wirklichkeit ein einheimischer Spinnenaffe gewesen, den man de Loys geschenkt habe. Das Tier habe eine verletzte Schwanzspitze gehabt, die amputiert wurde. Kurz darauf sei der Affe gestorben, und de Loys habe die Gelegenheit genutzt, um das Foto zu inszenieren. Welche Geschichte nun stimmt, wird wohl nie geklärt werden. Nach seinem Abenteuer in Venezuela setzte de Loys seine Arbeit als Geologe fort und machte in der Ölindustrie Karriere, insbesondere bei der Turkish Petroleum Company. Er war viele Jahre im Nahen Osten tätig, bis er dort 1935 an den Folgen einer Krankheit starb. Die Schweizer René Dahinden und François de Loys haben ihre Spuren in der Kryptozoologie hinterlassen. Die wohl prägendste Figur war aber Bernard Heuvelmans (1916-2001). Er gilt als Vater dieser Pseudowissenschaft und hat 1999 seinen gesamten Nachlass dem Naturhistorischen Museum des Kantons Waadt in Lausanne vermacht, wo er in einem grossen Archiv gelagert wird.

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