Die diverse Gestaltung und Materialität der Hutnadeln zeigt die vorhandene Vielfalt, aus welcher die Hutträgerinnen individuell eine Auswahl treffen konnten.
Die diverse Gestaltung und Materialität der Hutnadeln zeigt die vorhandene Vielfalt, aus welcher die Hutträgerinnen individuell eine Auswahl treffen konnten. Schweizerisches Nationalmuseum

Ein bestechen­des Accessoire

Hutnadeln hatten ihre Blütezeit zwischen 1890 und 1920, um die sogenannten «Wagenräder» auf dem Kopf zu halten. Während die Gestaltung der Hutnadeln individuelle Statements setzten konnte, ragten ihre Spitzen gefährlich aus dem Haar.

Jasmin Mollet

Jasmin Mollet

Jasmin Mollet ist Kunsthistorikerin und arbeitet zurzeit als Assistenzkuratorin am Historischen Museum Basel.

Die Hutnadel – ein heute in Vergessenheit geratenes Accessoire – war über mehrere Jahrzehnte hinweg treue Begleiterin von Hutträgerinnen in westlichen Metropolen. In der Zeit um 1890 bis 1920 dominierte in der Mode der Kontrast zwischen der schlanken Silhouette der Frau mit dem immer grösser werdenden Hut. Die Hutkrempen nahmen neue Ausmasse von 60 Zentimeter bis zu einem Meter an, weshalb diese Hüte retrospektiv auch «Wagenräder» genannt werden. Die ausladenden Krempen wurden mit Kunstblumen, Federn oder auch mal einem ganzen ausgestopften Vogel geschmückt, was neben der Grösse des Hutes dazu beitrug, dass dieser auf dem Kopf befestigt werden musste – mit einer Hutnadel. Die Hutnadel gab es zwar bereits ab den 1840er-Jahren, damals war sie aber noch kürzer und rein dekorativ. Ab 1870 «wuchs» die Länge der Nadel parallel zur Grösse der Hüte. Um den Hut auf dem Kopf zu befestigen, wurde die Nadel durch Hut und Haarknoten gesteckt. Was in erster Linie klingt wie ein notwendiges Gebrauchsobjekt, wurde jedoch schnell zum modischen Must-Have, welches die Herzen der Hutträgerinnen im Fluge eroberte und für Furore sorgte.
Frau mit grossem, dekoriertem Hut im Modemagazin «La Mode illustrée» vom 15 November 1908.
Frau mit grossem, dekoriertem Hut im Modemagazin La Mode illustrée vom 15 November 1908. Ville de Paris / Bibl. Forney

Charms, aber um 1900

Was die Hutnadel zu einem so begehrten Mode-Accessoire machte, war nicht nur ihre Funktion, sondern auch die vielfältigen Formen. Der Gestaltung des Hutnadel-Kopfes waren keine Grenzen gesetzt und die noch heute in Museumssammlungen und Antiquariaten anzutreffende Fülle an unterschiedlichsten Hutnadeln zeigt, welche Bandbreite an Materialien, Formen und Farben an der Nadel anzutreffen war. Diese reichen von einfachen runden Nadelköpfen aus Perlenimitationen über pilzförmige Stoffkreationen mit Pailletten bis zu detailliert gemalten Miniaturporträts auf Keramikstücken. Hutnadeln konnten aus Metalllegierungen und Glassteinen sehr erschwinglich sein, aber auch ein kostbares Luxusprodukt aus Gold und Edelsteinen. Was die Hutnadel also so beliebt machte, war einerseits, dass sie für jedes Budget erhältlich war, aber insbesondere, dass sie dem Outfit einen individuellen Touch verlieh. Die Trägerin suchte sich die Hutnadel nach ihren eigenen Interessen und je nach Jahreszeit oder Gemüt aus. So konnte zum Beispiel der Hutnadel-Kopf in Form eines Tennisschlägers auf das Hobby der Trägerin oder ein aktuelles sportliches Event hinweisen und somit auch zeigen, dass die Trägerin à jour war. Eine Hutnadel mit einer italienischen Mosaikarbeit («Pietra dura») konnte von einer Italien-Reise erzählen, bei der diese als Souvenir gekauft wurde. Auch Emotionen und Kleidercodes wurden am Hut ausgedrückt: Die trauernde Trägerin griff demnach zur Nadel mit schwarzem Zierkopf. Um für jeden Anlass und jedes Outfit die passende Hutnadel zu haben, wurden diese zum beliebten Sammelobjekt. Wie Charms, die heute eine Tasche oder Schuhe zum individuellen Statement Piece machen, waren Hutnadeln um 1900 das Accessoire, welches durch seine unterschiedlichen Formen und Farben den persönlichen Vorlieben Ausdruck verleihen konnte.
Das Modehaus Grieder hatte die unterschiedlichsten Hutnadeln und Kunstblumen für die Gestaltung der Hüte im Sortiment, 1913.
Das Modehaus Grieder hatte die unterschiedlichsten Hutnadeln und Kunstblumen für die Gestaltung der Hüte im Sortiment, 1913. Stadtarchiv Zürich

Emanzi­pa­ti­on am Hut

Der Hutnadel-Trend verlief jedoch nicht, ohne Aufsehen zu erregen. Denn während die Hüte neue Dimensionen annahmen, entwickelten sich in den Städten die Strassenbahnen. In dem vollen Tram konnte eine spitze Hutnadel, die durch ihre Länge aus dem Haar herausragte, zur Verletzungsgefahr werden. So berichtete die Schweizer Frauen-Zeitung 1890 von einem Vorfall in Berlin, bei welchem eine junge Dame in einer scharfen Kurve das Gleichgewicht verlor und dabei mit der Hutnadel aus Versehen das Auge eines Herren ausstach. Solche Berichte von Unfällen mit Hutnadeln häuften sich und der Groll gegen das allgegenwärtige Accessoire wuchs. Als «schlimme Gewohnheit der Frauen» verpönt, ermöglichte die unabsichtlich zur Waffe gewordene Hutnadel jedoch auch ein neues Sicherheitsgefühl für die Frau im öffentlichen Raum. So riet die Schweizer Frauen-Zeitung 1898 auf eine Leserinnen-Frage, eine «feste, spitzige Hutnadel» für eine Fahrt im Nachtzug mitzunehmen, um sich notfalls gegen Belästigungen von Männern wehren zu können. Die Frauen waren also durch die Hutnadeln nicht nur modisch gekleidet, sondern hatten nun auch eine Notfalllösung zur Selbstverteidigung bei sich. Von Unfällen, Verteidigungen und gar Angriffen mit Hutnadeln, die sich in europäischen sowie amerikanischen Städten und gegen mutmasslich unschuldige Männer ereigneten, berichteten um 1910 viele Zeitungsartikel. Der «Kampf gegen die Riesen-Hutnadel» regte viele Gemüter und spaltete die Meinungen. Dass die Hutnadel zur Selbstbestimmung der Frau beitrug und Aufsehen erregte in einer Zeit, in welcher der Diskurs um das Frauenstimmrecht hitzig geführt wurde, hatte so seine Nachteile. Während die Ärgernisse rund um die Hutnadel bestimmt nicht alleiniger Grund für das Scheitern der ersten Vorstösse für die politische Mitbestimmung der Frau waren, so verstärkten sie dennoch Vorurteile über die Leichtsinnigkeit und Unvernunft von Frauen – Narrative, an welchen sich die Gegner gerne bedienten.
Ein Artikel zur Selbstverteidigung für die Frau von 1904 im San Francisco Sunday Call vom 21. August 1904 empfiehlt neben dem Einsatz von einem Schirm auch das Verwenden der Hutnadel, um sich bei überraschenden Angriffen schützen zu können.
Ein Artikel zur Selbstverteidigung für die Frau von 1904 im San Francisco Sunday Call vom 21. August 1904 empfiehlt neben dem Einsatz von einem Schirm auch das Verwenden der Hutnadel, um sich bei überraschenden Angriffen schützen zu können. California Digital Newspaper Collection
Eine ärgerliche Situation für Polizist und Hutträgerin zugleich schildert Moritz Jungs Karikatur «Hutnadelballade» von 1911, in welcher die spitzen Hutnadeln einer adeligen Dame konfisziert werden. Ohne Hut in der Öffentlichkeit gesehen zu werden war ein absolutes «No-Go».
Eine ärgerliche Situation für Polizist und Hutträgerin zugleich schildert Moritz Jungs Karikatur «Hutnadelballade» von 1911, in welcher die spitzen Hutnadeln einer adeligen Dame konfisziert werden. Ohne Hut in der Öffentlichkeit gesehen zu werden war ein absolutes No-Go. The Metropolitan Museum of Art

Ein spitzes Ende?

Als Reaktion auf die sich häufenden Berichten von Unfällen mit Hutnadeln, kam es schliesslich ab 1910 in grösseren Städten wie Wien und Berlin zu Verboten. Danach waren Hutnadeln, die mehrere Zentimeter unter dem Hut hervorschauten, oder deren Spitzen nicht zumindest geschützt waren, nicht mehr erlaubt. Die Verbote galten in Strassenbahnen sowie an öffentlichen Orten wie in Theaterhäusern, bei denen es zu Gedrängen kommen konnte. Das Hutnadelverbot, das sich ein Redakteur des Nebelspalters bereits 1911 in einem satirischen Gedicht auch für die Schweiz herbeiträumte, wurde in der Stadt Zürich schliesslich 1912 erlassen. In den Zürcher Trams wurden darauf Emailschilder angebracht mit der Aufschrift «Ungeschützte Hutnadeln verboten». Dennoch weigerten sich offenbar einige Frauen ihre Hutnadeln zu schützen, weshalb Tram-Fahrern empfohlen wurde, rohe Kartoffelstücke bei sich zu tragen, um diese als Notfall-Lösung für die Fahrt anzubieten. Wer auch das ablehnte, wurde von der Fahrt ausgeschlossen und musste eine Busse von bis zu 10 Franken bezahlen – eine damals beachtliche Summe. Trotz der Verbote waren Hutnadeln weiterhin ein beliebtes und nötiges Accessoire, um die Mode der grossen Hüte mitmachen zu können. Nicht erstaunlich also, dass zeitgleich viele Patente für Hutnadel-Schutzkappen erteilt wurden.
In den Zürcher Tram wiesen Emailtafeln auf unterschiedliche Verbote hin. Eine ungeschützte Hutnadel konnte mit einer Busse von bis zu 10 Franken bestraft werden. Interieur der Strassenbahn Zürich – Oerlikon – Seebach (ZOS), um 1913–1930.
In den Zürcher Tram wiesen Emailtafeln auf unterschiedliche Verbote hin. Eine ungeschützte Hutnadel konnte mit einer Busse von bis zu 10 Franken bestraft werden. Interieur der Strassenbahn Zürich – Oerlikon – Seebach (ZOS), um 1913–1930. Tram-Museum Zürich, Foto: Irene Wehrli
Trotz dieser Lösung verschwanden Hutnadeln jedoch langsam wieder von den Köpfen der modebewussten Frauen. Grund dafür war aber nicht die von den Hutnadeln verursachte Aufruhr, sondern die Mode selbst. In den 1920er-Jahren wurde die Hutkrempe wieder schmaler und die Hüte enganliegender – sogenannte Glocken- und Topfhüte ergänzten nun das modische Ensemble. Die Hutnadel verkürzte sich wieder und bekam eine dekorativ gestaltete Schutzkappe, um an den Hut gepinnt zu werden, bevor sie ganz aus den Modezeitschriften verschwand. Um 1930 wurden dann auch die Verbotsschilder aus den Zürcher Trams entfernt. Das gut drei Jahrzehnte hochbeliebte Accessoire, das der Trägerin individuellen Ausdruck sowie Selbstbestimmung ermöglichte und sich trotz der Verbote noch am Hut hielt, ist heute für viele unbekannt. In anderen Worten: Aus der Mode, aus dem Sinn.

Accessoires. Objekte der Begierde

18.07.2025 12.04.2026 / Landesmuseum Zürich
Accessoires waren schon immer mehr als blosse Dekoration: Hüte, Foulards, Handschuhe, Taschen und Schuhe spiegeln soziale, politische und religiöse Zugehörigkeiten, demonstrieren Macht und Status, schützen und formen den Körper oder stehen für modischen Fortschritt. Die Ausstellung zeigt anhand von Objekten aus der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums, wie Accessoires vom gesellschaftlichen Wandel geprägt sind. Von den strikten Kleidervorschriften der frühen Neuzeit bis zum Spiel mit den Geschlechternormen der Gegenwart wirft die Ausstellung einen Blick auf Modegeschichte «von Kopf bis Fuss».

Weitere Beiträge