Im offenen Landauer mit Dragoner-Eskorte: Kaiser Haile Selassie und Bundespräsident Rodolphe Rubattel auf dem Weg vom Bahnhof Hindelbank zum Schloss Jegenstorf. Foto von Björn Lindroos, 1954.
Im offenen Landauer mit Dragoner-Eskorte: Kaiser Haile Selassie und Bundespräsident Rodolphe Rubattel auf dem Weg vom Bahnhof Hindelbank zum Schloss Jegenstorf. Foto von Björn Lindroos, 1954. ETH-Bibliothek Zürich

Ein Kaiser zu Gast – Haile Selassie auf Staatsbesuch

Der Staatsbesuch des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie (1892–1975) erregte 1954 grosses Aufsehen in der Schweiz. Für Irritation und Spekulationen sorgten einige seiner Geschenke und das Dankesschreiben, das auf sich warten liess.

Murielle Schlup

Murielle Schlup

Freischaffende Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin

Staatsbesuche waren in der Schweiz bis in die frühen 1950er-Jahren eine Seltenheit. Haile Selassie I. war Ende November 1954 erst das siebte Staatsoberhaupt, das die Schweiz offiziell empfing, und nach dem Besuch von Wilhelm II. 1912 der zweite Kaiser. Zu jener Zeit, als die Meisten noch kein Fernsehgerät besassen, das Reisen nur den Wenigsten vorbehalten war und sich das Afrikabild in der breiten Bevölkerungsschicht in Globis Abenteuergeschichten widerspiegelte, war die Faszination für den «Negus Negesti» (amharisch für «König der Könige») aus dem jahrhundertealten äthiopischen Kaiserreich im fernen Afrika entsprechend immens.

Vom Verschmäh­ten zum Hofierten

Gross waren denn auch die Bestrebungen der Schweizer Behörden, sich bei der Durchführung des Staatsbesuchs des 225. Nachfolgers König Salomons keine Blösse zu geben, ging es doch auch um eine Wiedergutmachung eines unrühmlichen Intermezzos zwischen der offiziellen Schweiz und dem äthiopischen Kaiser vor knapp 20 Jahren: Nach dem Überfall des faschistischen Italiens auf Äthiopien 1935 und einem darauf folgenden brutalen Eroberungskrieg, flüchtete der abgesetzte Kaiser 1936 nach Grossbritannien ins Exil. Als er im gleichen Jahr in die Schweiz einreiste, um vor dem Völkerbund in Genf um Hilfe für sein Land zu bitten, verwehrte ihm die Schweiz das Asyl. Nach der Befreiung Äthiopiens 1941 wieder zurück auf dem äthiopischen Thron, war Haile Selassie in der Nachkriegszeit eine willkommene Persönlichkeit auf den roten Teppichen rund um den Globus. Er setzte sein Land aussenpolitisch auf die Weltkarte und genoss ein positives Image als vorbildlicher Regent und fortschrittlicher Reformer.

Die Schweiz in Ausnahmezustand

So erstaunt es kaum, dass der äthiopische Kaiser inzwischen auch für die Schweiz wieder interessant war. Und da er sich seit Mai 1954 auf einer regelrechten «Staatsbesuchs-Tournee» durch die USA, Kanada, Mexiko und Europa befand, liess die Regierung über Gesandte auskundschaften, ob Haile Selassie denn auch offen wäre für einen Abstecher in unser Land. Erst nach der positiven Rückmeldung wurde die offizielle Einladung verschickt. Nach der Zusage des Kaisers scheute der Bund keine Aufwände mehr, um ihm diesmal einen zuvorkommenden, bis ins kleinste Detail perfekt geplanten Empfang zu gewähren. Die ganze Schweiz, besonders aber die Hauptstadt Bern, war aufgrund des anstehenden Staatsbesuchs in einen Ausnahmezustand versetzt. Die Medien berichteten bereits Wochen zuvor laufend über das auf Ende November terminierte Ereignis.
«Eine der interessantesten Personen unserer Zeit», hält die «Schweizer Illustrierte Zeitung» vom 22. November 1954 im Anrisstext für ihre Titelgeschichte fest. Das Foto zeigt den Kaiser mit seinem Enkel Prinz Dawit.
«Eine der interessantesten Personen unserer Zeit», hält die Schweizer Illustrierte Zeitung vom 22. November 1954 im Anrisstext für ihre Titelgeschichte fest. Das Foto zeigt den Kaiser mit seinem Enkel Prinz Dawit. Privatbesitz
Die Zeitschrift «Sie und Er» vom 25. November 1954 mit dem Staatsbesuch als Titelthema.
Die Zeitschrift Sie und Er vom 25. November 1954 mit dem Staatsbesuch als Titelthema. Bernisches Historisches Museum

Ankunft mit 20-köpfiger Entourage

Nach seinem Staatsbesuch in Dänemark reiste Haile Selassie am 25. November 1954 in einem Sonderzug der Deutschen Bundesbahn in die Schweiz ein. Den Kern seiner rund 20-köpfigen Entourage bildeten sein Sohn, Prinz Makonnen Haile Selassie, Herzog von Harrar; die Schwiegertochter Prinzessin Sara Guizaw, Herzogin von Harrar; Tsehafe Taezaz Wolde Guiorguis Wolde Yohannes, «Minister der Feder und der Gerechtigkeit»; Aussenminister Aklilou Habte Wolde, General Dejazmach Mesfin Sileshi, Grossmarschall des Hofes und Generalgouverneur der Provinz Kaffa; sowie weitere «hervorragende Persönlichkeiten der offiziellen und privaten Suite des Kaisers». In Basel wurde der Kaiser durch Bundesrat Max Petitpierre und Vertreter der Basler Regierung während einer feierlichen Empfangszeremonie mit militärischen Ehren begrüsst.
 
Die Weiterfahrt nach Hindelbank erfolgte in einem Sonderzug, dem roten «Doppelpfeil» der SBB, an den ein Wagen der Deutschen Bundesbahn mit 3000 kg mitgeführtem Gepäck angehängt wurde. Mit dem «Doppelpfeil» sollte der Kaiser in den nächsten Tagen noch mehrmals reisen.
Von der Betriebsabteilung der Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen zusammengestellt: Die Liste mit der Musikauswahl den roten «Doppelpfeil»-Sonderzug.
Von der Betriebsabteilung der Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen zusammengestellt: Die Liste mit der Musikauswahl den roten «Doppelpfeil»-Sonderzug. Schweizerisches Bundesarchiv
Bundespräsident Rodolphe Rubattel bereitete dem Kaiser in Hindelbank einen musikalisch begleiteten Empfang, bevor die gemeinsame Reise im vierspännigen Landauer nach Jegenstorf weiter ging.
Bundespräsidenten Rodolphe Rubattel begrüsst den Kaiser am Bahnhof Hindelbank
Ein und Trachtenmädchen und ein Bub im Kühermutz überreichen dem Kaiser einen Lebkuchen. Als Gegengeschenk erhalten sie vom Kaiser Münzen.
Bundespräsidenten Rodolphe Rubattel begrüsst den Kaiser am Bahnhof Hindelbank (links). Ein Trachtenmädchen und ein Bub im Kühermutz überreichen dem Kaiser einen Lebkuchen. Als Gegengeschenk erhalten sie vom Kaiser Münzen. Schweizerisches Nationalmuseum
Demokratische Bescheidenheit neben kaiserlichem Pomp: Albert Danz, Gemeindepräsident von Hindelbank, und Kaiser Haile Selassie.
Demokratische Bescheidenheit neben kaiserlichem Pomp: Albert Danz, Gemeindepräsident von Hindelbank, und Kaiser Haile Selassie. Walter Studer/Archiv Walter und Peter Studer, © Walter Studer / Pipaluk Minder

Die Residenz im Schloss Jegenstorf

Im Bauerndorf Jegenstorf nahe der Bundeshauptstadt war das Schloss als temporäre Kaiserresidenz hergerichtet worden. Dies war eine einmalige, einzig auf Haile Selassie zugeschnittene Lösung zur Unterbringung eines Staatsbesuchs. Gewählt wurde sie aufgrund ihres repräsentativen Charakters und der guten Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs, als das Schloss General Guisans Kommandoposten war. Nahe der Stadt Bern gelegen, hatte sich das Schloss bereits 1944/1945 als gut überwachbare und von der Öffentlichkeit optimal abschirmbare Residenz erwiesen.
 
Im Landgut «Lohn» Kehrsatz – seit 1942 im Besitz des Bundes – wurden zwar bereits Staatsgäste beherbergt, unter ihnen etwa 1946 Winston Churchill. Doch abgesehen davon, dass der ehemalige Patrizierlandsitz erst von 1960 an für diesen Zweck adäquat ausgestattet war, wäre er für die Beherbergung des an Personen umfangreichen äthiopischen Staatsbesuchs schlicht zu klein gewesen. Während der Kaiser mit dem Kern seiner Entourage im Schloss Jegenstorf nächtigte, kam die erweiterte Delegation im Hotel Bellevue-Palace unter.
 
Während Wochen, ja Monaten wurde das seit 1936 als Museum zugängliche Schloss Jegenstorf in eine kaiserwürdige Unterkunft verwandelt. Möbel aus dem «Lohn» Kehrsatz, dem Bernischen Historischen Museum, dem Hotel Bellevue-Palace und aus dem Besitz mehrerer Berner Familien wurden mit in Spezialgeschäften geliehenen Teppichen, Lampen, Leuchtern, Silber- und Porzellanwaren sowie Gläsern ergänzt.
Im Schloss Jegenstorf unter den Auspizien von Wachtsoldaten: Angestellte des Hotels Bellevue-Palace polieren das bei der Firma Jezler geliehene Silber auf Hochglanz. Luzerner Tagblatt, 27. November 1954.
Im Schloss Jegenstorf unter den Auspizien von Wachtsoldaten: Angestellte des Hotels Bellevue-Palace polieren das bei der Firma Jezler geliehene Silber auf Hochglanz. Luzerner Tagblatt, 27. November 1954. zentralgut.ch
In den äthiopischen Landesfarben Rot, Grün und Gelb kreierte die Bundesgärtnerei Arrangements mit den Lieblingsblumen des Kaisers, Nelken und Rosen, während an der Hauptfassade äthiopische Flaggen zu hängen kamen. Die Zentralheizung wurde revidiert, die Kamine und Kachelöfen eingeheizt und die Küche auf Vordermann gebracht. Im Dachstock war die Zentrale der zuvor installierten Telefonanlage mit 18 Apparaten untergebracht. Dem Hotel Bellevue-Palace oblag die Führung der temporären kaiserlichen Residenz im Schloss, für das ein Oberkellner, zwei weitere Kellner, zwei Köche, eine Gouvernante, ein Zimmermädchen und ein Portier abbestellt wurden. 40 Polizisten bewachten das Schloss.
Wachtposten flankieren das Zugangstor zum Hof von Schloss Jegenstorf. Neben Polizisten waren auch Soldaten im Einsatz. Foto von Björn Lindroos, 1954.
Wachtposten flankieren das Zugangstor zum Hof von Schloss Jegenstorf. Neben Polizisten waren auch Soldaten im Einsatz. Foto von Björn Lindroos, 1954. ETH-Bibliothek Zürich
Kaiser Haile Selassie schreitet aus dem Grossen Salon in den Marmorsaal von Schloss Jegenstorf. Das Foto stammt vom 26. November 1954, als der Kaiser einen Journalisten und einen Fotografen der «Schweizer Illustrierten» exklusiv empfing. Foto von Björn Lindroos.
Kaiser Haile Selassie schreitet aus dem Grossen Salon in den Marmorsaal von Schloss Jegenstorf. Das Foto stammt vom 26. November 1954, als der Kaiser einen Journalisten und einen Fotografen der Schweizer Illustrierten exklusiv empfing. Foto von Björn Lindroos. ETH-Bibliothek Zürich
Für den Komfort Haile Selassies beauftragte der Bund ein zusätzliches Badezimmer im ersten Stock nahe dem kaiserlichen Schlafzimmer – dem Raum, der einst Guisan als Arbeitszimmer diente. 18’000 Franken kostete es den Steuerzahler, was damals exorbitant erschien. Die in den Medien breit kommunizierte Summe führte in einer Zeit, in der die einfache Bevölkerung noch kein Badezimmer kannte, zu Gerüchten, allen voran, dass es sich um eine Badewanne aus Gold handeln müsse – und dass der Kaiser sein Badezimmer dann nicht ein einziges Mal benutzt haben soll.

Einzug in Bern vor 100’000 Schaulustigen

Am späteren Nachmittag fuhr Rubattel mit dem Kaiser per Limousine über die Papiermühlestrasse bis kurz vor die Tore der Stadt Bern, wo es nach dem Umsteigen in den offenen Landauer weiter ins Stadtzentrum ging. Hunderttausend Schaulustige säumten in dichten Reihen die Strassen, Lauben und Plätze auf dem Weg vom Bärengraben bis auf den Bundesplatz. Die Büros der Bundesverwaltung waren seit 15:30 Uhr geschlossen, die mit Schweizerfähnchen ausgestatteten Kinder hatten schulfrei.
Beitrag aus der Schweizer Filmwochenschau «Der Kaiserbesuch». SRF
«Dr Negus chunt!» und ähnliche Rufe raunten durch die Menge, alle wollten einen kurzen Blick auf den «König der Könige» erhaschen. Der Berner Schriftsteller Lukas Hartmann, damals 10 Jahre alt, war einer von ihnen: «Ich stand zuvorderst im Zuschauerspalier an der Bundesgasse; endlose Wartezeit […] und endlich der prächtig gekleidete Negus, mit unglaublich dunklem Gesicht […]. Ich hatte, für Sekunden wenigstens, einen Kaiser gesehen, einen echten Kaiser! […]. An diesem Tag hätte ich am liebsten meine Nationalität umgetauscht: Abessinier zu sein, schien mir das Erstrebenswerteste in einer beinahe kaiserlosen Welt.»

Reden im Bundes­haus, Essen im Bellevue

Nach den militärischen Ehren auf dem Bundesplatz fand die offizielle Begrüssungszeremonie der Schweizer Gesamtregierung im Bundeshaus statt. Rubattel und Haile Selassie hielten je eine Rede. Der Bundespräsident berief sich etwas gar überschwänglich auf die lange christliche Tradition Äthiopiens und «weit zurückreichende, tiefe Verbindungen» zwischen der Schweiz und Äthiopien: «Uns selbst freut es […] das leuchtende Symbol jener Gefühle der Hochschätzung und Freundschaft zu erblicken, die schon so lange zwischen dem Kaiserreich Aethiopien und der Schweizerischen Eidgenossenschaft bestehen. […]. Wir wissen in der Tat, dass Aethiopien immer einen bedeutenden Platz einnahm in den Gedanken unserer Vorfahren und dass diese zu der Zeit, als das Christentum zum erstenmal in unsere Täler drang, Aethiopien bereits als eine jener geheiligten Stätten betrachteten, von denen die Bibel spricht. Für diese Gläubigen war das Kaiserreich, über das Ew. Majestät heute regiert, ganz von dem Nimbus erleuchtet, den ihm schon damals eine mehrere hundert Jahre alte christliche Tradition verlieh. […]. Die beiden Nationen gleichen sich übrigens durch ihre Heimat und durch ihre Hingebung an die Freiheit. Sie sind von den gleichen christlichen Grundsätzen erfüllt und setzen ihre Hoffnungen und ihr Ideal in die Gerechtigkeit und in den sozialen Fortschritt. Beide haben zudem für ihre Unabhängigkeit gekämpft.»
Haile Selassie I. in der Wandelhalle des Bundehauses im Gespräch mit Bundesrat Max Petitpierre (links) und Bundespräsident Rodolphe Rubattel (rechts).
Haile Selassie I. in der Wandelhalle des Bundehauses im Gespräch mit Bundesrat Max Petitpierre (links) und Bundespräsident Rodolphe Rubattel (rechts). Schweizerisches Nationalmuseum
Der Kaiser in Achtungsstellung vor dem Bundeshaus-Eingang, links von ihm Bundesrat Max Petitpierre.
Der Kaiser in Achtungsstellung vor dem Bundeshaus-Eingang, links von ihm Bundesrat Max Petitpierre. Schweizerisches Nationalmuseum
Am Abend wurde das vom Bundespräsidenten offerierte Staatsbankett im Hotel Bellevue-Palace abgehalten. Während die meisten dem Wein und dem Champagner frönten, soll sich der Kaiser mit Fruchtsaft begnügt haben.
Die Tischordnung für das Staatsbankett im Hotel Bellevue-Palace.
Die Tischordnung für das Staatsbankett im Hotel Bellevue-Palace. Schweizerisches Bundesarchiv

Vier Tage mit dichtem Programm

Der Kaiser hatte während seines Aufenthalts vom 25. bis 28. November 1954 ein dichtes Programm zu absolvieren, wobei ihm gemäss Rubattel ermöglicht werden sollte, «einige Aspekte unseres Landes kennenzulernen. Wir mussten in diesen Tagen des Spätherbstes, wo Nebel und Schnee häufig sind, auf Ausflüge in die Berge verzichten». So wurde der Kaiser am zweiten Besuchstag in Begleitung von Bundesrat Hans Streuli in Zürich von der Stadt- und Kantonsregierung empfangen, besuchte das Kantonsspital und die ETH, wo er im Physiksaal einigen Experimenten beiwohnte, war Ehrengast am offiziellen Diner im Hotel Dolder und erhielt von Emil Georg Bührle, seit 1934 äthiopischer Honorargeneralkonsul in der Schweiz, eine Führung durch die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle & Co.
Der am Stock gehende Emil Bührle begleitet den äthiopischen Kaiser durch seine Fabrik.
Der am Stock gehende Emil Bührle begleitet den äthiopischen Kaiser durch seine Fabrik. ETH-Bibliothek Zürich
Dort «[…] zeigte der kaiserliche Besucher besonderes Interesse für die von der Firma Bührle hergestellten Luftabwehrgeschütze und das neuentwickelte Raketengeschütz und liess sich auch im Schiessstand Schnellfeuerwaffen vorführen», wie im Detailbericht zum Staatsbesuch zu lesen ist. Zu den zahlreichen Ländern, die Bührle während Jahrzehnten mit Waffen belieferte, gehörte seit 1929 auch Äthiopien, ein dankbarer Abnehmer der 20-mm-Oerlikon-Flugabwehrkanone – dem weltweitem «Exportschlager» der Fabrik. Nach einer kurzen Besichtigung des Flughafens Kloten folgte ein Rundgang durch die Brown-Boveri-Werke in Baden.
 
In Begleitung von Bundesrat Karl Kobelt stand am dritten Tag ein Besuch der Eidgenössischen Militärpferdeanstalt an, gefolgt von einem Empfang durch die Berner Kantons- und Stadtregierung im Berner Rathaus. Weiter ging es in Richtung Murten ins Schloss Münchenwiler, wo dem Kaiser das dortige Zentrum für Erwachsenenbildung und Freizeitgestaltung der Volkshochschule Bern vorgestellt und das Mittagessen eingenommen wurde. Auf dem Militärflughafen Payerne wohnte Haile Selassie Schiessdemonstration der «Venom»-Fliegern der Schweizer Luftwaffe bei. In den frühen Abendstunden fand im Hotel Bellevue-Palace eine «grande réception» des diplomatischen Korps für 400 geladene Personen statt. Auf Einladung des Kaisers dinierte der Gesamtbundesrat samt Gattinnen abends auf Schloss Jegenstorf – das Catering übernahm das Hotel Bellevue-Palace. Danach lud der Kaiser zu einem Empfang mit 250 geladenen Gästen.
Die Menükarte (Ausschnitt) für das Abendessen im Schloss Jegenstorf. Zu Trinken gab es Champagner (Heidsieck & Co. Dry Monopole brut 1947) und Rotwein (Château Latour Pauillac M. C. 1934).
Die Menükarte (Ausschnitt) für das Abendessen im Schloss Jegenstorf. Zu Trinken gab es Champagner (Heidsieck & Co. Dry Monopole brut 1947) und Rotwein (Château Latour Pauillac M. C. 1934). Schweizerisches Bundesarchiv
Am letzten Tag reiste Bundesrat Max Petitpierre mit dem Kaiser nach Genf. Nach einem Rundgang und einem Empfang im Musée d’Art et Histoire sowie einem Mittagessen im Hôtel des Bergues stand der Besuch am Hauptsitz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) auf dem Programm. Abschliessend folgte die Besichtigung des Palasts der Vereinten Nationen (UNO) – der Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, der Haile Selassie und sein Land einst im Stich gelassen hatte.
 
Die Verabschiedung ging an der Grenze bei Buchs über die Bühne, von wo aus Haile Selassie mit seiner Entourage nach Wien weiterreiste – der nächsten und letzten Station seiner Auslandreise. Nach zwei Tagen Aufenthalt in Österreich kehrte Haile Selassie inoffiziell nochmals kurz in die Schweiz zurück: Er verweilte einige Tage im Kurhotel Verenahof in Baden, bevor er wieder in sein Heimatland reiste.

Die Geschenke des Kaisers

Enttäuscht schien man in der Bundesverwaltung über das kaiserliche Mitbringsel: «Der Bundesrat musste sich mit einer silbergerahmten Porträtfotografie des Kaisers begnügen», steht in einem Bericht, und in einer Aktennotiz liest man: «[…] das Geschenk, das er dem Bundesrat überreichte, war viel weniger wertvoll als die Geschenke an die Stadtverwaltungen von Zürich, Bern und Genf». Man kam zum Schluss, dass sich der «Vorrat an Trophäen zweifelslos dem Ende zugeneigt» hat, waren doch die Schweiz und Österreich die letzten Stationen der Europareise. Die dem Bundespräsidenten überreichte Porträtfotografie ist heute ebenso unauffindbar wie der «prächtige Teppich», den der Berner Regierungspräsident Rudolf Gnägi für die Kantonsregierung entgegennehmen durfte.
 
Die Städte Zürich und Genf erhielten je zwei imposante, silbermontierte Elefantenstosszähne und dazu einen äthiopischen Schild mit zwei Speeren. Die Geschenke befinden sich heute in der Sammlung für Völkerkunde der Universität Zürich und im Musée d'Ethnographie de Genève.
Die Geschenke an die Stadt Genf: Montierte Elefantentrophäen, zwei äthiopische Speere und dazu ein Schild.
Die Geschenke an die Stadt Genf: Montierte Elefantentrophäen, zwei äthiopische Speere und dazu ein Schild. Musée d'Ethnographie de Genève
Das Geschenk des Kaisers wird ins Museum gebracht. Fotografie aus «La Tribune de Genève» vom 29. November 1954.
Das Geschenk des Kaisers wird ins Museum gebracht. Fotografie aus La Tribune de Genève vom 29. November 1954. e-newspaperarchives.ch
Die Stadt Bern musste auf die Elefantentrophäen verzichten und erhielt nur einen Schild mit zwei Speeren überreicht. Die Irritation über das vermeintlich «angriffige» Mitbringsel zeigt sich anhand von Spekulationen, die in Dokumenten im Bundesarchiv zu finden sind. Das Geschenk wurde als «spitzer» Seitenhieb auf die ungnädige Behandlung des Kaisers im Jahr 1936 gedeutet – was wohl mehr über die Beschenkten aussagt als über den Donator.
Ein gefundenes Fressen für die Medien: Die Karikatur von Lindi (Albert Lindegger) auf der Titelseite von «Der Bund» vom 5. Dezember 1954 thematisiert die Geschenke des Kaisers an die Stadt Bern.
Ein gefundenes Fressen für die Medien: Die Karikatur von Lindi (Albert Lindegger) auf der Titelseite von Der Bund vom 5. Dezember 1954 thematisiert die Geschenke des Kaisers an die Stadt Bern. e-newspaperarchives.ch
Waffen, die mitunter Stärke und Verteidigungswille symbolisieren, waren – und sind – als diplomatische Geschenke gängig. Ausserdem handelte es sich bei Haile Selassies Geschenk um symbolisch wertvolle Objekte: Schilde und Speere waren in Äthiopien begehrte Würdezeichen, die in der Vergangenheit tapferen Kriegern und Jägern an Verdienstfesten vom äthiopischen Kaiser persönlich verliehen wurden. Auch weit ins 20. Jahrhundert hinein, als für die Jagd und im Krieg längst zeitgemässere Waffen zum Einsatz kamen, blieben sie Auszeichnungen für männliche Tapferkeit und Kraft. Darüber hinaus waren die Speere – mit Spitzen aus Silber – und der Schild mit dem Kaisermonogramm versehen.
Mit rotem Samt bezogen und mit gestanzten Messingbeschlägen verziert: Der äthiopische Prunkschild von rund 45 cm Durchmesser zeigt zweimal das mit Kaiserkrone überhöhte Monogramm «HS».
Mit rotem Samt bezogen und mit gestanzten Messingbeschlägen verziert: Der äthiopische Prunkschild von rund 45 cm Durchmesser zeigt zweimal das mit Kaiserkrone überhöhte Monogramm «HS». Stadtarchiv Bern

«Le grand ami» lässt sich Zeit

«Jegenstorf, wo dörfliche Behäbigkeit von dem Zauberstab einer anderen Welt berührt und doch nicht erschüttert worden war, kehrt wieder in den Alltag zurück», vermeldete das Berner Tagblatt am 29. November 1954. Gleichzeitig verbreiteten sich in der Bundesverwaltung erneut Spekulationen. Diesmal ging es um die Frage, ob der Kaiser mit der Organisation seines Staatsbesuchs unzufrieden gewesen sein könnte, da er sich nach seiner Abreise nicht umgehend per Telegramm beim Bundespräsidenten für die Gastfreundschaft bedankt hatte. Eine «ignorance des usages et de la courtoisie internationale» wurde ausgeschlossen, hatte der Kaiser dem österreichischen Bundespräsidenten Theodor Körner doch noch während der Abreise «un long télégramme» zukommen lassen.
 
Und so kam man schnell einmal zum Schluss «[…] dass er die Ereignisse von 1936 nicht vergessen hat und sich daran erinnert, dass ihm damals Asyl verweigert worden war.» Es wurde sogar vermutet, dass er nicht deshalb auf Besuch in die Schweiz kam, um die «Vergangenheit auszulöschen», sondern viel mehr, um seinem Groll gegenüber dem Bundesrat Ausdruck zu verleihen. Deshalb hätte er «absichtlich gegen die diplomatischen Gepflogenheiten verstossen».
 
Nach vier Monaten Ungewissheit und diplomatischen Abklärungen mit viel Korrespondenz traf das ersehnte Dankesschreiben doch noch ein: per Briefpost und adressiert an den «Bundespräsidenten» Philipp Etter – 1955 war Max Petitpierre Bundespräsident, Etter war «nur» Vorsteher des Departement des Innern –, den er in Kapitalen mit «CHER ET GRAND AMI» anredete. Er versprach ihm «eine Auswahl der besten Kaffeesorten aus unserem Reich». Über seiner handschriftlichen Signatur in amharischer Schrift bezeichnet er sich selbst als «Le grand ami». Mit diesen wohlklingenden Zeilen aus dem Kaiserpalast in Addis Abeba kehrte nun endlich auch in der Bundesverwaltung Erleichterung ein.
Der Umschlag zum Dankesschreiben des Kaisers. Das Klebesiegel zeigt das kaiserliche Wappen mit dem «Siegreichen Löwen aus dem Stamm Juda» auf dem Thron.
Der Umschlag zum Dankesschreiben des Kaisers. Das Klebesiegel zeigt das kaiserliche Wappen mit dem «Siegreichen Löwen aus dem Stamm Juda» auf dem Thron. Schweizerisches Bundesarchiv
Die Moral der Geschichte? Am kaiserlichen Hof, wo trotz manchen ernst gemeinten, aber grösstenteils wenig effektiven Fortschritts- und Reformbestrebungen vieles nach wie vor vorgestrig einherging, tickten die Uhren schlicht langsamer als in der Schweiz. Da konnten auch die drei Armbanduhren, die der Bundesrat dem Kaiser zum Andenken geschenkt hatte, nichts ausrichten. Entsprechen lange liess denn auch der äthiopische Kaffee auf sich warten, der im August 1955 in der Schweiz ankam. Doch gut Ding will Weile haben: Es waren immerhin ganze 20 Säcke. Auch wenn die dem Kaiser in der Bundesverwaltung zugeschriebene «certaine froideur» in seinem Verhalten gegenüber der Schweizer Regierung nicht ganz abzusprechen ist, darf doch davon ausgegangen werden, dass Haile Selassie gegenüber der Schweiz an sich wohl durchaus versöhnlich eingestellt war.

Der letzte Kaiser

Haile Selassie war nicht nur der letzte Kaiser, der in der Schweiz einen Staatsbesuch absolvierte, sondern zugleich der letzte Kaiser, der Äthiopien regierte. Spätestens in den frühen 1970er-Jahren konnte die Rückständigkeit des äthiopischen Feudalsystems durch die gegen aussen jahrzehntelang zur Schau getragene Fortschrittlichkeit nicht mehr vertuscht werden. Durch die Medien publik gemachte Hungersnöte auf dem Land und Studentenunruhen in Addis Abeba mündeten in Revolten, die 1974 zur Absetzung Haile Selassies und im Folgejahr zu dessen Ermordung führten.
 
So fand ein rund 3000 Jahre altes Kaiserreich ein abruptes Ende. Auf dieses schloss nahtlos die Militärdiktatur unter Diktator Mengistu an, der in Äthiopien eine Schreckensherrschaft etablierte. Zur gleichen Zeit erlebte Haile Selassie eine «Wiedergeburt»: Die Anhänger der weltweit verbreiteten und auf das Alte Testament gründenden Rastafari-Glaubensrichtung verehren den 1892 als Ras (Herzog) Tafari Makonnen geborenen Äthiopier als ihren wiedergekehrten Messias und Gott.

Royals zu Besuch – von Sisi bis Queen Elizabeth

13.06.2025 09.11.2025 / Landesmuseum Zürich
Obwohl die Schweiz keine royale Tradition hat, faszinieren die Geschichten der Königshäuser auch hierzulande. Ob Kaiserin, Königin oder Prinzessin: Eines hatten die königlichen Besuche gemeinsam, egal ob sie aus politischen, wirtschaftlichen oder privaten Gründen erfolgten. Sie lösten – damals wie heute – eine immense Begeisterung und Faszination in der Schweizer Bevölkerung aus. Dies zeigt die Ausstellung anhand von zahlreichen Bildern und exklusiven Objekten der Blaublütigen.

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