Claude Cueni: «Man muss den Dreck in den Gassen riechen»
Claude Cueni hat sich mit seinen historischen Romanen weltweit einen Namen gemacht. Der Basler Schriftsteller über geschichtliche Recherchen, Museumsbesuche und warum sein neuer Roman in der Zukunft spielt.
Claude Cueni, wie unterscheidet sich die Arbeit an einem historischen Roman vom Schreiben eines fiktionalen Werkes?
Claude Cueni: Einen fiktionalen Roman von 500 Seiten kann man in einem Jahr schreiben. Für einen soliden historischen Roman, der auch vor Historikern bestehen kann, braucht man allein für die Recherchen ein Jahr oder mehr.
Wie recherchieren Sie?
Das hängt von der Epoche ab. Für meinen ersten historischen Roman «Cäsars Druide» (neu «Das Gold der Kelten»), eine Dramatisierung des Gallischen Krieges, brauchte ich zehn Jahre. Das lag vor allem an der mangelnden Erfahrung. Ich habe fast alles gelesen, was seinerzeit an relevanten Büchern in deutscher, französischer oder englischer Sprache vorlag, ich bin in einer originalgetreu nachgebauten römischen Rüstung bei strömendem Regen über den Hauenstein marschiert, ich habe bei schottischen Archäologinnen römisch kochen gelernt und mit meinem Sohn alle Schauplätze in Italien und Frankreich besucht. Ein Gutachten der Basler Universität hat mir dann bescheinigt, dass der Roman auf dem neusten Stand der Forschung basiert. In der Schweiz war das Buch ein Flop, in Spanien und Südamerika war das Drama jedoch ein Bestseller.
Haben Sie für jeden historischen Roman derart viele Fakten zusammengetragen?
Meine späteren historischen Romane waren einfacher zu recherchieren. Einerseits weil ich mittlerweile mehr Erfahrung hatte, andererseits, weil das 18. und 19. Jahrhundert reich an verlässlichem Quellenmaterial ist: Es gibt Zeitungen, Tagebuchschreiber, später auch die Fotografie. Auch wenn vielleicht nur fünf Prozent der Recherchen im Roman ihren Niederschlag finden, muss man doch die ganze Epoche begreifen, den Dreck in den Gassen riechen und wissen, welche Vorstellung die Menschen von der Liebe hatten, wie sie sich ernährten und wie sie Krankheiten kurierten.
Gibt es bestimmte Epochen, die Ihnen näher liegen als andere?
Die römische Antike war von klein auf meine grosse Leidenschaft. Begeistert haben mich später auch Aufklärung und Revolution, aber mittlerweile hat es mir besonders das 19. Jahrhundert angetan, die Zeit der Beschleunigung, der Industrialisierung und der tausend Erfindungen, die den Weg zur nächsten Zivilisationsstufe geebnet haben.
Sie schrieben einmal, dass historische Romane glücklich machen, weil sie es uns erlauben, Epochen zu vergleichen und die Gegenwart zu schätzen. Lesen Sie selbst gerne historische Romane?
Ich lese so viele Sachbücher, dass ich nicht dazu komme, Belletristik zu lesen. Das eigene Glück misst man meist am Glück oder Unglück der andern. Da ich die meiste Zeit meines Lebens in vergangenen Epochen verbracht habe, schätze ich mich trotz aller Schicksalsschläge als vom Glück begünstigt.
Kann ein Museumsbesuch einen ähnlichen Effekt haben?
Ja. Besuchen Sie ein Museum der Zahnmedizin und Sie werden nie mehr behaupten, Sie hätten gerne im 18. Jahrhundert gelebt. Museen leisten Grossartiges, sie erweitern den Horizont und machen verständlich, warum wir geworden sind, was wir heute sind. Und dank modernsten Technologien sind heute viele Museen zu faszinierenden Erlebniswelten geworden, die alle Altersgruppen ansprechen.
Im neuen Roman «Godless Sun» schauen Sie in die Zukunft. Ist das die Weiterführung des Konzepts der historischen Romane?
Etliche Autoren von historischen Romanen schreiben auch Science-Fiction-Bücher. Denn wer Gegenwart und Vergangenheit kennt, entwickelt früher oder später eine Vorstellung von einer möglichen Zukunft. So können Science- Fiction-Autoren durchaus Trendforscher sein. Aber «Godless Sun» liegt viel näher bei der Realität. Es geht um Atheismus vor dem Hintergrund der Migrations krise. In der Antike konnte man eine Völkerwanderung aufhalten, indem man mit dem Anführer sprach, doch heute haben wir es mit Millionen Individuen zu tun, die den Weg in ein besseres Leben suchen.
Sie sagten in einem Interview: «Alles hat ein Verfallsdatum.» Ist Schreiben nicht auch eine Art des Bewahrens, gerade bei historischen Romanen?
Inhaltlich sehe ich kein Verfallsdatum, aber jede Epoche hat ihre eigene Sprache und die Rezeption von historischen Figuren passt sich laufend dem Zeitgeist an. Julius Cäsar durchlief alle Stadien vom weisen Staatsmann über den Hitler der Antike bis hin zum Vordenker des Euro. Und auch John Law war, je nach ideologischer Ausrichtung des Betrachters, entweder ein Spekulant und Hochstapler, ein genialer Gambler oder der Vater der modernen Finanzwirtschaft. Für mich war er der Mann, der nie aufgab.