Berner Stadtpolizisten bringen sich für die Räumung des Zaffaraya in Stellung.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Kampf ums Zaffaraya

Es gab eine Zeit vor dem Handy, eine Zeit, in der Pressefotografen die Augen einer ganzen Nation waren. Viele ihrer Bilder sind heute in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel die Fotografien der gewaltsamen Räumung des «Freien Lands Zaffaraya» in Bern.

Aaron Estermann

Aaron Estermann

Aaron Estermann hat Geschichte, Medienwissenschaft und Visuelle Kommunikation studiert und Kurator für historische Fotografie beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Zusammenstösse zwischen Polizei und Demonstrierenden besassen während den Jugendunruhen der 1980er-Jahre keinen Seltenheitswert. Immer mit dabei: Die Pressefotografen mit ihren Kameras – mal mitten im Geschehen, mal wie hier aus sicherer Distanz agierend. Der Blick auf das brisante Geschehen durchs kahle Geäst wirkt halb voyeuristisch, halb enthüllend: die Medien als Spektakeljäger und vierte Gewalt im Staat.

Die Jugendlichen waren auf der Suche nach Autonomie ausserhalb staatlicher Strukturen, also nach Freiräumen. Ein eben solcher wird der Aktivistin auf diesem Bild allerdings nicht gewährt – weder ideologisch noch unmittelbar physisch. Stadtpolizisten nehmen sie am 17. November 1987 bei der Räumung des «Freien Lands Zaffaraya» auf dem Berner Gaswerkareal in die Zange, führen sie mit einem Dutzend weiterer Personen ab. Der staatlichen Gewalt setzt die Aktivistin einen Fusstritt entgegen. Ob er gesessen hat oder nicht, verschweigt sie uns – die Fotografie, das stille Bild.

Ein Fusstritt gegen die staatliche Einengung.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Aber eines steht fest: In ihrer Gegenwehr blieb die Aktivistin nicht alleine. Die rund 30 ständigen Bewohnerinnen und Bewohner des Zelt- und Hüttendorfs wurden von Sympathisierenden um ein Vielfaches verstärkt. Nach mehreren verstrichenen Ultimaten wollte man sich auch dem Polizeiangriff um 11.30 Uhr nicht einfach so geschlagen geben. Gummigeschossen und Tränengas wurden Pflastersteine und Farbbeutel entgegengesetzt. Erfolglos. Die Zaffarayaner mussten sich geschlagen geben, das besetzte Areal durch den Hinterausgang verlassen.

10'000 Bernerinnen und Berner trugen nach der gewaltsamen Räumung tagelang ihre Empörung sowie Forderungen nach mehr Akzeptanz für alternative Kultur- und Lebensformen auf die Strasse. Die Märsche durch die Bundesstadt erreichten die Wiedereröffnung der Reithalle als autonomes Zentrum. Den Zaffarayanern bot die Stadt 1989 ein leerstehendes Autobahn-Terrain im Berner Neufeld an, zunächst nur provisorisch für drei bis sechs Monate. Tatsächlich mussten sie erst 2007 einem Tunnelbau weichen. Heute leben sie ein paar hundert Meter weiter im Nordwesten.

Die Zeit der Aufmüpfigkeit ist längst vorbei. Im Gegenteil: Zurückhaltung ist die Devise, mögliche Gegner sollen gar nicht erst auf den Plan gerufen werden. Die Berner Zeitung «Der Bund» schrieb Zaffaraya 2015 deshalb musealen Charakter zu: Es sei ein «Ballenberg für Linke». Immerhin – so dann doch die positivere Formulierung – erinnere seine blosse Existenz auch heute noch an die Möglichkeit alternativer Lebensentwürfe.

«Weniger Ogi – mehr Zaff!» Nach der gewaltsamen Räumung ziehen Zehntausende für Zaffaraya und Reitschule durch die Berner Altstadt.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL​

Die Presse­bild­agen­tur ASL

Actualités Suisses Lausanne (ASL) wurde 1954 von Roland Schlaefli gegründet und galt bis zur Schliessung 1999 als wichtigste Westschweizer Pressebildagentur. 1973 übernahm Schlaefli zudem das Archiv der 1937 gegründeten Agentur Presse Diffusion Lausanne (PDL). Die Bestände der beiden Agenturen umfassen ungefähr sechs Millionen Bilder (Negative, Abzüge, Diapositive). Im breiten Themenspektrum lassen sich die Schwerpunkte Bundespolitik, Sport und Westschweiz ausmachen. Den Schritt ins digitale Zeitalter machte die Agentur nicht mehr mit. Seit 2007 befinden sich die Archive von ASL und PDL im Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums. Der Blog präsentiert in einer losen Abfolge Bilder und Bildserien, die bei der Aufarbeitung der Bestände besonders aufgefallen sind.

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