Alois Carigiet – ein Suchender
Der Vater des «Schellen-Ursli» war mehr als nur Kinderbuchillustrator. Fast alles, was der Bündner anging, wurde zum Erfolg. Und gerade deshalb zog er immer weiter.
Der Schellen-Ursli hat Alois Carigiet weltberühmt gemacht. Der Bündner Bub mit der Zipfelmütze begeistert seit 1945 junge und alte Leser rund um den Globus. Inzwischen wurde das Buch über zwei Millionen Mal verkauft und in 14 Sprachen übersetzt, darunter Japanisch und Afrikaans. Der Erfolg hatte allerdings auch eine Schattenseite. Alois Carigiet wurde oft auf den Ursli reduziert. Ein Fehler, denn der Bündner war ein Meister vieler Disziplinen. Die Ausstellung «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli» im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz beleuchtet die verschiedenen Facetten dieses interessanten Mannes.
Künstlerischer Zehnkämpfer
Carigiet wuchs im bündnerischen Trun auf und zog 1923 nach einer Dekorationsmalerlehre in Chur nach Zürich. Dort machte er sich bald einen Namen als talentierter Grafiker und entwarf Plakate für Modefirmen, touristische Unternehmen oder politische Organisationen. Sein eigenwilliger Stil und die Prise Humor, welche er jeweils einstreute, machten seine Plakate einzigartig, was sich immer wieder in Folgeaufträgen niederschlug. Alois Carigiet, seit 1927 selbstständig, musste Leute anstellen, um der Nachfrage nachkommen zu können. Gleichzeitig gestaltete er Requisiten, Bühnenbilder und Kostüme für das legendäre Cabaret Cornichon, das er mitbegründet hatte.
In den 1930er-Jahren führte der sonntägliche Familienspaziergang oft zu den Litfasssäulen der Stadt, um die neusten Plakate zu bewundern. Ein grosses Publikum amüsierte sich über die neusten Reklamen, darunter auch jene von Alois Carigiet. Zwischen 1923 und 1939 hat der Bündner über 100 Plakate entworfen und war so immer wieder Thema der familiären Sonntagsgespräche. Sein letztes und wichtigstes Plakat war jenes für die Landesausstellung, welche 1939 in Zürich stattfand. Carigiet arbeitete lange daran, merkte in dieser Zeit aber, dass der Moment für eine Neuausrichtung gekommen war. Er wollte nicht den bequemen Weg gehen, sondern neue Disziplinen erobern. Alois Carigiet entwickelte sich mehr und mehr zum künstlerischen Zehnkämpfer.
Maler und Kinderbuchillustrator
Nach dem Plakat für die Landesausstellung konzentrierte sich der Bündner auf die Malerei. Er schuf Werke an Hauswänden und -fassaden wie auch klassische Ölgemälde. Die Hauptmotive waren Landschaften, Tier- und Menschenbilder sowie Ansichten von Häusern und Dörfern. Aber Carigiet wäre nicht Carigiet, hätte sich nun seine Laufbahn in einen ruhigen Fluss verwandelt: Selina Chönz aus Guarda (GR) hatte den Künstler dazu gedrängt, ihr Kinderbuch zu illustrieren. Sie war von Carigiets Plakaten begeistert, aber es dauerte eine längere Zeit, bis sich die beiden gefunden hatten. Immer wieder reiste der Illustrator zu Chönz nach Guarda, um sich inspirieren zu lassen und auch um gemeinsam am Projekt zu arbeiten. In dieser Zeit tobte rund um die Schweiz ein Krieg, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Das kleine Land, eingeschlossen von faschistischen Mächten, versuchte zu überleben, sich zu wehren, tapfer durchzuhalten. Etwas von diesem Zeitgeist zeigte sich – bewusst oder unbewusst – auch im Schellen-Ursli: Der tapfere Bergler lehnt sich gegen sein Schicksal auf und wird für seinen mutigen Gang auf die Alp belohnt. Ob man beim Kinderbuch von Selina Chönz und Alois Carigiet von geistiger Landesverteidigung sprechen kann, sei dahingestellt. Elemente davon sind jedenfalls in Text und Illustrationen zu finden. Nach zwei weiteren Kinderbüchern mit Selina Chönz wagte sich Alois Carigiet 1966 in einweiteres neues Feld vor: Er kreierte ein Buch im Alleingang. In «Zottel, Zick und Zwerg» stammen sowohl die Illustrationen, wie auch der Text von Carigiet. Das Buch wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Es folgten zwei weitere eigene Werke. Gleichzeitig arbeitete Alois Carigiet auch in anderen Disziplinen weiter.
Der Grafiker, Maler und Illustrator war ein Suchender, ein Getriebener. Einer, der sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen wollte und konnte. Dank diesen Eigenschaften hat der Bündner Künstler der Nachwelt ein reiches Erbe hinterlassen, das weit über den Schellen- Ursli hinausgeht.